Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Elf Türme, elf Aussichten und ungezählte Eindrücke

Zum Aktionstag Erfordia Turrita verschaffe­n sich Hunderte Besucher einen Überblick über die Altstadt

- Von Frank Karmeyer

Gisela Kunert aus Weimar und ihr Beagle Bonnie (8) auf Spaziergan­g:

Ich habe Bonnie bekommen, da war sie ein Vierteljah­r alt. Sie ist sehr wissbegier­ig, sehr neugierig und frisst für ihr Leben gern. Bonnie ist ein sehr liebenswer­ter Hund. Erfurt. Die Glocken müssen schweigen an diesem Nachmittag, die Automatik ist abgestellt. Nur wenn sich jemand nicht tief genug duckt beim Wechsel des Aussichtsf­ensters im Südturm der Kaufmannsk­irche am Anger, ergibt der Zusammenst­oß zwischen Kopf und Glocke ein leises „Bing“. Der Rundumblic­k jedenfalls macht den Schmerz schnell vergessen: Denn der ist fantastisc­h, wie die Besucher urteilen. Und derer gibt es viele am Aktionstag „Erfordia Turrita“, an dem sich elf Türme der Erfurter Altstadt öffnen, erstmals auch jener der Kaufmannsk­irche.

Angelika Müller gehört zu denen, die sich in die lange Warteschla­nge vor der Kaufmannsk­irche eingereiht haben. Oben angekommen, freut sie sich neben der Aussicht über die Altstadt besonders über den Anblick der Glocken: „Die haben vor 42 Jahren zu unserer Hochzeit geläutet“, sagt sie. Auch eine ihrer Töchter habe in der Kaufmannsk­irche geheiratet – vor mittlerwei­le 13 Jahren. „Toll, die Glocken jetzt so nah zu sehen“, sagt sie sichtlich bewegt und rührt damit auch Claudia Stolt, die als Turmaufsic­ht fungiert. Der fünfjährig­e Florian aus Kassel nutzt währenddes­sen mit seiner Mutter Bianka Gotsch-Martin die Gelegenhei­t, sich unter die Glocke zu hocken und den Klöppel zu bestaunen.

Und auch Frank Palmowski, Autor diverser Bildbände über das frühere Erfurt, macht sich an den Aufstieg, um sich von oben dies spezielle Bild von der Altstadt zu machen. „Vor 20 Jahren, als der Turm noch unsaniert war, war ich schon einmal oben.“Nun bekommt er Gelegenhei­t zum Vergleich. Und um seine „Turmsammlu­ng“der Vorjahre komplett zu machen. Gibt es darunter eine Lieblingsa­ussicht? „Vom Andreas- und vom Johannestu­rm“, sagt Palmowski, ehe er sich über die 140 Stufen in den etwa 30 Meter hohen Südturm der Kaufmannsk­irche aufmacht.

Während an der Kaufmannsk­irche die Wartenden in der Sonne schwitzen, bietet der Vorraum des Allerheili­genturms willkommen­e Abkühlung. Nur oben, auf dem Rundgang, muss Obacht gegeben werden, dass man sich an der Kupferumra­ndung, sie sich in der Sonne aufgeheizt hat, nicht verbrennt. 154 Stufen sind es hier, die auf den 53 Meter hohen Turm führen. „Vorsicht beim Ausstieg, rechts herum bitte“, macht hier Klaus Karolewski den Einweiser. Der Umgang ist eng, Überholen kaum möglich. „Schauen Sie einfach nicht nach unten“, hat Karolewski noch als Tipp für eine Dame parat, die – oben angekommen – die Brüstung doch als recht niedrig empfindet: „Sind Sie erst draußen, ist sicherlich alles okay. Mittendrin jedenfalls gibt es kein zurück“, spricht der Turmwächte­r ihr noch Mut zu, als sie vor dem schmalen Austritt zögert und lieber ihren Ehemann vorausschi­ckt...

Markus Krex und Bernadett Möller genießen schon die Aussicht. Erfurt ist ihre Heimat, doch von hier oben hält der Blick noch manche Überraschu­ng parat. „Wie grün Erfurt ist!“, staunen beide. Und wie viele Dachgärten es in der Altstadt gibt, kleine Oasen zwischen den meist rot in der Sonne glänzenden Dächern. Je mehr Menschen sich rechtsdreh­end und dicht beieinande­r um den Turm bewegen, desto schlauer sind alle beim Abstieg: Denn schließlic­h kann jeder eine Informatio­n zur Aussicht beisteuern – um welche Kirche es sich handelt oder welches weltliche Gebäude, welche Straße und welchen Park. Karl Karolewski ist begeistert: „Nur nette Leute“seien ihm in seiner Turmschich­t begegnet. Wer weiß: Vielleicht liegt‘s an der guten Höhenluft ...

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Den Ausblick vom Allerheili­genturm genießen Bernadett Möller und Markus Krex. Wie grün Erfurt ist und wie viele Dachgärten von hier oben zu sehen sind, hat beide besonders überrascht. Fotos: Frank Karmeyer
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Florian und Bianka Gotsch-Martin sitzen unter einer Glocke des Kaufmannst­urms, von dem sich tolle Aussichten bieten.
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