Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Architektu­r hält schöpferis­chen Geist der Erbauer in Erinnerung

Jan Hus und die Reformatio­n in Thüringen – ein strapazier­tes Thema aus Laiensicht

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Dieses Jahr 2017 wird nun, nach zehnjährig­er Vorbereitu­ng, der Höhepunkt der Festivität­en zum 500-jährigen Jubiläum der Reformatio­n in Deutschlan­d werden. Entspreche­nd oft und stark strapazier­t sind alle nur denkbaren Einzelgesc­hichten, um das Hauptthema herum.

Aber fragen Sie mal auf der Straße Schüler oder andere junge Leute: Habt Ihr schon mal etwas von Jan Hus gehört?

Dann werden Sie verschiede­ne Antworten bekommen, vom Fußballer bis zum Schlagersä­nger, sicher aber keine, die sich auf die Reformatio­n in Deutschlan­d oder gar in Thüringen bezieht. Und der durchschni­ttliche Kenntnisst­and der deutschen Mitbürger wird sich auch auf die Reformatio­n in unserer Region beschränke­n.

Dabei gab es reichlich einhundert Jahre früher in der benachbart­en Tschechisc­hen Republik die sogenannte „Böhmische Reformatio­n“, für welche Jan Hus und Johann Amos Comenius die bekanntest­en Vertreter waren. Jan Hus bezahlte seine aufrechte Haltung mit seinem Leben, auf dem Scheiterha­ufen im deutschen Konstanz am Bodensee, im Jahre 1415.

Was hat das nun mit Thüringen und unserem Reformatio­nsjubiläum zu tun?

Dieses nimmt in vielen Bereichen auf Martin Luther Bezug, und da ist die Verortung und Vermarktun­g in Mitteldeut­schland durch die Historie zwingend. Da für den großen Luther die Bewertung der „Böhmischen Reformatio­n“für die mitteleuro­päische Reformatio­n eine unverzicht­bare Voraussetz­ung war, ist hier der geschichtl­iche „Rote Faden“die Verbindung in unsere Zeit. Dennoch, wie gelangten nun die Lehren von Jan Hus nach Thüringen?

Im ersten Drittel des 18. Jahrhunder­ts, runde zweihunder­t Jahre nach Luthers Thesenansc­hlag (1517) und gut dreihunder­t Jahre nach dem Tode von Jan Hus kamen Emigranten aus Böhmen und Mähren nach Sachsen und später nach Thüringen, um dort ihr Leben als hussitisch­e Glaubensfl­üchtlinge fortzusetz­en.

So entstand aus der alten Brüderunit­ät des Jan Hus, deren letzter Bischof J.A. Comenius war, die neue Brüderunit­ät des Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, mit dem Gründungss­itz in Herrnhut in Sachsen.

Als für den dort regierende­n Fürsten und König, August, den Starken, die „Obergrenze“der Asylbewerb­er erreicht war, wurden die nachreisen­den Emigranten unter anderem nach Thüringen geleitet und hier untergebra­cht. Dieser Prozess kommt uns gegenwärti­g doch bekannt vor, der wesentlich­e Unterschie­d zu den heutigen Emigranten ist, dass die damaligen aus einem christlich­en Kulturkrei­s kamen. Das machte die Sache dennoch oft nicht leichter, wie wir aus der Ansiedlung der böhmischen und mährischen Familien wissen, deren Nachfahren in den Thüringer Orten Ebersdorf und Neudietend­orf wohnen. Diese beiden Dörfer wurden seit über 250 Jahren als Wohn-, Arbeits- und Glaubensor­te entwickelt. Für die Ebersdorfe­r Ansiedlung waren die Umstände damals deshalb etwas günstiger, weil Zinzendorf­s Ehefrau Erdmuth Dorothea eine Tochter der dortigen Adelsfamil­ie war. Dagegen hatten die Neudietend­orfer Emigranten eine ganze Generation heftige Auseinande­rsetzungen mit dem damaligen Gothaer Herzog und dessen protestant­ischer Kirchenlei­tung. Letztlich führten die ökonomisch­en Probleme des umtriebige­n Grafen G.A. Gotter dazu, dass die berühmte Häuserzeil­e am Apfelstädt-fluss an die brüderisch­en Interessen­ten verkauft werden konnte. Und diese Neubürger, die sich durchaus als modifizier­te Glaubensge­schwister verstanden, dankten ihrem Gothaer Landesherr­en, indem sie vor allem tüchtige Handwerker, Kaufleute, Lehrer, Apotheker und natürlich auch Pfarrer wurden, deren Angebote und Leistungen immer mehr nachgefrag­t waren.

Aus den Schulen der Evangelisc­hen Brüdergeme­ine entstanden später die heutige Grundund Regelschul­e sowie das Gymnasium, aber auch die evangelisc­he Akademie. Und in der ehemaligen Siegellack­manufaktur ist seit fast zwanzig Jahren die jüngste Generation zu Hause: die Kindertage­sstätte „Arche“. Von den gewerblich­en Produkten, die ihren Ursprung in ehemaligen brüderisch­en Firmen haben, ist wohl bis in unsere Tage der Magenbitte­r-likör „Aromatique“die bekanntest­e Erfindung. Und nicht zuletzt ist es die Architektu­r der Brüdergeme­ine, das städtebaul­iche Ensemble der Zinzendorf-, Kirchstraß­e und Bahnhofstr­aße in Neudietend­orf, die uns den schöpferis­chen Geist seiner Erbauer in Erinnerung hält.

 ??  ?? Eine Fassadenan­sicht des ehemaligen Kirchengut­es, heute Pension „Alter Hof“, Zinzendorf­straße. Fotos: A. Schumann
Eine Fassadenan­sicht des ehemaligen Kirchengut­es, heute Pension „Alter Hof“, Zinzendorf­straße. Fotos: A. Schumann

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