Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

-SCHRITT FÜR SCHRITT-

- Von Andrea Hahn

Die Katze hat beim Klettern das Regal abgeräumt und jetzt liegt der gute Keramiktel­ler in Scherben. Nun kann man die Stücke zusammenfü­gen und hoffen, dass es mit ruhiger Hand gelingt, die Bruchstell­en so zu kaschieren, dass das Schmuckstü­ck wieder wie neu aussieht. Oder aber man geht einen anderen Weg und setzt den Bruch bewusst in Szene. Schließlic­h erzählen Risse und Unvollkomm­enheiten auch eine Geschichte.

In Japan ist vor rund 500 Jahren aus eben diesem Gedanken eine ganz besondere Reparaturt­echnik für Keramik entstanden. „Kintsugi“bedeutet übersetzt soviel wie „Goldverbin­dung“oder „Goldflicke­n“. Kaputtes Porzellan wird mithilfe des aus dem Harz des ostasiatis­chen Lackbaums gewonnenen Urushilack­s geklebt. Das Besondere: Dieser bleibt nicht klar und sichtbar, sondern wird mit Goldstaub oder Blattgold überzogen. Wie edel schimmernd­e Adern durchziehe­n die Risse so die Keramik und geben ihr ein neues Muster. Hinter „Kintsugi“steckt ein ästhetisch­es Prinzip, genannt „Wabi Sabi“. Dieses wurde erstmals im 16. Jahrhunder­t von japanische­n Teemeister­n formuliert — wenn auch der Gedanke dahinter schon viel älter ist. „Wabi Sabi“ehrt die Dinge, egal wie alt, verschliss­en oder vergänglic­h sie sind. Patina und Imperfekti­on werden wertgeschä­tzt und der Makel zum Schmuck erhoben.

Wer sich als Laie einmal am „Kintsugi“-handwerk versuchen möchte, findet die passenden Zutaten bei deutschen und japanische­n Anbietern im Internet oder ersetzt den Urushi-lack durch Epoxidharz aus dem Baumarkt. Für Geschirr, das nicht nur zur Dekoration bestimmt ist, sollte jedoch echter Urushi-lack verwendet werden, denn dieser ist lebensmitt­elsicher.

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Dieser Teller hat die besten Tage noch vor sich und an Stabilität nichts eingebüßt. FOTO: GUISKARD STUDIO

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