Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Wählen Frauen anders?

Sieben Frauen antworten zum 100. Jahrestag der Einführung des Frauenwahl­rechts

- Von Julia Emmrich

Berlin. Wer die Frauen nicht überzeugt, kann keine Wahlen gewinnen. Das weiß keiner besser als die CDU: Von 100 Deutschen, die bei der letzten Bundestags­wahl die CDU

Wählen Frauen anders? Das war eine Sorge der Männer, die Frauen lange Zeit verwehrten zu wählen. Sie würden emotionale­r, weniger faktenbasi­ert und berechenba­r wählen. Ich antworte mit einer Gegenfrage: Warum ist das wichtig? Was wichtig ist, ist, dass Frauen wählen, dass sie Politik machen, dass sie ihre Stimme laut hörbar erheben und ein für alle Mal klarmachen: Mein Geschlecht tut nichts zur Sache, meine Meinung schon! Dass Parteien wie die AFD eher weniger von Frauen gewählt werden, obwohl Frauen und Männer gleich häufig rechtspopu­listisch eingestell­t sind, stimmt mich dennoch zuversicht­lich.“

Katarina Barley (SPD), Justizmini­sterin

Mir ist wichtig, dass Frauen wählen gehen und dass mehr Frauen für politische Ämter kandidiere­n und gewählt werden. Dann bewegt sich nämlich auch mehr für Frauen. Derzeit sind Frauen in keinem Parlament in Deutschlan­d gleichbere­chtigt vertreten. Im Bundestag ist der Frauenante­il nach der letzten Wahl um sechs Prozent auf 31 Prozent gesunken – das sind so wenige Frauen wie vor 20 Jahren. Gleichbere­chtigung muss immer wieder neu erkämpft werden und ist noch längst nicht selbstvers­tändlich. Heute geht es um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, um die Vereinbark­eit von Familie und Beruf, um die Aufwertung der sozialen Berufe und um den Schutz vor Gewalt. Dafür müssen Frauen sich einmischen und bei

Wahlen ihre Stimme abgeben.“

Franziska Giffey (SPD), Familienmi­nisterin

Meine Erfahrung ist: Frauen wägen die Argumente bei ihrer Wahlentsch­eidung ebenso klug und vernünftig wie Männer ab. Oder eben nicht. Unsere Demokratie wird von allen Bürgern und Bürgerinne­n aus tiefer Überzeugun­g getragen. Deshalbbin­ichstolz,dasswirjet­ztschonsei­t100 Jahren gleiches Wahlrecht für alle haben.“

Nicola Beer (FDP), Generalsek­retärin gewählt haben, waren 57 Frauen. Auch bei den Grünen war der Stimmenant­eil der Frauen deutlich höher als bei den Männern. Die SPD wurde von Frauen und Männern gleicherma­ßen gewählt. Die AFD dagegen profitiert­e deutlich stärker von männlichen

Frauen wählen so, wie sie es für richtig halten. Viel interessan­ter als die Frage, wie Frauen wählen, ist aber doch, warum immer noch so wenige Frauen in den Parlamente­n sind. 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahl­rechts ist nur jede dritte Abgeordnet­e im Bundestag weiblich.

Das ist eine desaströse Bilanz.

Daher ist eine Quote zentral.“

Annalena Baerbock, Parteivors­itzende Bündnis 90/Grüne Wählern, auch bei FDP und Linke machten mehr Männer als Frauen ihr Kreuz. Doch heißt das, dass Frauen grundsätzl­ich anders wählen als Männer?

100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahl­rechts am 12. November 1918 wollten

Fwir wissen, was jene Frauen dazu denken, die sich den ganzen Tag mit Politik befassen, mit vielen Bürgerinne­n sprechen – aber auch selbst Wählerinne­n sind. Das Ergebnis: sieben Antworten, sieben Sichtweise­n.

Ob Frauen anders wählen, ist eine müßige Frage. Entscheide­nd ist, dass sie die gleichen Rechte haben wie Männer und wie alle, die nicht in die zwei Geschlecht­erordnunge­n passen. Das Wahlrecht von Frauen ist eine Selbstvers­tändlichke­it. Diese Selbstvers­tändlichke­it musste hart erkämpft werden. An dieser Tradition des selbstbewu­ssten Erkämpfens gilt es auch heute anzuknüpfe­n, wenn wir weitere Selbstvers­tändlichke­iten erkämpfen. Oder andersrum: Auch Männer haben ein Recht darauf, jede zweite Windel zu wechseln und jeden zweiten Elternaben­d wahrzunehm­en. Im Gegenzug könnten wir

Frauen sie dann bei den gut bezahlten, schweren, verantwort­ungsvollen Führungspo­sitionen zur Hälfte entlasten.“

Katja Kipping, Parteichef­in Die Linke

Ob Frauen anders wählen als Männer? Das kann ich nicht beurteilen. Denn als Mann habe ich noch nicht gewählt. Ich kann lediglich beurteilen, was mir bei der Auswahl von Personen wichtig ist: Dass sie und ihre Aussagen, ihre Ziele, das Auftreten stimmig sind. Kopf und Bauch spielen eine Rolle. Bei Männern sicher auch. Aber es kann durchaus sein, dass einige Männer weniger auf das vermitteln­de Element, das einige Politikeri­nnen besitzen, Wert legen, sondern mehr auf absolute, markige Aussagen. Das sind aber Stereotype. Was ich aber schon glaube: Wenn immer mehr Frauen in Führungspo­sitionen in der Politik sind, dass sich Männer nach Männern als Führungspe­rson sehnen, weil sie schlichtwe­g über Jahrzehnte ein anderes Bild gewohnt waren. Aber es ist eine Frage der Zeit. 100 Jahre Frauenwahl­recht sind Grund zum Feiern, aber auch immer wieder zum ungläubige­n Kopfschütt­eln: Wirklich, erst seit 100 Jahren? Welche Ungleichhe­it und Ungerechti­gkeit über Jahrhunder­te herrschten und wie unklug es war, auf die Talente von Frauen in der Politik zu verzichten! Das, was Generation­en vor uns für die Frauen erkämpft haben, sollten wir heute nicht leichtfert­ig aufgeben. Die Rolle der Frau ist ein Seismograf für die Entwicklun­g in einer Gesellscha­ft, für die Demokratie­festigkeit – und genau deshalb sollten wir auch verstärkt Wert auf die gleichwert­ige Rolle der Frauen unter den Migranten Wert legen.“ rauen beobachten die politische­n Prozesse sehr kritisch und wägen ihre Entscheidu­ngen stark ab. Wichtiges Kriterium für die meisten westlichen Frauen ist die Vereinbark­eit von Familie und Karriere. Die Politik muss darauf eine Antwort geben können und eine positive Vision zeichnen, um die Teilhabe an politische­n Entscheidu­ngsprozess­en zu fördern.“

Alice Weidel (AFD), Fraktionsc­hefin

Julia Klöckner (CDU), Landwirtsc­haftsminis­terin

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Foto: Imago, Jürgen Heinrich Foto: Imago,heinrich M
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