Den Urahnen auf der Spur
Für den Archäogenetiker und Direktor am Max-Planck-Institut in Jena, Johannes Krause, ist die Burgruine Hanstein in seiner Eichsfelder Heimat ein besonderer Ort
Wie wurden wir, was wir sind? Die Antworten stecken in jedem von uns: In unserem Genom. Drei Milliarden Basenpaare, die weitergegeben werden von Generation zu Generation, in denen jede ihre Spuren hinterlässt. Man muss sie nur lesen können.
Wie war das mit den ersten Bauern in Mitteleuropa? Eine Frage genügt schon, und man kann sich zurücklehnen auf der Bank unter der alten Buche. Er ist ein guter Erzähler.
Mit seinen Mitarbeitern am Jenaer Institut hat er bisher mehr als 1000 Genome aus Knochenfunden und Zähnen prähistorischer Menschen untersucht und mit den Erbinformationen heutiger Menschen verglichen. Wir sind alle Nachfahren von Migranten! Das Ergebnis von zwei großen Einwanderungswellen vor Jahrtausenden. Aus dem Nahen Osten, wo die Menschen schon früher Ackerbau und Viehzucht betrieben. Eine spätere genetische Spur weist auf die Steppengebiete in Osteuropa. Die DNA, sagt er, ist wie ein Geschichtsbuch. Archäologen und Prähistoriker sind auf Indizien und deren Interpretationen angewiesen. Wir liefern Daten! Gleich, denke ich, wird er aufspringen von der Bank.
Wie wird man so? Warum Archäogenetik, dieses exotische Fach?
Er kneift die Augen zusammen, schaut zur Burg, als fände er zwischen Steinen eine Antwort. Womit beginnen? Bei der Großmutter! Sie hat auf dem Rittergut der Hansteins gearbeitet. Schon wieder der Hanstein. Dort gab es eine Bibliothek und eine Gutsherrin, die ihren Angestellten den Zutritt erlaubte. So wurde aus der einfachen Schneiderin eine belesene Frau, die Tolstoi und Dostojewski liebte, die zeitlebens einen Blick weit über den Eichsfelder Tellerrand hinaus bewahrte. Diese Neugier auf die Welt gab sie dem Enkel weiter, wenn er sich zur Mittagsversorgung nach der Schule bei ihr einfand. Ein Samenkorn.
Ein anderes, die ausgedehnten Sonntagswanderungen mit dem Vater, ausgerüstet mit einer alten Karte von 1910, mit der sie versteckte Flecken, und alte Wege und Burgruinen aufstöberten. Das hat, sagt er, mein Interesse für die Natur und Geschichte genährt.
Ein Junge aus einfachen Verhältnissen und jetzt Professor. Es klingt, wie er das sagt, als wundere er sich immer noch ein wenig darüber.
Er hat, erzählt er weiter, seinen Eltern zu Weihnachten einmal eine Genomentschlüsselung geschenkt. Seinen Bauplan kennt er auch, natürlich. Nichts Spannendes dabei, bemerkt er heiter. Will man wirklich so genau wissen, was in den Genen so schlummert? Er schaut etwas irritiert. Ich bin Naturwissenschaftler!
Eigentlich hatte er an ein Studium der Forstwissenschaft gedacht. Doch dann haben sie das menschliche Genom entschlüsselt. Es gab euphorische Schlagzeilen, Aufbruchsstimmung, die Genetik schien das Versprechen der Zukunft zu sein. Er sagt es so: Da wollte ich dabei sein! Deshalb die Biochemie.
In der studentischen Realität aber zu theoretisch, enttäuschend. Das änderte sich, als er nach Irland ging, wo man Genetik als eigenständiges Fach studieren konnte.
In Leipzig baute der schwedische Biologe Svante Pääbo gerade das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie auf. Der Student Krause schrieb ihm eine Mail, noch eine und noch eine. Irgendwann kam eine Antwort: Kommen Sie vorbei. Im ersten Jahr gelang ihm über die Entschlüsselung der Mammut-Gene der Nachweis über die Verwandtschaftsverhältnisse des urzeitlichen Tieres mit heutigen Elefanten. Der Artikel darüber erschien im „Nature“, dem Olymp aller Wissenschaftspublikationen. Mit einer Ankündigung auf dem Cover! Und er hatte damals noch nicht einmal sein Diplom in der Tasche.
Dann schlug Svante Pääbo die Entschlüsselung des Neandertaler-Genoms vor. Heute genügt für die Entschlüsselung eines menschlichen Bauplans ein Knopfdruck. Doch damals, 2005, schien das eine verrückte Idee.
So verrückt wie die Sache mit dem Fingerknochen. Ein winziges Fundstück aus dem Altaigebirge, der in das Institut geschickt wurde. Seine genetische Untersuchung ergab, dass sein Besitzer zu einer bislang unbekannten Menschenform gehörte. Der Denisova-Mensch, man hätte ihn auch homo krausensis nennen können.
Auch verrückt. Unglaublich. Faszinierend. Das sind Worte, die oft fallen, wenn er über seine Arbeit spricht. Das ist keine Übertreibung, das ist fehlende Abgeklärtheit. Beneidenswert. Dabei leitet er inzwischen selber ein Institut. Die Nachrichten von dort bieten zuverlässig Stoff für immer neue Geschichten. Fragen gibt es genug. Wie viel Europa steckte in den alten Ägyptern? Warum tragen die Angehörigen eines Amazonasstammes genetische Spuren in sich, die auf eine Gegend in Papua -Neuguinea weisen, und was erzählt das womöglich über die Besiedlung von Südamerika? Ich verabschiede mich, er bleibt noch ein bisschen. Auf eine Runde durch die Burg, wo die Haut so dünn scheint, die uns von der Vergangenheit trennt.
Doch, dieser Ort passt zu ihm.