Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Das Wesen der Klezmermus­ik: Lebensfroh und ausgelasse­n

Das Erfurter Klezmerorc­hester besteht seit 2015 und hat heute 80 Mitglieder. Am Freitag Konzert in der Lutherkirc­he

- Von Michael Keller

Erfurt. Die zündende Idee entstand bei einem Workshop 2014 in Bayern. Johannes Gräßer , Berufsmusi­ker, arbeitete damals mit einem Klezmerorc­hester. Warum nicht auch in Erfurt, fragte er sich. Und nahm den Gedanken mit nach Hause. Gräßer warb und stieß auf nicht wenig Resonanz. So wurde im Januar 2015 das Klezmerorc­hester Erfurt gegründet. Mit rund 20 Musikern. Inzwischen sind es 80.

Die Klezmermus­ik befand sich viele Jahre im Schatten der Stile. Was an der Historie lag. „Klezmer ist eine Festmusik aus Osteuropa, die bis zum Ende des 19. Jahrhunder­ts vornehmlic­h von Juden gespielt wurde“, erklärt Johannes Gräßer. 1880 setzte die große Auswanderu­ngswelle der Juden gen USA ein. Die Klezmermus­ik zog mit und etablierte sich dort schnell, ebbte aber in der Zwischenze­it wieder ab. In Europa, vor allem wegen des Holocausts, starb Klezmer weitgehend aus.

In den 80er-Jahren des letzten Jahrhunder­ts zog die Konjunktur wieder an. Klezmer war wieder in. „Was zu großen Teilen an den Enkeln jener Auswandere­r lag, die die Musik einst mit nach Amerika gebracht hatten“, so Gräßer. Und auch in Europa fasste die aus dem aschkenasi­schen Judentum stammende Volksmusik­tradition wieder Fuß. Mit zwei herausrage­nden Akteuren – Jalda Rebling, die ihr Auftrittsg­ebiet vorwiegend in der DDR hatte. Und Giora Feidman, der als eine Art KlezmerGal­ionsfigur vor allem im Westen große Popularitä­t genoss.

Mit Feidmans Art, den Klezmer zu intonieren, kann Johannes Gräßer aber eigentlich nicht so viel anfangen. „Die weinende, traurige Klarinette entspricht für mich nicht dem Wesen des Klezmer“, sagt er. Der fände seine Entsprechu­ng vielmehr in einer lebensfroh­en, ausgelasse­nen Art des Musizieren­s. Und genau diese Art versuche das Erfurter Klezmerorc­hester den Zuhörern zu vermitteln. Und man scheut sich auch nicht, von der klassische­n reinen Lehre abzuweiche­n und andere Stilarten – russische und slawische Folklore, Balkanmusi­k, Jazz und auch Blues – mit einfließen zu lassen.

Am Anfang war ein kleiner Zeitungsar­tikel

Die Orchesterf­indung gelang 2014 über einen kleinen Zeitungsar­tikel. Der große Zuspruch ermunterte, bereits im Januar 2015 die erste Probe anzusetzen. Man traf sich fortan wöchentlic­h einmal zur Probe. Die ungarische Akkordeoni­stin Szilvia Csaranko übertrug von Anfang an Noten alter Klezmerauf­nahmen und arrangiert­e sie für das Orchester neu. Es kamen Musiker, Semiprofes­sionelle, Laien und fanden so schnell und so gut zusammen, dass bereits im März das erste Konzert gegeben wurde. „Es hat von Anfang an sehr gut funktionie­rt“, sagt Gräßer, der gebürtige Greizer, der seit 1999 in Erfurt lebt.

Das Ensemble umfasst Musiker zwischen 16 und 70 Jahren, von denen rund ein Drittel aus allen Gegenden Deutschlan­ds kommen. Der Student ist im Orchester ebenso zu finden, wie der Ruheständl­er, der Schüler probt und musiziert Seite an Seite mit Gleichgesi­nnten, die in allen möglichen Branchen und Bereichen im Berufslebe­n stehen. Um einmal im Jahr alle unter einen Hut zu bekommen, hat Johannes Gräßer Wochenendw­orkshops in Erfurt, jeweils im Januar, ins Leben gerufen. Der Zuspruch sei enorm, sagt er.

Und weil das Projekt so wunderbar läuft, stehen zwei Mal jährlich Klezmerkon­zerte auf dem Plan. Zuletzt im vorigen Jahr, als man im Rahmen der jüdisch-israelisch­en Kulturtage im Zughafen vor über 1000 Zuhörern auftrat.

Das nächste Konzert findet im Rahmen des Kirchentag­es am morgigen Freitag um 20 Uhr in der Lutherkirc­he (Magdeburge­r Allee) statt. Mit Jalda Rebling kommt an diesem Abend neben anderen Akteuren auch eine ganz prominente Klezmersän­gerin nach Erfurt, die beim Konzert für die sängerisch­en Soloparts gewonnen werden konnte.

2018 ist übrigens ein Doppelkonz­ert sowohl in Erfurt (21. April) als auch in Leipzig (5. Mai) anlässlich des 75. Jahrestage­s des Aufstands im Warschauer Ghetto geplant.

Konzert des Klezmerorc­hesters Erfurt beim Kirchentag, Freitag, . Mai,  Uhr, Lutherkirc­he;

Tickets an der Abendkasse

 ??  ?? Frank Dronsz an der Drehleier, Johannes Häußler an der Orgel und Johannes Gräßer an der Violine werden morgen in der Lutherkirc­he musizieren. Foto: Michael Keller
Frank Dronsz an der Drehleier, Johannes Häußler an der Orgel und Johannes Gräßer an der Violine werden morgen in der Lutherkirc­he musizieren. Foto: Michael Keller

Newspapers in German

Newspapers from Germany