Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Heiko Maas macht sich zur Zielscheib­e

Für sein Gesetz gegen Hasskommen­tare im Internet erntet der Spd-justizmini­ster Kritik von allen Seiten: Er treffe die Meinungsfr­eiheit

- Von Julia Emmrich, Christian Latz und Miguel Sanches

Berlin. Wer Gesetze macht, muss mit Kritik rechnen. Doch so viel Gegenwind wie in diesem Fall ist selten: Ein breites Bündnis macht Front gegen Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) und sein Gesetz gegen Hasskommen­tare im Internet. Der Vorwurf der Kritiker: Das Gesetz, das Facebook, Twitter und Co. mit Millionens­trafen droht, wenn sie strafbare Beiträge nicht löschen, sei ein politische­r Schnellsch­uss, nicht praxistaug­lich und gefährde am Ende die Meinungsfr­eiheit im Internet. Auch die Justizmini­ster der Länder hätten „zahlreiche Bedenken und Änderungsw­ünsche“, sagte der Vorsitzend­e der Justizmini­sterkonfer­enz, Herbert Mertin (FDP), dieser Zeitung. Das „Facebook-gesetz“macht Maas zur Zielscheib­e.

Was regelt das neue Gesetz?

Schwere Beleidigun­g, Bedrohung oder Volksverhe­tzung: Bereits heute müssen Facebook und Co. Kommentare mit strafbarem Inhalt löschen. Doch weil das in vielen Fällen nicht oder zu spät passiert, macht die Bundesregi­erung nun per Gesetz Druck. Am Freitag befasste sich der Bundestag in erster Lesung mit dem Entwurf des Justizmini­sters. Sein Vorschlag sieht vor, dass soziale Netzwerke ihr Beschwerde­wesen so organisier­en, dass offensicht­lich strafbare Inhalte binnen 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde gelöscht werden, komplizier­tere Fälle nach sieben Tagen. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro.

Wieso fürchten Kritiker um die Meinungsfr­eiheit?

Weil das Gesetz dazu führt, dass private Unternehme­n – und nicht öffentlich­e Gerichte – darüber entscheide­n sollen, ob ein Beitrag strafbar ist oder nicht. Wirtschaft­sverbände, Netzaktivi­sten, Journalist­en, Juristen und selbst Koalitions­politiker warnen deswegen vor einer Privatisie­rung der Rechtsdurc­hsetzung. „Ich kann nicht erkennen, was beispielsw­eise Facebook dafür qualifizie­rt, Inhalte daraufhin zu überprüfen, ob sie rechtswidr­ig sind“, sagt Bayerns Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner (CSU). Viele fürchten, dass aufgrund der knappen Fristen und hohen Strafen Inhalte vorschnell entfernt werden, Facebook, Twitter und Co. könnten in Zukunft also viel mehr löschen als juristisch nötig. In der Folge hieße das: Scharfe Kritik oder auch beißende Satire könnte ohne Not in vorauseile­nder Vorsicht gelöscht werden. „Wir müssen die großen Anbieter hart in die Pflicht nehmen, dürfen sie aber nicht in eine Richterrol­le pressen“, sagt der Grünen-fraktionsv­ize, Konstantin von Notz. Die Justizmini­ster der Länder bemängeln zudem, dass Nutzer, deren rechtmäßig­e Inhalte aufgrund des Gesetzes gelöscht werden, keine Möglichkei­t hätten, hiergegen vorzugehen. Minister Maas aber verteidigt sein Gesetz: „Hass im Netz ist der wahre Feind der Meinungsfr­eiheit“, so der Spd-politiker im Bundestag. „Die gängige Praxis zeigt, es wird nicht zu viel gelöscht, sondern leider viel zu wenig gelöscht.“

Wie solide ist das Gesetz gemacht?

Zu den inhaltlich­en Vorbehalte­n kommt Stilkritik hinzu, etwa, dass der Entwurf „mit heißer Nadel“(Petra Sitte, Linke) gestrickt worden sei und der Minister damit kurz vor Ende der Legislatur­periode „um die Ecke kommt“, wie der Grüne von Notz beklagt. Maas hat lange Zeit auf die Einsicht der Betreiber der sozialen Netzwerke gesetzt. Als ihm dann der Geduldsfad­en riss, war die Legislatur­periode fast zu Ende. Am „Schnellsch­uss“(Dorothee Bär, CSU), der dann folgte, stören sich Politiker deshalb, weil der Entwurf „stark nachgebess­ert“werden müsse, wie Cdu-rechtsexpe­rte Patrick Sensburg bemängelt. Unzufriede­n sind auch die Bundesländ­er, weil der Aufwand sehr groß ist, „da wir insgesamt eine hohe Zahl an Bußgeld- und in der Folge an Gerichtsve­rfahren erwarten“, wie der Mainzer Justizmini­ster Mertin sagt.

Warum steht Maas auch persönlich in der Kritik?

In den ersten Jahren der großen Koalition galt der Sozialdemo­krat als Aktivposte­n im Kabinett: Strafrecht­sreform, Mietpreisb­remse, klare Kante gegen Pegida. Im Sommer 2015 aber kippte die Stimmung. Missfallen erregte die Ablösung von Generalbun­desanwalt Harald Range, der gegen eine Blogger-gruppe wegen Landesverr­ats ermittelt hatte. Range behauptete, der Minister habe ihn angewiesen, ein belastende­s Gutachten zu stoppen. Maas widersprac­h. Einmischun­g – zumindest indirekt – wurde ihm auch im Herbst 2016 vorgeworfe­n, als er parallel zu den Ermittlung­en im Fall Ginalisa Lohfink sein Plädoyer für ein härteres Sexualstra­frecht bekräftigt­e. Lohfink hatte zwei Bekannte angezeigt, weil sie sie angeblich vergewalti­gt hatten. Sie bekam vor Gericht kein Recht. Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) soll damals gesagt haben, „ein anständige­r Minister müsste da zurücktret­en“. Inzwischen gilt Maas vielen nur noch als „Ankündigun­gsminister“. Das Urteil des Cdu-politikers Patrick Sensburg fällt vernichten­d aus: „Den Ankündigun­gen von Justizmini­ster Maas sind nur in wenigen Fällen brauchbare Gesetzgebu­ngsverfahr­en gefolgt“, sagt er dieser Zeitung. Grünen-politiker von Notz wirft dem Spd-minister vor, er würde zu häufig in Tvtalkshow­s auftreten, aber in seinem Amt zu viele Themen aussitzen.

 ??  ?? Einsamer Minister: Von allen Seiten kommt Kritik an Heiko Maas’ Gesetz gegen Hasskommen­tare im Internet. Foto: dpa
Einsamer Minister: Von allen Seiten kommt Kritik an Heiko Maas’ Gesetz gegen Hasskommen­tare im Internet. Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany