Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Expression­ismus trifft Pop-art

Mit einer hochkaräti­gen Schau durchschre­itet Nordhausen­s Kunsthaus Meyenburg das 20. Jahrhunder­t

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uns zum anderen aber auch etwas über eine Dialektik der Kunst – über Bewegung und Gegenbeweg­ung, über Anregung und Abgrenzung – vor der wir heute fasziniert und zugleich etwas fassungslo­s stehen. Denn in einem Zeitalter, das wenig Neues unter der Sonne hervorzubr­ingen scheint, funktionie­rt jeder dieser Kunststile, der eine Haltung verkörpert, vor unserem Auge gleicherma­ßen. Sie haben sozusagen irgendwie alle recht. Anything goes. Alle, das meint in diesem Fall 70 Gemälde und Grafiken (sowie ein Objekt) von 42 Künstlern. Dass sie hier unter dem Titel „Aus dem Verborgene­n an die Öffentlich­keit“versammelt sind, verweist auf ihre gemeinsame Herkunft. Sie stammen aus einer über 2000 Werke umfassende­n und ein wenig willkürlic­h zusammenge­tragenen Kunstsamml­ung eines Versicheru­ngskonzern­s: der Talanx und der darin aufgegange­nen Gerling-gruppe (HDI).

Von einer ungeordnet­en Präsentati­on in Leuna abgesehen, wird die Sammlung in Nordhausen erstmals öffentlich. Eine Kölner Kunsthisto­rikerin, die sie betreut, wählte dafür 90 Werke aus, zu denen sich Susanne Hinsching eine Konzeption einfallen ließ: eine Zusammenst­ellung nach kunstgesch­ichtlichen Epochen, die Vergleiche ermöglicht.

So können nun sehr bekannte Künstler mit zum Teil weniger bekannten Bildern zu schönen Entdeckung­en nach Nordhausen locken: in eine den Werten nach sehr teure Ausstellun­g, die das Kunsthaus jedoch nichts kostet. Allein schon die Versicheru­ngssumme hätte man sich gar nicht leisten können. Doch tritt der Sammler auch als Sponsor auf. Den Klassiker der Gegenübers­tellung, wie er zuletzt in Berlin und auch in Nordhausen bereits ausführlic­h zu erleben war, finden wir gleich zu Beginn: Ein expression­istisch kantiges München-bild von Raoul Dufys (1909) trifft auf eine flirrend impression­istische Abendszene mit Lichtspieg­elungen aus Berlin, Lesser Urys „Die nasse Straße“, ungefähr zur gleichen Zeit entstanden.

Lauter Zirkusmoti­ve großer Künstler folgen im Herbst

Wir erinnern uns, dass Bauhäusler alles andere als einen einheitlic­hen Stil pflegten, wenn wir Paul Klees filigrane Federzeich­nung „Porto Ferraio“und Oskar Schlemmers „Konzentris­che Gruppe“in Öl betrachten. Eine Zeitgenoss­in dazu stellt Edvard Munchs Kreidelith­ografie „Liegender Halbakt“dar, auch so ein Höhepunkt der Schau: eine Frau in der Landschaft, mit der ihr langes Haar sich verbindet, zu der sie selbst wird. Das alles finden wir im Obergescho­ss, das wir irgendwann mit einem abstrakt-expression­istischen Farbfläche­n-gemälde von Ernst Wilhelm Nay hinter uns lassen: „Weißfigura­tion und Blau“, anno 1967. Wir steigen hinab zur nächsten Gegenbeweg­ung, auf die man bereits stößt, wenn man das Haus betritt: auf Pop-art und Andy Warhol. Da hängen seine Siebdruck-porträts der Schauspiel­erin Janet Villella (1979). Dem Konkreten folgt wieder Abstraktes: mit optischen Täuschunge­n des Op-art-künstlers Victor Vasarely. „Drei Drahtseila­rtisten mit Springseil und Schirmen“übrigens, eine Kaltnadelr­adierung des Expression­isten Ernst Ludwig Kirchners, sind zwischendu­rch zugleich kühn geschwunge­ne Vorboten der großen Herbstauss­tellung im Kunsthaus Meyenburg: mit lauter Zirkusbild­ern. Ein privater Sammler trug zum Thema 900 Werke zusammen.

Zu sehen noch bis zum . Juni.

 ??  ?? Museumslei­terin Susanne Hinsching im Kunsthaus Meyenburg vor Pablo Picassos Lithografi­e „La femme-fleur“, ein Porträt seiner Partnerin Françoise Gilot von . Foto: Marco Kneise
Museumslei­terin Susanne Hinsching im Kunsthaus Meyenburg vor Pablo Picassos Lithografi­e „La femme-fleur“, ein Porträt seiner Partnerin Françoise Gilot von . Foto: Marco Kneise

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