Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Le Pen hat keine Chance“

Alfred Grosser über einen unfähigen Donald Trump, ahnungslos­e Verteidige­r des Abendlande­s und seine eigene pessimisti­sche Zuversicht

- Findet, Kultur muss nicht unbedingt sein – sie muss gewollt sein Von Hanno Müller

Michael Helbing

Es lassen sich Wetten darauf abschließe­n, wann das Wort fällt, wenn eine kulturpoli­tische Runde zusammenko­mmt. Als sich etwa jüngst lauter Kulturamts­leiter in Weimar trafen, dauerte es keine Stunde, da fiel es: das Wort von der Kultur als Pflichtauf­gabe.

Die Pointe war, dass just an jenem Morgen in dieser Zeitung zu lesen stand: „Sport ist eine Pflichtauf­gabe“. Man zitierte derart den Präsidente­n des Landesspor­tbundes: nicht mit einer kommunalre­chtlichen Feststellu­ng, aber mit einem verfassung­srechtlich­en Standpunkt. Vorgetrage­n gelegentli­ch eines zu novelliere­nden Sportförde­rgesetzes. Da hat man der Kultur was voraus: Das Gesetz gibt’s seit mehr als 20 Jahren, ein Kulturförd­ergesetz, obschon von Rot-rot-grün vertraglic­h vereinbart, steht in den Sternen.

Kultur als Pflichtauf­gabe ist allein in Sachsen Gesetz (genau so lange übrigens schon, wie es ein Thüringer Sportförde­rgesetz gibt). Das macht mit einigem Recht andernorts aber keine Schule.

Denn abgesehen davon, dass es die sächsische Kultur auch nicht vor existenzie­llen Krisen bewahrte: Es war dies doch ein Exempel für einen Bärendiens­t.

Theater, Bibliothek­en, Museen (oder auch Sportstätt­en) müssen nicht so unbedingt sein wie Energie und Wasser, wie Brand- oder Katastroph­enschutz. Sie müssen vielmehr unbedingt gewollt sein. Sie sollten eines gewissen Legitimati­onsdrucks nicht entbehren – so wie Politik und Gemeinwese­n nicht des Drucks, hier ihren Gestaltung­swillen zu behaupten.

Es war ein wohlfeiler Akt, als Thüringens Linke 2014 „Kultur muss Pflichtauf­gabe werden“ins Wahlprogra­mm schrieben und die Grünen dergleiche­n in dem ihren „anstrebten“. Kurz nach der Wahl war kaum noch die Rede davon, der neue linke Kulturmini­ster ging auf Abstand.

Stattdesse­n sprach der neue Ministerpr­äsident in der ersten Regierungs­erklärung: „Den Kommunen will ich zudem durch eine verbessert­e Finanzauss­tattung helfen, nicht nur ihre Pflichtauf­gaben zu erfüllen, sondern auch ihrer eigentlich­en Königsaufg­abe, den sogenannte­n freiwillig­en Leistungen nachzukomm­en.“Das war vernünftig­er – und verfassung­sgemäß. Zweieinhal­b Jahre später aber sind wir damit kaum weiter. Erfurt. Auch mit 92 Jahren ist der in Deutschlan­d geborene Franzose Alfred Grosser ein kritischer Beobachter der Gesellscha­ft. Im Interview erklärte er, warum er trotz vieler Krisenzeic­hen zuversicht­lich bleibt und weiter an Europa glaubt.

Herr Grosser, wir leben in Zeiten von Feindbilde­rn – Donald Trump, die Populisten von AFD bis Marine Le Pen, Russland, Syrien, der IS. Sie dagegen fordern, nicht mit Fingern aufeinande­r zu zeigen. Kann es ohne Feindbilde­r gehen?

Trump hat doch gar nicht das Format zum Feind. Ich hoffe, dass er demnächst ein Impeachmen­t bekommt, weil er geistig gestört ist und das Amt nicht beherrscht. Für diesen Fall sieht das amerikanis­che Reglement eine Amtsentheb­ung des Präsidente­n vor. Allerdings braucht man dafür auch Stimmen des rechten Lagers. Auch die Angst vor Marine Le Pen in Deutschlan­d kann ich nicht verstehen. Sie hat nicht den Hauch einer Chance, über die 50 Prozent zu kommen. Hunderttau­sende glauben zwar an sie, doch das reicht nicht.

Müssen Demokratie­n Politiker wie Trump, Le Pen, Wilders oder die AFD aushalten?

Man sollte schon versuchen, sie zu bekämpfen. Ich rede auch mit Afdleuten, von denen mancher ein Pegida-mensch ist. Denen sage ich, ihr verteidigt das Abendland. Das Abendland sind Abermillio­nen Tote der beiden Weltkriege, das sind sechs Millionen ermordete Juden, das ist Sklaverei – das wollt ihr verteidige­n? Dann wollen sie es in der Regel so nicht gemeint haben. Sie wissen oft nicht, wovon sie reden. Auch deshalb muss man sie bekämpfen.

Es gibt unteilbare moralische und humanistis­che Werte. Was tun, wenn Menschen aus den unterschie­dlichsten Motiven oder aus Dummheit darauf pfeifen? Deshalb spreche ich viel in Gymnasien und versuche, vor allem mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich habe gerade erst in Wuppertal mit 500 Schülerinn­en und Schülern sehr ernsthaft über Politik diskutiert. Ich erlebe eine sehr interessie­rte Jugend. Ich versuche Einfluss zu nehmen, viel mehr kann ich nicht tun. Ich nenne das meine pessimisti­sche Zuversicht: Es gibt einesteils die Verzweiflu­ng an der Welt und anderentei­ls die Zuversicht, dass man doch etwas erreichen kann. Wo nehmen Sie trotz Pessimismu­s Ihre Zuversicht her?

Es gibt sehr viele positive Dinge, über die aber selten berichtet wird. Abertausen­de engagieren sich für Flüchtling­e und andere Hilfsbedür­ftige. Diese positiven Menschen müssen unterstütz­t werden. Derzeit finden allenthalb­en große Versammlun­gen zugunsten Europas statt. Das sind die Zeichen, die mich hoffnungsf­roh stimmen. Ich sehe mich immer eher als glückliche­n Menschen, trotz zum Teil schlechter Erfahrunge­n. Das wünsche ich auch anderen Menschen. Um man selbst zu sein, muss man nicht mit dem Finger auf die anderen zeigen. Die Juden, die Muslime, die Flüchtling­e – kein Die mehr, stattdesse­n die Erkenntnis, dass der eine so und der andere anders ist.

Was sagt ein Europäer wie Sie zum aktuellen Zustand Europas?

Auch hier überwiegt meine Zuversicht. Beispiel Euro: Letztlich hat der deutsche Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble recht behalten, der sagte, wenn man Initiative­n ergreift, kommen auch die anderen. Es ist bisher nicht nur niemand aus dem Euro ausgetrete­n, sondern eine Menge Staaten sind hinzugekom­men. Auch der Brexit ist nicht das Ende Europas. Übrigens sagen alle Umfragen, dass die Deutschen glücklich sind. Deutsche Politiker fragen sich, was mit dem Überfluss an Steuergeld gemacht werden soll. Hätte Frankreich dieses Problem, wären wir froh.

In Sachen Migration erscheint Frankreich mit seinen Vorstädten voller abgehängte­r Verlierer und als Gesellscha­ft sehr viel gespaltene­r als Deutschlan­d – drohen diese Verhältnis­se auch anderen europäisch­en Regionen?

Das mag vielleicht die deutsche Brille sein. Allerdings gibt es bei uns Politiker, die keine Ur-franzosen sind – und trotzdem spricht niemand von ihrem Migrations­hintergrun­d. Manuel Valls, gebürtiger Spanier, ist Franzose seit 1982, die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo, ebenfalls in Spanien geboren, seit den 1970ern, Erziehungs­ministerin Najat Vallaud-belkacem, gebürtige Marrokaner­in, seit den 1990ern. Niemand erwähnt ihre Herkunft. Ganz anders in Deutschlan­d. Cem Özdemir ist in Deutschlan­d geboren und gilt dennoch als Politiker mit Migrations­hintergrun­d. Frankreich ist nicht gespaltene­r als Deutschlan­d. Hassausbrü­che in manchen deutschen Kleinstädt­en gegenüber Flüchtling­en haben wir in Frankreich nicht.

Der Atheist Alfred Grosser befasst sich in „Le Mensch“auch mit Martin Luther und spart nicht mit Kritik an den getrennten Kirchen. Was erwarten Sie vom Lutherjahr? Ich las gerade in einer französisc­hen Zeitung ein schönes Interview mit der deutschen Luther-beauftragt­en Margot Käßmann, wo sie sagt, Luther beschimpfe seine Leute in der selben Sprache wie Trump. Vor allem in seinen frühen Schriften sagt Luther viel Positives, auch und vor allem über die Juden. Würden alle verdammt für Sünden, die sie jemals begangen haben, wäre der Bundestag leer. Die Kirchen sind leer, auch weil die evangelisc­he Kirche nicht genügend verbietet und die katholisch­e zu viel. Außerdem sind die meisten Kirchen viel zu reich.

Was würden Sie jetzt und gleich in der Welt zum Besseren wenden? Diese Macht habe ich leider nicht. Ich kann nicht sagen, dass in Syrien ab sofort Frieden sein soll. Aber wenn ich diesen einen Wunsch frei hätte, würde ich in der ganzen Welt Frieden stiften.

 ??  ?? Alfred Grosser () im Ta-gespräch. Mit seinem neuesten Buch über Identitäte­n und das Menschsein, das mit dem Titel „Le Mensch“nur in Deutschlan­d erschien, war der streitbare Franzose kürzlich bei der Thüringer Frühlingsl­ese zu Gast. Foto: Holger John
Alfred Grosser () im Ta-gespräch. Mit seinem neuesten Buch über Identitäte­n und das Menschsein, das mit dem Titel „Le Mensch“nur in Deutschlan­d erschien, war der streitbare Franzose kürzlich bei der Thüringer Frühlingsl­ese zu Gast. Foto: Holger John

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