Thüringer Allgemeine (Erfurt)

„Es wäre sicher in ihrem Sinne“

Prof. Heidi Richter vom Erfurter Kinderkuns­tverein über Birgit Dettkes Herzenspro­jekt, Kinderbild­er und eine Unesco-Bewerbung

- Von Birgit Kummer

Erfurt. Seit 16 Jahren hat der Kinderkuns­t-Verein einen Platz im Erfurter Vereinsreg­ister. Seine Gründerin und erste Vereinsche­fin hieß Dr. Birgit Dettke und war spezialisi­ert auf Kinderzeic­hnungen. Wenige Monate nur konnte sich die Kunstlehre­rin diesem ehrenamtli­chen Projekt widmen. Am 26. April 2002 war sie unter den Opfern des Mordlaufs eines ehemaligen Schülers am Gutenberg-Gymnasium.

Kollegen und Weggefährt­en Birgit Dettkes versprache­n damals, den Verein und damit das Herzenspro­jekt der Kunstlehre­rin weiterzufü­hren. Die Erfurter Kunstprofe­ssorin Dr. Heidi Richter steht seit 2004 dem Verein vor.

Kannten Sie Birgit Dettke persönlich?

Ja. Ich war Hochschull­ehrerin und habe ihr Promotions­verfahren geleitet. In ihrem Abschlusss­tatement sprach sie über ihren großen Wunsch, ein Archiv für Kinderzeic­hnungen zu gründen. Diese Idee fand ich gut.

Warum?

Kinderzeic­hnungen sind ein einzigarti­ges Kulturgut, sie spiegeln Zeitgeschi­chte und individuel­le Entwicklun­gen. Birgit Dettke hatte für ihre Promotion etwa 3000 Arbeiten gesammelt und wissenscha­ftlich untersucht, aus mehreren gesellscha­ftlichen Epochen. Sie waren der Grundstock für das Archiv, das seit 2002 ihren Namen trägt.

Wie viele Bilder hat das Archiv heute?

Etwa 13000 Kinderzeic­hnungen, sowohl im Original als auch digitalisi­ert, also im Netz abrufbar.

Wie kommt man zu einer solchen Menge Bilder?

Viele wurden von Kunstlehre­rn und Privatpers­onen gesammelt. Heutzutage werden kaum noch Arbeiten in Schulen archiviert, sie werden den Kindern zurückgege­ben.Wir bekamen auch einige Schenkunge­n.

Sensatione­ll war eine Schenkung aus Baden-Württember­g mit knapp 1000 Arbeiten eines einzelnen Kindes, die zwischen dem 4. und 19. Lebensjahr entstanden waren.

Ein Quell der Inspiratio­n? Forschungs­stoff in Hülle und Fülle. Das Archiv ist ein Schatz. Unsere Sammlung ist auch deshalb einzigarti­g, weil das Gros der Bilder aus DDR-Zeiten stammt und damit aus einem Staat, der heute nicht mehr existiert.

Was machen Sie mit all den Zeichnunge­n? Wissenscha­ftlich arbeiten, zum Beispiel mit Kunst- oder Pädagogiks­tudenten. Wir kooperiere­n eng mit dem Bereich „Kunst: Malerei und ihre Didaktik“der Uni Paderborn. Allein hier sind mit Hilfe unseres Archivs drei Promotione­n entstanden. Außerdem haben wir im Lauf der Jahre Dutzende Ausstellun­gen zusammenge­stellt, zu allen denkbaren Themen. Familie, Jahreszeit­en, Sport, Natur, Sagen und Märchen.

Derzeit zeigt die Galerie „etage2“im Rathaus eine Ausstellun­g von uns zum Thema „Kinder sehen die Stadt“. Und in der Bibliothek am Domplatz geht es um „Bilder von Menschen, wie Kinder sie sehen“.

Die Bibliothek ist seit drei Jahren Domizil des Vereins?

Nach einer turbulente­n Quartierss­uche kamen wir hier unter, samt unserer Archivschr­änke. Ein großer Dank an die Stadt und das Team der Bibliothek für die gute Zusammenar­beit.

Wie groß ist der Verein?

Wir sind ein rühriger Vorstand, besonders Werner Regu und Dr. Jutta Lindemann sind sehr aktiv. Wir haben 28 Mitglieder und einige sehr zuverlässi­ge Unterstütz­er wie die Sparkassen­kulturstif­tung oder die Staatsanwa­ltschaft, die uns Bußgelder zukommen lässt. Von Mietzuschu­ss bis Digitalisi­erungskost­en – es ist finanziell einiges zu stemmen.

Sie waren als Professori­n an der Uni gut beschäftig­t, betreuen weitere Kunstproje­kte. Dazu dieses Ehrenamt. Hatten Sie mal den Drang, hinzuwerfe­n? Worauf ich mich einlasse, das habe ich damals nicht geahnt. Aber unsere Arbeit trägt Früchte, das motiviert. Unter Leitung der Universitä­t Paderborn hat sich Anfang des Monats ein Verbund gegründet von Städten, in denen Kinderzeic­hnungen gesammelt werden. Düsseldorf, Budapest, Berlin, Zürich, Ontario, Toronto, Prag, Erfurt und weitere Städte. Im November wird es in Düsseldorf eine große Konferenz geben, wo ein Antrag auf das Weltkultur­erbe der Kinderzeic­hnungen als Weltkultur­erbe?

Ja, als Zeugnisse einer Entwicklun­g, die ein jeder Mensch durchläuft. Weil es überall so funktionie­rt, dass der kleine Mensch über ganz elementare Formen zum Bild kommt und so die Welt erkennt. In Peru, Stockholm, Hongkong oder Berlin. Es beginnt mit Kritzeleie­n. Gerade diese Anfänge sind so wichtig für die geistige Entwicklun­g.

Also sollten Eltern die Bilder ihrer Kinder nicht wegwerfen? Nein. Sie sollten sie beschrifte­n, vergleiche­n, gut aufheben und sich daran erfreuen. Gern nehmen wir sie auch ins Archiv.

Wann kann man den Verein öffentlich erleben?

Am 26. April, wenn wir wie in jedem Jahr zum „Tag gegen Gewalt“einladen. Von 16 bis 19 Uhr stehen wir im Vortragsra­um der Bibliothek am Domplatz 1 Rede und Antwort.

Denken Sie, Birgit Dettke wäre stolz auf das Archiv?

Es wäre bestimmt in ihrem Sinne. Ich denke, sie wäre stolz.

Mehr zum Verein: www.kinderkuns­t-ev.de

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Foto: Marco Schmidt Kinderbild­er aus dem Archiv des Kinderkuns­tvereins sind in der Galerie „etage “im Erfurter Rathaus zu sehen.
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Foto: Susann Fromm
Heidi Richter und Werner Regu in der Stadt- und Regionalbi­bliothek, die dem Verein seit drei Jahren eine Heimat gibt. Foto: Susann Fromm

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