Ankläger zweifeln an Zschäpes Reue
42-Jährige als Mittäterin der NSU-Morde und Sprengstoffanschläge benannt. Bei Verurteilung droht lebenslange Haft
München. Der NSU-Prozess ist am 375. Verhandlungstag auf die Zielgerade eingebogen. Vier Jahre und drei Monate nach Beginn haben die Ankläger im voll besetzten Münchner Schwurgerichtssaal A101 mit ihren Plädoyers begonnen.
Zuvor forderten gestern Verteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe und von Ralf Wohlleben noch einmal eine Unterbrechung des Verfahrens für anderthalb Stunden, um einen neuerlichen Befangenheitsantrag zu prüfen. Zu Verhandlungsbeginn lehnte der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, erneut das Aufzeichnen des Schlussvortrags der Bundesanwaltschaft ab. Mehrere Verteidiger versuchten seit Tagen, diese Aufzeichnungen durchzusetzen – ohne Erfolg.
In diesem Punkt wird das Verfahren wohl keine Prozessgeschichte schreiben.
Die in Aussicht gestellten Befangenheitsanträge blieben kurz vor der Mittagspause dann aber aus. Als Manfred Götzl Bundesanwalt Herbert Diemer zum Plädoyer aufforderte, bat nun dieser um weitere fünf Minuten Pause. Auch er wurde vom Verhandlungsverlauf überrascht und hatte sein Manuskript im Vorbereitungsraum liegen gelassen.
Er und Oberstaatsanwältin Anette Greger fanden in den nachfolgenden viereinhalb Stunden deutliche Worte für die Taten der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“(NSU). Beate Zschäpe schrieb immer wieder mit. Hörte zeitweise aber auch nur noch regungslos zu. Was die Prozessvertreter der Bundesanwaltschaft vortrugen, kann ihr nicht gefallen. Schon am ersten Tag des Plädoyers wird klar, dass die Ankläger nach der Beweisaufnahme Zschäpe für schuldig halten. Damit droht der 42-Jährigen lebenslange Haft.
Überhaupt zeigt sich die Bundesanwaltschaft überzeugt, dass die Anklage in wesentlichen Punkten durch die Verhandlung bestätigt wurde und damit die fünf Angeklagten schuldig sind. Herbert Diemer stellte aber auch klar, dass es keine Belege für strafrechtliche Verstrickungen staatlicher Behörden gebe.
Dieser Einschätzung widersprach gestern Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler vehement. Nur einen Tag nach dem Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für eine rückhaltlose Aufklärung, sei beim Bundesamt für Verfassungsschutz der Schredder angeworfen worden, kritisierte er nach dem Verhandlungstag. Skeptisch zeigte sich der Anwalt auch, dass der NSU nur aus drei Mitgliedern bestanden haben soll, wie von der Bundesanwaltschaft dargestellt.
Allein während des Prozesses seien 28 Helfershelfer bekannt und teils auch befragt worden, fügte er an.
Nebenklageanwalt Yavuz Narin betonte, dass die Nebenklage zu dieser Einschätzung der Bundesanwaltschaft in den eigenen Plädoyers noch ausführlich Stellung nehmen werde.
Zugleich zeigte er sich erleichtert, dass die Plädoyers begonnen haben und die Bundesanwaltschaft „keinen Zweifel an der Schuld der Angeklagten“gelassen hat.
Die Oberstaatsanwältin sprach davon, dass zwei Narzissten und eine Zahnärztetochter „zehn Jahre lang das Land terrorisiert hatten“, so dass keiner vor ihnen sicher war.
Mit Blick auf die schriftlichen Teileinlassungen Zschäpes und ihre angebliche Unwissenheit bei den Morden bemerkte Greger: Es stelle sich die Frage, wie oft die rechtsextreme Gesinnungsgenossin Zschäpe, die bereits vor dem Untertauchen rechtsextreme Straftaten begangen habe, nach dem Untertauchen von den Morden überrascht gewesen sei. Sie habe sich bereits vor dem Untertauchen für den bewaffneten Kampf ausgesprochen und nach dem Untertauchen mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos das antisemitische Spiel „Pogromly“gefertigt. Ihre Komplizen hätten nicht aus Mordlust getötet, sondern für die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“(NSU). Diese war eindeutig staatsfeindlich ausgerichtet. „Die Taten waren kein Zufall“, so Anette Greger. Wie eine Signatur sei immer wieder dieselbe Waffe verwendet worden. Das fehlende Bekennerschreiben habe zur Verunsicherung unter den türkischstämmigen Kleingewerbetreibenden geführt, sind sich die Ankläger sicher.
Greger macht deutlich, dass die Bundesanwaltschaft Zschäpe nicht abnimmt, dass diese sich von ihrer rechtsextremen Ideologie verabschiedet habe. Dafür gebe es „keine tragfähigen Anhaltspunkte“, betont sie. „Das lange überzeugte Zusammenleben mit zwei überzeugten rechtsextremen Mördern spreche eindeutig gegen einen Gesinnungswandel.“
Und die Anklägerin räumt aus Sicht der Bundesanwaltschaft mit noch einer weiteren Behauptung Zschäpes auf. Diese hatte sich im Prozessverlauf mehrfach als Opfer ihrer Komplizen Mundlos und Böhnhardt dargestellt und ihre Abhängigkeit von den beiden betont. Dabei habe Zschäpe bei ihrer Verhaftung von Mundlos und Böhnhardt als ihrer Familie gesprochen. Zudem zeigte sie auch im Prozess mehrfach ihre Durchsetzungsfähigkeit.
Keine strafrechtliche Verstrickung des Staates
Ankläger bezweifeln Wandel von Zschäpe