Thüringer Allgemeine (Gotha)

Einstiger Arnoldi-schüler berichtet von seiner Flucht

Der erste Versuch von Günter Heinzel, in den Westen zu gelangen, missglückt­e. Nach Haft in der DDR schaffte er es 1970 nach Westberlin

- Von Klaus-dieter Simmen

Gotha. „Gab es wirklich Fluchthelf­er?“, will die Elftklässe­rin wissen. Die Frage zeigt, wie weit die Zeit für die Jugendlich­en entfernt ist, von der Günter Heinzel erzählt. Und sie zeigt, wie wichtig die Erinnerung daran ist. Heinzel, einst selbst Arnoldisch­üler, flüchtete 1970 nach Westberlin. Eigentlich sollte ihn seine Freundin und spätere Frau auf diesem Weg begleiten. Die Umstände verhindert­en das. Doch der junge Mann setzte in Freiheit alles daran, sie nachzuhole­n, erfolgreic­h.

Seine Geschichte haben schon etliche Schüler der zehnten Klassen des Arnoldi-gymnasiums gehört. Zunächst folgten sie den Spuren von Heinzel in den Stasiunter­lagen auf dem Erfurter Petersberg, dann erlebten sie den Mann im Zeitzeugen­gespräch in der Aula. Das war auch für die aktuellen Zehntkläss­ler am Dienstag so.

Diesmal aber kam der pensionier­te Zahnarzt auch in einer zweiten Mission – als Autor des Romans „Zwei plus vier“. Dass er ihn an diesem Ort präsentier­te, hat guten Grund. Die Wiederbege­gnung mit seiner vormaligen Schule habe für ihn Folgen gehabt, bekennt er. Schulleite­r Clemens Festag hielt ihn an, die Ereignisse jener Jahre literarisc­h darzustell­en. Daraus entstanden zunächst Kurzgeschi­chten, von denen eine mit dem Ingeburgdr­ewitz-preis ausgezeich­net wurde.

Nun also ein Buch, in dem Heinzel auf 360 Seiten von seinem ersten Fluchtvers­uch erzählt, von den Repressali­en, die auch nach Verbüßung der Strafe wegen Republikfl­ucht anhielten, von der Enge in dem Land, das sich so gerne weltoffen nach außen präsentier­te. Und es erzählt die Liebesgesc­hichte von Hanna und Paul, die gerade unter solchen Umständen wächst statt zu zerbrechen.

Unter dem Pseudonym Reinhard Iben arbeitet der Mann seine Geschichte auf, verfremdet und anonymisie­rt. So wird aus Waltershau­sen beispielsw­eise Warterode, aus Gerhard Heinzel der junge Paul Hanfeld.

Zu dieser Lesung der besonderen Art war auch Wolfgang Reiche gekommen, ebenfalls einstiger Arnoldiane­r. Er nutzte den 7. Oktober 1964 zur Flucht nahe Nordhausen über die grüne Grenze. „Das schlug damals in der Schule ein wie eine Bombe“, sagt er. Mit dieser Aktion war er anderen Schülern Beispiel. „Die dachten, was der Reiche kann, kann ich längst.“Einer von denen war Günter Heinzel, auch wenn der es erst im zweiten Anlauf schaffte.

 ??  ?? Günter Heinzel hat ein Buch über seine Jugend und Flucht geschriebe­n. Es ist keine dokumentar­ische Schilderun­g, sondern ein Roman. Den stellte er nun Gothaer Schülern vor. Foto: Klaus-dieter Simmen
Günter Heinzel hat ein Buch über seine Jugend und Flucht geschriebe­n. Es ist keine dokumentar­ische Schilderun­g, sondern ein Roman. Den stellte er nun Gothaer Schülern vor. Foto: Klaus-dieter Simmen

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