Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Mühlhäuser Praxis reinigt Blut und kann mit Patienten feiern
Seit 25 Jahren behandeln Ärzte Menschen, die an seltenem Gendefekt leiden. Größte Spezialsprechstunde in Thüringen
Mühlhausen. Zu viel Cholesterin, sprich Fett, im Blut ist gefährlich. Weil es das Blut verdickt, kann das zu Herzinfarkten, Schlaganfällen oder zu verstopften Beinarterien führen. Normalerweise kann der Körper die Verstoffwechselung von Fett gut alleine händeln. Es gibt allerdings Menschen, deren Körper das nicht oder nur schlecht regeln können.
Das sei genetisch bedingt, also vererbt, erklärt Michael Scholl vom Dialysezentrum Mühlhausen und Bad Langensalza. Deutschlandweit seien etwa 3500 Menschen von diesem Gendefekt betroffen.
Seit 25 Jahren behandeln er und seine Kollegen nun solche genetisch erkrankten Patienten mit der sogenannten Lipidapherese-therapie. Dieses Jubiläum wurde am Donnerstagabend im Rahmen einer Festveranstaltung im Puschkinhaus gefeiert.
Größtes Zentrum für Apherese-therapie
Die Apherese sei mit der Dialyse vergleichbar, so Scholl. Die Dialyse entzieht dem Blut Wasser und Giftstoffe, die Apherese presst Fette ab.
1993, zwei Jahre nach der Praxisgründung, wurde im Mühlhäuser Dialysezentrum mit dieser zusätzlichen Therapie begonnen. Wissenschaftliche Neugier sei es gewesen, die die Ärzte zu dem Schritt bewegte, diese Art der Therapie in ihr Behandlungsprogramm aufzunehmen. „Damals war das noch eine Rarität. Es gab nicht viele Praxen, die solch eine Therapie anboten“, so Scholl. Bis 2008 behandelte die Mühlhäuser Gemeinschaftspraxis maximal drei Patienten. Heute sind es etwa 40, denen hier geholfen wird. „Damit sind wir das größte Apherese-zentrum in Thüringen“, so Scholl. Zu einer Therapie zugelassen werden in den aller meisten Fällen nur die Patienten, die bereits einen Schlaganfall oder Herzinfarkt hatten – denn eine solche Therapie ist teuer. Eine Sitzung koste die Krankenkassen um die 1200 Euro, so der Facharzt.
Während der Festveranstaltung am Donnerstagabend stellten die Ärzte zwei spezielle Fälle aus ihrer Praxis vor.
Tina Ungewitter aus Gräfentonna kommt zur Apherese seit sie 24 Jahre alt ist, berichtet Uta Kästner. Sie ist ebenfalls behandelnde Ärztin in der Gemeinschaftpraxis. „Im Pfingsturlaub hatte Frau Ungewitter Schmerzen in der Brust. Dass das ein Herzinfarkt sein könnte, war ihr zu dem Zeitpunkt nicht bewusst.“Ein zu hoher Cholesterin-wert wurde festgestellt, der mit Medikamenten nicht wesentlich verringert werden konnte. Auch ihre Familie wurde untersucht. Dabei stellte man fest, dass beide Brüder am gleichen Gendefekt leiden.
Mit 25 Jahren wollte Tina Ungewitter schwanger werden. „Das stellte uns vor eine große Herausforderung“, so die Ärztin. Alle Medikamente mussten abgesetzt werden – trotzdem ging die Patientin jede Woche zur Apherese. Per Kaiserschnitt kam dann ohne Komplikationen ein kleiner Junge zur Welt. Ob auch der Sohn an dem Gendefekt leidet, könne man erst feststellen, wenn er zwei Jahre alt ist.
„Ich lasse ihn aber auf jeden Fall testen“, sagt die Mutter.
„Maritta Künl ist seit dem ersten Tag dabei“, berichtet Michael Scholl weiter. Sie begann ihre Therapie fast zeitgleich mit der Einführung des Verfahrens. Sowohl ihre Urgroßmutter, ihre Großmutter als auch ihre Mutter hatten bereits Herzleiden. Auch ihr Bruder sei betroffen, sagt die 79-Jährige.
Sie selber habe es an ihre Tochter und das Enkelchen weitergegeben. Einmal in der Woche, immer mittwochs, geht sie zur Therapie, erzählt Maritta Künl. Drei Stunden dauert die Sitzung. „Danach bin ich immer sehr müde. Ich merke, dass es meinen Kreislauf belastet.“Im Alltag achtet die Seniorin auf ausgewogene Ernährung. Nicht zu viel Fett, wenig Zucker. „Man muss die Krankheit annehmen – jammern bringt doch nichts“, sagt sie.
Ab nächster Woche wird der Bereich für Apherese-patienten erweitert, so Scholl und Kästner. Dann stehen insgesamt zwölf Plätze für die Behandlung zur Verfügung. Die Ärzte sind beide Spezialisten auf dem Gebiet der Lipidologie. In einer ambulanten Sprechstunde behandeln sie über hundert weitere Patienten auf Basis von Medikamenten.