Elf Türme, elf Aussichten und ungezählte Eindrücke
Zum Aktionstag Erfordia Turrita verschaffen sich Hunderte Besucher einen Überblick über die Altstadt
Gisela Kunert aus Weimar und ihr Beagle Bonnie (8) auf Spaziergang:
Ich habe Bonnie bekommen, da war sie ein Vierteljahr alt. Sie ist sehr wissbegierig, sehr neugierig und frisst für ihr Leben gern. Bonnie ist ein sehr liebenswerter Hund. Erfurt. Die Glocken müssen schweigen an diesem Nachmittag, die Automatik ist abgestellt. Nur wenn sich jemand nicht tief genug duckt beim Wechsel des Aussichtsfensters im Südturm der Kaufmannskirche am Anger, ergibt der Zusammenstoß zwischen Kopf und Glocke ein leises „Bing“. Der Rundumblick jedenfalls macht den Schmerz schnell vergessen: Denn der ist fantastisch, wie die Besucher urteilen. Und derer gibt es viele am Aktionstag „Erfordia Turrita“, an dem sich elf Türme der Erfurter Altstadt öffnen, erstmals auch jener der Kaufmannskirche.
Angelika Müller gehört zu denen, die sich in die lange Warteschlange vor der Kaufmannskirche eingereiht haben. Oben angekommen, freut sie sich neben der Aussicht über die Altstadt besonders über den Anblick der Glocken: „Die haben vor 42 Jahren zu unserer Hochzeit geläutet“, sagt sie. Auch eine ihrer Töchter habe in der Kaufmannskirche geheiratet – vor mittlerweile 13 Jahren. „Toll, die Glocken jetzt so nah zu sehen“, sagt sie sichtlich bewegt und rührt damit auch Claudia Stolt, die als Turmaufsicht fungiert. Der fünfjährige Florian aus Kassel nutzt währenddessen mit seiner Mutter Bianka Gotsch-Martin die Gelegenheit, sich unter die Glocke zu hocken und den Klöppel zu bestaunen.
Und auch Frank Palmowski, Autor diverser Bildbände über das frühere Erfurt, macht sich an den Aufstieg, um sich von oben dies spezielle Bild von der Altstadt zu machen. „Vor 20 Jahren, als der Turm noch unsaniert war, war ich schon einmal oben.“Nun bekommt er Gelegenheit zum Vergleich. Und um seine „Turmsammlung“der Vorjahre komplett zu machen. Gibt es darunter eine Lieblingsaussicht? „Vom Andreas- und vom Johannesturm“, sagt Palmowski, ehe er sich über die 140 Stufen in den etwa 30 Meter hohen Südturm der Kaufmannskirche aufmacht.
Während an der Kaufmannskirche die Wartenden in der Sonne schwitzen, bietet der Vorraum des Allerheiligenturms willkommene Abkühlung. Nur oben, auf dem Rundgang, muss Obacht gegeben werden, dass man sich an der Kupferumrandung, sie sich in der Sonne aufgeheizt hat, nicht verbrennt. 154 Stufen sind es hier, die auf den 53 Meter hohen Turm führen. „Vorsicht beim Ausstieg, rechts herum bitte“, macht hier Klaus Karolewski den Einweiser. Der Umgang ist eng, Überholen kaum möglich. „Schauen Sie einfach nicht nach unten“, hat Karolewski noch als Tipp für eine Dame parat, die – oben angekommen – die Brüstung doch als recht niedrig empfindet: „Sind Sie erst draußen, ist sicherlich alles okay. Mittendrin jedenfalls gibt es kein zurück“, spricht der Turmwächter ihr noch Mut zu, als sie vor dem schmalen Austritt zögert und lieber ihren Ehemann vorausschickt...
Markus Krex und Bernadett Möller genießen schon die Aussicht. Erfurt ist ihre Heimat, doch von hier oben hält der Blick noch manche Überraschung parat. „Wie grün Erfurt ist!“, staunen beide. Und wie viele Dachgärten es in der Altstadt gibt, kleine Oasen zwischen den meist rot in der Sonne glänzenden Dächern. Je mehr Menschen sich rechtsdrehend und dicht beieinander um den Turm bewegen, desto schlauer sind alle beim Abstieg: Denn schließlich kann jeder eine Information zur Aussicht beisteuern – um welche Kirche es sich handelt oder welches weltliche Gebäude, welche Straße und welchen Park. Karl Karolewski ist begeistert: „Nur nette Leute“seien ihm in seiner Turmschicht begegnet. Wer weiß: Vielleicht liegt‘s an der guten Höhenluft ...