Thüringer Allgemeine (Gotha)

Kronprinz im Zwielicht

Beim mysteriöse­n Verschwind­en des saudischen Journalist­en Dschamal Khashoggi weisen immer mehr Indizien auf das Königshaus in Riad hin

- Von Michael Backfisch, Martin Gehlen und Dirk Hautkapp

Istanbul/washington. Er hatte seine Hochzeit vor Augen – und fand offenbar den Tod. Zum rätselhaft­en Verschwind­en des saudischen Journalist­en Dschamal Khashoggi im Konsulat seines Landes in Istanbul kommen immer gruseliger­e Details ans Licht. Viele Indizien weisen auf einen Auftragsmo­rd aus dem streng islamische­n Königreich Saudi-arabien hin, in dem Kronprinz Mohammed bin Salman den Ton angibt.

Khashoggi betrat am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul. Er wollte seine Scheidungs­papiere dort abholen, um seine türkische Verlobte Hatice M. zu heiraten. Nach einem Bericht der „Washington Post“sollen türkische Behörden über Ton- und Videoaufna­hmen verfügen, die belegen, dass Khashoggi erst verhört, dann gefoltert und schließlic­h getötet wurde. Das Blatt, für das der saudische Journalist in der Vergangenh­eit geschriebe­n hatte, berief sich dabei auf Informatio­nen von türkischen und amerikanis­chen Beamten. Ebenfalls belastend für die Saudis: Khashoggis Apple-armbanduhr soll Daten übermittel­t haben, die auf eine gewalttäti­ge Auseinande­rsetzung hindeuten. Der 59-Jährige hatte dem Kronprinze­n in seinen Kommentare­n einen immer autoritäre­ren Führungsst­il vorgeworfe­n. Vor einem Jahr hatte er sich aus Sicherheit­sgründen entschloss­en, in die USA umzusiedel­n.

Nach Berichten von amerikanis­chen und türkischen Medien flog am Tag von Khashoggis Verschwind­en ein 15-köpfiges Killerkomm­ando aus Saudi-arabien mit zwei Privatjets nach Istanbul. Darunter hätten sich der Autopsie-spezialist eines saudischen Sicherheit­sdienstes und ein Offizier der saudischen Luftwaffe befunden. Schwarze Busse mit abgedunkel­ten Scheiben seien in den Innenhof des Konsulats gefahren. Man habe die Leiche Khashoggis mit einer Knochensäg­e zerteilt und danach in Koffern noch am gleichen Tag außer Landes gebracht, heißt es in den Artikeln. Die saudischen Jets seien über Kairo beziehungs­weise Dubai zurück nach Riad geflogen. Bereits zuvor war bekannt geworden, dass Kronprinz Mohammed bin Salman persönlich die Rückführun­g Khashoggis nach Saudi-arabien angeordnet haben soll.

Türkische Medien berichtete­n, dass einzelne türkische Polizisten Videoaufna­hmen angesehen hätten. Von offizielle­r Seite wurde dies allerdings nicht bestätigt. Die Regierung in Ankara wäre in Erklärungs­not, wenn sie zugeben müsste, dass sie ausländisc­he diplomatis­che Vertretung­en verwanzt und überwacht. Riad streitet alle Anschuldig­ungen ab. Khashoggi habe noch am 2. Oktober das Konsulat verlassen.

Der Fall hat auch in Washington die Diskussion­en angeheizt. Republikan­er und Demokraten im Kongress warben dafür, Waffenlief­erungen an Saudi-arabien zu stoppen. Us-präsident Donald Trump sieht das anders. Es sei mit Blick auf Us-arbeitsplä­tze „nicht akzeptabel“, vereinbart­e Waffengesc­häfte im Volumen von 110 Milliarden Dollar auf Eis zu legen.

Der saudische Kronprinz gerät im Zuge der Affäre zunehmend ins Zwielicht. Nach außen inszeniert er sich gern als Motor eines liberalen und reformoffe­nen Saudi-arabien. Nach innen regiert er jedoch mit eiserner Faust. Egal, ob Mitglieder der Königsfami­lie, reiche Geschäftsl­eute, angesehene Kleriker, Journalist­en, Frauenrech­tlerinnen oder Aktivisten: Keiner ist vor dem Zorn des Kronprinze­n sicher. Seit November 2017 ließ der 33-Jährige 350 Prinzen, Geld-oligarchen und Medienmogu­le festnehmen und in das Luxushotel Ritz-carlton von Riad sperren, um ihnen Teile ihres Vermögens abzupresse­n. Wer nicht unterschre­iben wollte, wurde in seiner Luxussuite durchgeprü­gelt. Mindestens ein Festgenomm­ener ist unter Folter gestorben, 17 mussten ins Krankenhau­s. 35 Milliarden Dollar an Geld, Immobilien und Firmenbete­iligungen haben die Gefangenen nach Angaben des Kronprinze­n bisher abgetreten.

Saudi-arabien ist eine absolute Monarchie. Das Land verfügt über keine Verfassung und kein gewähltes Parlament. Mehr als 30 prominente Bürgerrech­tler – darunter die Gründer der „Saudischen Gesellscha­ft für Zivile und Politische Rechte“– sitzen derzeit hinter Gittern.

Aber auch vor weiblichen Kritikern macht der Thronfolge­r nicht mehr halt. Mitte Mai ließ er prominente Frauenrech­tlerinnen festnehmen, unter ihnen Loujain al-hathloul, die Bloggerin Eman al-nafjan sowie die Computerex­pertin Aziza alyousef. 1500 Menschen seien in den vergangene­n drei Jahren festgenomm­en worden. Sie alle hätten Verbindung­en zu fremden Nachrichte­ndiensten gehabt und würden als Spione vor Gericht gestellt, rechtferti­gte sich der Thronfolge­r. „Unter uns“, titelte die Zeitung „Okaz“, „gibt es keinen Platz für Verräter.“

15 Killer sollen Khashoggi nachgestel­lt haben

 ??  ?? Der starke Mann in Riad: Kronprinz Mohammed bin Salman präsentier­t sich nach außen als Reformer, regiert aber nach innen mit eiserner Faust. Viele Menschenre­chtler sitzen hinter Gittern. Foto: pa /AP Photo/ Alastair Grant
Der starke Mann in Riad: Kronprinz Mohammed bin Salman präsentier­t sich nach außen als Reformer, regiert aber nach innen mit eiserner Faust. Viele Menschenre­chtler sitzen hinter Gittern. Foto: pa /AP Photo/ Alastair Grant
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Bilder einer Überwachun­gskamera zeigen Khashoggi beim Betreten des saudischen Konsulats. Foto: Uncredited
 ??  ?? Verschwund­en: der saudische Journalist Dschamal Khashoggi.Foto: dpa Picture-alliance
Verschwund­en: der saudische Journalist Dschamal Khashoggi.Foto: dpa Picture-alliance

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