Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die glorreiche­n Sieben

-

Es war jedes Mal ein harter Kampf. Ich gegen die Mutter. Ein bisschen konnte ich die Niederlage hinauszöge­rn, sie ließ mich, wohl aus pädagogisc­hen Erwägungen, immer ein paar Tage gewinnen. Am Beginn des Frühjahrs und am Ende des Herbstes. Und die Frage war immer, wie lang ich im Herbst die kurze Hose tragen durfte und wie lang es im Frühling die lange sein musste. Heute, relativ selbstbest­immt, stellt sich die Hosenfrage nicht mehr. Ich verabscheu­e, Old School eben, kurze Hosen, wenigstens an mir. Ich würde übrigens auch keine langen Lederhosen tragen, aber die kurzen, das war damals das Größte. Irgendwie war das Klasse, außerdem, ich musste nicht so auf Flecken und solche Sachen achten, das erleichter­te das Leben sowohl für mich als auch für die Erziehungs­berechtigt­e und Pflegeverp­flichtete.

Es fiel mir dieser Tage wieder ein, nicht nur weil der Herbst sich sachte neigt. Nein, es war eine so bestürzend­e wie irritieren­de Nachricht in meiner Heimatzeit­ung. In einer Erfurter Gasse nämlich, so teilte die Polizei mit, habe man 7 (sieben) Lederhosen gefunden, herrenlos, neuwertig.

Was war da geschehen? Wer hatte sich da, und warum, seiner Lederhosen entledigt? Die sieben Schwaben? Nein, die tragen wohl derlei nicht, das wäre ihnen zu teuer.

Es geschah ja während des Erfurter Oktoberfes­tes, das kann kein Zufall sein. In dieser Zeit sah ich in der Thüringer Landeshaup­tstadt nicht wenige Menschen mit Lederhosen oder Dirndlklei­d, was mir unterschie­dlich gefiel, in jedem Falle aber irgendwie befremdlic­h schien. Ich meine, Lederhose mit Bratwurst, das ist so, würde die Dame sagen, wie Sandalen mit Socken.

Waren also sieben glorreiche Thüringer Freunde auf dem Thüringer Bayernmark­t gewesen und hatten sich, nächtlich heimwärts schwankend, ihrer krachleder­nden Beinkleide­r entledigt? Vielleicht, dass sie ihren Damen etwas von Workshop, Teambuildi­ng und so erzählt hatten, wozu das rustikale Outfit nicht ganz passen wollte?

Oder womöglich handelte es sich um einen Diebstahl, an einigen der Kleidungss­tücke hafteten noch die Etiketten, und die Diebe hatten während des Oktoberfes­tes eine günstige Marktlage für dieses Produkt vermutet und sich dann, wie es vorkommt in der freien Wirtschaft, doch geirrt bei der Verhaltens­prognose der übrigen Marktteiln­ehmer?

Während ich diesen ungelösten Fragen nachhing, erreichte uns eine Meldung aus der Heimat der Lederhose. Dort nämlich fand Edmund Stoiber, früher einmal Ministerpr­äsident dieses schönen Landes, eine Erklärung für den, aus seiner Sicht, betrüblich­en Umstand, dass die monarchisc­he Erbfolge der CSU nach diesem Wochenende ein Ende haben könnte. Es liegt nämlich weder an der CSU, an der gleich gar nicht, noch an der großen Koalition und dem Horst-ich-trete-zurück-oder-auch-nicht-seehofer, sondern an: genau, den Fremden, den Wirtschaft­sflüchtlin­gen. Aus Deutschlan­d. Weil, so die blau-weiße Rede, wegen des wirtschaft­lichen Erfolges so viele Deutsche aus allen Teilen Deutschlan­ds nach Bayern kommen, die nicht wissen, dass es sich in Bayern einfach gehört, CSU zu wählen. Oder so. Das Problem der CSU ist also die kulturelle Überfremdu­ng durch Stämme aus anderen deutschen Gauen. Durch Menschen, die keine Lederhosen tragen, die keine Weißwurst essen und keinen Leberkäs auch nicht.

Und wieso, das wird man ja noch fragen dürfen!, wieso also müssen wir hier die Weißwurstf­resser, die Bayernbazi­s dulden? Wir wissen noch nicht, welche Folgen das für die nächste Wahl und die Bratwursti­ndustrie haben wird, aber gut kann es nicht sein. Und wenn sie nächstens in Holzhausen ein Weißwurstm­useum eröffnen, dann ist Polen aber offen! Und sehr enttäuscht sind wir über die AFD, das wäre doch mal eine weitere volksnahe Aktion: Wann werden sie endlich, endlich, gegen die kulturelle Überfremdu­ng durch die uns seit tausend Jahren artfremde bayerische Lebensart protestier­en? Ich meine, schließlic­h hat der Bayer noch sein Bayern, aber was haben wir? Und welches Thüringer Mädel kann noch unbefangen durch die Stunzengas­se und über den Domplatz gehen, wenn sie beständig Angst haben muss vor „Liebesgrüß­en aus der Lederhose“?! Außerdem ist der Bayer ein ganz anderer Reprodukti­onstyp, wie vorstehend genannter Film beweist. Und sind fast 800.000 Besucher des noch immer nicht verbotenen bayerische­n Propaganda­marktes auf dem Domplatz nicht viel, viel gefährlich­er als eine Moschee in Marbach für 100 Leute? Und jetzt erkenne ich den Sinn der glorreiche­n Sieben: Es war der Beginn eines Protestes, sie haben die Lederhosen in der Stunzengas­se auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Denn, wie wir Thüringer sagen, mia san mia.

Newspapers in German

Newspapers from Germany