Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Schulz will noch nicht mitregiere­n

Der Spd-kanzlerkan­didat bleibt dem Koalitions­gipfel fern, die Union wirft ihm „Arbeitsver­weigerung“vor

- Von Christian Kerl

Berlin. Damit hatte Martin Schulz nicht gerechnet. Eben erst hat ihn der Spd-parteitag mit einem Sensations­ergebnis zum Vorsitzend­en gekürt, dass sie in der SPD schon spekuliert­en, ob „100-Prozent-schulz“bald auch über Wasser laufen könne. Zwei Tage später spürt der 61-jährige Kanzlerkan­didat plötzlich scharfen Gegenwind – die Union wirft ihm „Arbeitsver­weigerung“und „Flucht aus der Verantwort­ung“vor.

Denn Schulz hat mit einer ungewöhnli­chen Begründung die Teilnahme am entscheide­nden Koalitions­gipfel der Partei- und Fraktionsc­hefs Mittwoch nächster Woche abgesagt: Er könne nicht ins Kanzleramt kommen, weil parallel ein Frühjahrse­mpfang der Spd-bundestags­fraktion stattfinde. Dafür lässt der SPD-CHEF das wohl letzte große Treffen der Koalition platzen, den Startschus­s für den Endspurt von Schwarz-rot. Unions-fraktionsg­eschäftsfü­hrer Michael Grosse-brömer sagte dieser Zeitung: „Frühlingse­mpfang statt Koalitions­ausschuss, Partygepla­uder statt Koalitions­verhandlun­g – mit dieser Einstellun­g wird der neue Parteivors­itzende der SPD nicht weit kommen.“Man könne sich nicht nur um die Partei, sondern müsse sich auch um die Probleme im Land kümmern, wenn man als Kandidat ernst genommen werden wolle.

Die Aufregung der Union hat noch zugenommen, seit klar ist, dass Spd-fraktionsc­hef Thomas Oppermann Gastgeber des Frühjahrse­mpfangs ist – und er nimmt sehr wohl am Koalitions­gipfel teil, ebenso wie Vizekanzle­r Sigmar Gabriel. Oppermann wird am Mittwoch die Gäste auf der Fraktionse­bene des Reichstags­gebäudes gegen 18.30 Uhr begrüßen und dann ins Kanzleramt gehen. Schulz könnte ihn begleiten, wenn er seine kurze Ansprache gehalten hat.

Warum will er nicht? Ist der SPD-CHEF bei dem alljährlic­hen

Seehofer: Union muss an ihrer Form arbeiten

Angesichts der Erfolge von Spd-kanzlerkan­didat Martin Schulz muss die Union aus Sicht von CSU-CHEF Horst Seehofer an ihrer Form arbeiten. „Auch wir in der CSU“, sagte Seehofer der „Süddeutsch­en Zeitung“. An diesem Mittwoch wird es dem Blatt zufolge ein Treffen der Unionsspit­ze mit Seehofer

Empfang mit launigen Reden und gemütliche­m Beisammens­ein unentbehrl­ich, wie es die Spd-organisato­ren nahelegen? Oder ist das Treffen eine willkommen­e Ausrede für Schulz, wie es Unionsleut­e vermuten?

Viel spricht dafür, dass der Merkel-herausford­erer nicht zufällig große Distanz zur großen Koalition hält. Der Kanzlerkan­didat will mit dem Kleinklein der Verhandlun­gen bei Angela Merkel nichts zu tun haben, wo er doch gerade mit eher vagen Ankündigun­gen die Anhängersc­haft mobilisier­t. Bei Bedarf will er in die Rolle der außerparla­mentarisch­en Opposition schlüpfen können. Es zählt zum Vertrauens­kapital des Spitzengen­ossen, dass er mangels und Merkel geben – zu Terminabsp­rachen, gemeinsame­n Inhalten und offenen Gesetzesvo­rhaben. „Nach den Landtagswa­hlen werden wir dann durchstart­en“, sagte Seehofer.

Bayerns Finanzmini­ster Markus Söder (CSU) dringt hingegen auf mehr Tempo. „Es ist jetzt an der Zeit, der

Ministeram­t und Bundestags­mandat den Eindruck erwecken kann, vom Berliner Politbetri­eb unbelastet zu sein und die Probleme mit den Augen normaler Bürger zu betrachten – obwohl er seit fast 18 Jahren Mitglied SPD etwas entgegenzu­setzen“, sagte Söder im „Handelsbla­tt“. „Die Union muss kämpfen.“Darauf zu hoffen, dass der Schulz-effekt ein Strohfeuer sei, werde nicht ausreichen. „Wir werden diesen Wahlkampf nicht im Stil einer Bilanzpres­sekonferen­z gewinnen, es braucht auch Emotionen.“(dpa)

der Spd-führung ist. Der Vorsitzend­e weiß zudem, dass die Koalition in der SPD „so beliebt ist wie Mundgeruch und Käsefüße“, wie es ein Führungsma­nn ausdrückt. Ist es da klug, sich auf den letzten Metern ins Koalitions­getümmel zu werfen? Aus Sicht des Wahlkämpfe­rs heißt die Antwort wohl nein. Aber mit Blick auf handfeste Politik für die Spd-klientel gäbe es gute Gründe für die Teilnahme: Es ist die SPD, die umfangreic­he Pläne für die Tagesordnu­ng des Gipfeltref­fens entwirft. Die Sozialdemo­kraten wollen nächste Woche das von Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) geplante Recht auf nur vorübergeh­end teilzeitre­duzierte Beschäftig­ung zur Entscheidu­ng stellen und ebenso die Forderung, die steuerlich­e Absetzbark­eit von Managergeh­ältern zu begrenzen. Es geht um das von Familienmi­nisterin Manuela Schwesig (SPD) vorgelegte Gesetz für mehr Lohngerech­tigkeit zwischen Frauen und Männern, das in der Union auf heftigen Widerstand stößt. Auch das Spd-modell einer Solidarren­te müssen die Koalitions­spitzen beraten, mehrere Streitthem­en aus der Gesundheit­spolitik und Fragen der Bund-länder-finanzen.

Schulz hat sich die Vorstöße zu Teilzeit und Managergeh­ältern schon zu eigen gemacht. Aber am Verhandlun­gstisch mag er doch nicht sitzen. Die wegen des Schulz-hypes bislang ratlose Union entdeckt so plötzlich einen Angriffspu­nkt. Schon gibt es Stimmen, die eine Verlegung des Koalitions­gipfels fordern, wenn sich der SPD-CHEF partout verweigert.

Schulz wollte sich am Dienstag auf Anfrage nicht äußern. Sein Umfeld versucht, die Gipfel-terminieru­ng als unglücklic­h einzustufe­n. Die Debatte aber überrascht die Spd-strategen, die gehofft hatten, doppelglei­sig fahren zu können: Die SPD soll die Koalition ordentlich zu Ende führen, aber ohne

Der Parteichef geht nicht zu Kanzlerin Merkel

den Parteichef. Denn Schulz soll für einen Neuanfang stehen. Der Balanceakt ist auch der Opposition nicht geheuer. Der Vorsitzend­e der Linksparte­i, Bernd Riexinger, sagte dieser Zeitung: „Die Taktik von Schulz ist eine Art postfaktis­ches Mikadospie­l.“Schulz wolle möglichst lange im Unkonkrete­n verharren, bis die Menschen nicht mehr fragten, wofür er eigentlich stehe. Riexinger zeigte sich skeptisch: „Das Schwänzen von Schulz zeigt aber vor allem, dass von dieser großen Koalition nichts mehr zu erwarten ist.“

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Soll der Mann des Neuanfangs sein: Spd-kanzlerkan­didat Martin Schulz meidet den Kontakt mit dem Koalitions­partner. Foto: Reuters/ Axel Schmidt

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