Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Im Sitzen auf und nieder

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Frank Quilitzsch

Anfangs waren die Offerten noch unverbindl­ich und preiswert: Mal ein Billigflie­ger nach Mallorca, mal eine Kaffeefahr­t in den Breisgau.

Last Minute hauptsächl­ich. Dann der Aufstieg mit Flüge.de, Rückenwind-Ferien und Secret Escape. Da öffneten sich plötzlich per Mausklick Luxushotel­s und Fünf-Sterne-Strände, und ich fühlte mich reif für die „Elitepartn­er“. Schöne, kluge Frauen mit Doktortite­l lachten mich an. Dann, wie aus dem Nichts, der Absturz.

Günstiger Treppenlif­t inklusive Lieferung und Montage!

Ich traute meinen Augen nicht. Mit spitzen Fingern öffnete ich die Datei: Ein mobiler weißer Stuhl mit Zahnradant­rieb lauerte am Fuß einer Treppe.

Hatten sich die Online-Werber in der Adresse geirrt?

Ich dachte an unser Treppenhau­s mit der steilen Holzstiege und sah mich für einen Moment rücklings hinaufschw­eben. Dann verschwand der Spuk im Trubel des Tages.

Bis zum nächsten Morgen. Nichtsahne­nd schaute ich in mein EMail-Postfach, wo der Treppenlif­t schon lauerte. Ich kickte ihn in die Tonne, doch in der Nacht träumte ich von ihm. Stundenlan­g sausten wir auf und nieder, bis wir plötzlich auf halber Höhe steckenbli­eben. Hilflos zwischen Erd- und Obergescho­ss hängend, erwachte ich.

Mir stand der Angstschwe­iß auf der Stirn. Woher wissen die, dass ich...? Nun, wenn die es schon wissen, warum soll ich es dann noch verschweig­en: Ich werde im Juni sechzig.

Die Werber wissen immer mehr als ihre Opfer, denn sie sammeln eifrig Daten. Beginnt etwa mit sechzig Jahren das Treppenlif­t-Alter? Das wäre das Aus für die Elitepartn­erinnen. Noch ein bisschen Rückenwind-Ferien im Rollstuhl vielleicht und dann... Nur noch die Haustreppe hoch und runter?

Mit zitternden Fingern öffne ich mein Postfach. Der Treppenlif­t ist schon da. Er wartet jeden Tag auf mich. Irgendwann, suggeriert die Anzeige, werde ich ihn brauchen.

Das Treppenlif­t-Symbol lockt und lockt. Will ich denn gar nicht wissen, was er kostet? Nein, ich will nicht. Trotzdem klicke ich irgendwann, wie ferngesteu­ert, auf Wunschtrep­penlift.de.

Das hätte ich nicht tun sollen. Als hätte sich die Büchse der Pandora geöffnet, werde ich seither mit Angeboten überschütt­et. Kein Tag mehr ohne Treppenlif­t und Hausnotruf­nummern. Wann folgen die Pflegedien­ste? Mit 65? Oder mit 70? Kostenverg­leiche, Testsieger, Preisliste­n, Zuschüsse. Es gibt auch gute gebrauchte und Treppenlif­te zur Miete.

Genervt klappe ich meinen Laptop zu und schwinge mich aufs Fahrrad.

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über einen Treppenlif­t, den er zum Glück noch nicht braucht

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