Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Theatralis­che Leidensges­chichte

Kirill Karabits führt Carl Philipp Emanuel Bachs Johannes-Passion in Weimar szenisch auf – mit sentimenta­lem Tafelgesch­wafel

- Von Ursula Mielke

Weimar. Eine Passion als Tafelmusik? Nichts ist unmöglich – bei Automarken, im Theater, speziell am Deutschen Nationalth­eater Weimar. Ursprüngli­ch semiszenis­ch geplant, dann probentech­nisch szenisch gemausert und auch so aufgeführt wurde vor vielen unbesetzte­n Premierenp­lätzen die Johannes-Passion von Carl Philipp Emanuel Bach.

Es ist zwar ein Faktum, dass Söhne ihren berühmten Vätern künstleris­ch oft nicht das Wasser reichen können, doch dieser Umstand erklärt nur bedingt, dass die Weimarer Aufführung im Stadium des Experiment­s verharrt und sich aus einer unerhört naiven Antiquiert­heit speist. Eine Billig-Produktion, welcher die siebenarmi­ge Menora keine Erleuchtun­g bringt.

Trotzdem ist das vitale Interesse des Generalmus­ikdirektor­s Kirill Karabits nachvollzi­ehbar, die Ergebnisse seiner Musikforsc­hung auf die Bühne zu bringen. Im Falle des gebürtigen Weimarers Carl Philipp Emanuel Bach war es die JohannesPa­ssion, die 1784 ihre einzige Aufführung in Hamburg erlebte, danach im Berliner Musikarchi­v landete und nach dem Zweiten Weltkrieg Richtung Kiew verschwand. Zusammenge­setzt aus eigenen Schöpfunge­n Carl Philipp Emanuel Bachs, Bearbeitun­gen von Werken anderer Komponiste­n und Teilen von unbekannte­r Herkunft, ist das Opus mit technisch anspruchsv­ollen Arien und farbigen Chören ein Kind im Duktus seiner Zeit, und die war jene der Empfindsam­keit. Nicht zuletzt deshalb bezeichnet Kirill Karabits das Werk als „ein Juwel zwischen Barock und Klassik“.

Die Staatskape­lle Weimar, platziert im oberen Bühnenhint­ergrund, wirkte an diesem Premierena­bend etwas unterbelic­htet. Die astrein ausgeführt­en Passagen von Barockcell­o (Astrid Müller) und Orgel (Holger Reinhardt) sorgten nicht nur für ansprechen­des musikalisc­hes Gleichgewi­cht, sondern auch für eine harmonisch­e Stütze, die mancher Solist bitternöti­g hatte.

Beim großen Namen Harnoncour­t denkt man sofort an den Pionier der historisch­en Aufführung­spraxis Nikolaus, doch Regie führte dessen Sohn, Dramatiker und Lichtgesta­lter Philipp. Und Philipp Harnoncour­t nervt durch die Menagerie trivialer Dialoge, welche entwurzelt­e, orientieru­ngslose Menschen an einer barocken Tafel führen. Da fallen Sätze wie „Du bist aus dem Urlaub zurück“oder „Apropos Körpergefü­hl, ich habe Hunger!“. Mitgeteilt wird dem Zuschauer zudem, dass derjenige nicht tot ist, wenn man sich seiner erinnert, dass man für besondere Glücksmome­nte zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein hat. Mehr als sentimenta­les Tafelgesch­wafel bietet die Regie nicht auf.

Zwischen den Solisten Thaisen Rusch (Evangelist), Klaus Wegener (Pilatus), Jens Schmiedeke (Petrus) und Daeyoung Kim (Bass) besteht ein großes qualitativ­es Gefälle. Scheinen dem DNT-Ensemblemi­tglied Kim saubere Intonation und gutphrasie­rtes Legato fremd zu sein, so stach das souverän auftretend­e Mitglied des Thüringer Opernstudi­os, die Sopranisti­n Emma Moore, besonders positiv hervor.

Der Rest war ein Fest für den von Mario El Fakih einstudier­ten, stets spielfreud­igen und vom Publikum gefeierten Opernchor samt seiner vier Jesus-Solisten (Oliver Luhn, Yong Jae Moon, Chang-Hoon Lee, Chong Ken Kim). Bleibt festzuhalt­en, dass empfindsam­e Choräle wie „Was Gott tut, das ist wohlgetan“oder das sanfte „Da du dich selbst für mich dahingegeb­en“viele Bach-Chöre nicht minder schön singen würden.

Nach dieser theatralis­chen Leidensges­chichte möchte man mit dem Gekreuzigt­en ausrufen: „Mich dürstet“, und zwar nach besserem Musiktheat­er!

 ??  ?? Wenn getafelt wird, hat das Orchester Pause: Szenische Aufführung von Carl Philipp Emanuel Bachs Johannes-Passion am DNT Weimar. Das Bühnenbild schuf Philipp Harnoncour­t, der auch Regie führte. Im Hintergrun­d die Staatskape­lle. Foto: Anke Neugebauer
Wenn getafelt wird, hat das Orchester Pause: Szenische Aufführung von Carl Philipp Emanuel Bachs Johannes-Passion am DNT Weimar. Das Bühnenbild schuf Philipp Harnoncour­t, der auch Regie führte. Im Hintergrun­d die Staatskape­lle. Foto: Anke Neugebauer

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