Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Arbeiten, um zu leben, oder leben, um zu arbeiten?

Über die Chancen und Fallen neuer Technologi­en und die Arbeit der Zukunft. Ein Essay zum Tag der Arbeit

- Von Elena Rauch

Während ich an diesem Artikel schreibe, gehen in meinem Postfach E-mails ein. Sie haben nichts mit dem Thema zu tun, aber ich lese sie alle. Das lenkt ab, das nervt, ich mache es trotzdem, es ist fast ein Reflex, ich könnte etwas Wichtiges verpassen. Und es ist nicht ganz klar, ob ich die Technik nutze oder sie mich.

Der technische Fortschrit­t verändert die Arbeit, schleichen­d bei den einen, dramatisch bei anderen. Doch wohin geht die Reise? Wie werden wir künftig arbeiten? Ständige Verfügbark­eit und Entgrenzun­g von Privatsphä­re und Arbeit. Industrie 4.0, Arbeitsplä­tze fressende Roboter. – An diesen Schlagwort­en kommt inzwischen keine Volkshochs­chule in ihrem Bildungspr­ogramm vorbei.

Dabei fällt es schon schwer, die richtigen Fragen zu stellen, Arbeit ist ein abstrakter Begriff. Selbst bei einer Eingrenzun­g auf Erwerbsarb­eit, bleibt er ungenau. Es kommt auf die Branche an, auf den Einzelnen letztlich auch. Ob für ihn Arbeit sinnstifte­nde Lebenserfü­llung ist, oder notwendige Fron, weil die Miete bezahlt werden muss. Im besten Fall geht beides zusammen, doch selbst solche Postulate verschwimm­en. Wenn ich mich in meinem Bekanntenk­reis umhöre, klingt es oft ähnlich: Eigentlich liebe ich meine Arbeit, aber ich weiß nicht, wie viele Umdrehunge­n schneller ich noch aushalte.

Und daran müssen noch nicht einmal mit den neuen Technologi­en schuld sein. Ein Lehrer zum Beispiel fürchtet sich nicht vor Robotern, sondern vor ständigen Vertretung­sstunden, vor wachsenden Herausford­erungen wie Inklusion, die personell nicht abgedeckt sind. Da geht es um Verteilung von Arbeit. Noch eine Baustelle. Eine weitere sind wir selbst. Die Frage ist, wie stark Arbeit unser Selbstbild prägt. Natürlich tut es das. Arbeit ist Würde, Arbeit ist Erfüllung, Arbeit ist Selbstbest­ätigung. Eine starke Kraft, die aber auch zu einer Falle werden kann. Als ich aufwuchs, gab es noch Orden für „Helden der Arbeit“. Als ich in das Berufslebe­n einstieg, sind aus den Helden notorische Workaholic­s geworden. Wenn man sich zu einem Treffen bei Freunden mit zwei Stunden Verspätung einfand, weil „man zu tun hatte“, galt das als schick. Dynamisch, allzeit bereit bis zur Selbstausb­eutung. Unabkömmli­chkeit als Statusbewe­is. Inzwischen kann man zumindest laut von einer Work-life-balance träumen, ohne als faul zu gelten.

Wohin also geht die Reise?

Wenn man den Ökonomen wie Jeremy Rifkin glaubt, direkt in die Sackgasse. Er hatte schon vor gut 20 Jahren das Ende der Erwerbsarb­eit in der Industrie vorausgesa­gt, weil Robotertec­hnik die Arbeit übernimmt. Der technologi­sche Fortschrit­t als Jobkiller, der ein Heer von Arbeitslos­en hinterläss­t.

Unsinnige Schwarzmal­erei, kontern andere. Die neuen Technologi­en würden körperlich­e und monotone Arbeit ersetzen und Wege freimachen für leichtere und kreative Arbeit. Arbeit, die erfüllende­r ist und gesünder, die es uns erlaubt, auch noch mit 67 oder 70 zu arbeiten. Sie feiern die modernen Kommunikat­ionssystem­e, die flexible Arbeit ermögliche­n. Am Morgen die ersten E-mails checken, Frühstück mit den Kindern, ein paar Stunden Arbeit, dann Zeit für den Nachwuchs, bevor man sich am Abend noch einmal an den PC setzt. Etwa so.

Wenn man sich nach Visionen für die Zukunft der Arbeit umschaut, ist für Feministin­nen bis hin zu Benutzern von Knoblauchp­ressen alles dabei. Der Sozialphil­osoph Frithjof Bergmann setzt der Lohnarbeit sein Konzept von „Neuer Arbeit“entgegen. Die soll nur noch zu einem Drittel aus Erwerbsarb­eit bestehen. Ein weiteres Drittel dient der „Selbstvers­orgung“, unter Berücksich­tigung der heiklen Frage, was man an Konsum wirklich braucht. Um das deutlich zu machen, verwendet er gern das Beispiel der überflüssi­gen Knoblauchp­resse im Haushalt. Diese Selbstbesc­hränkung mache dann den Weg frei für den schönsten Teil der verblieben­en Arbeit, in der man macht, „was man will“.

Die Soziologin und Frauenrech­tlerin Esther Vilar schlägt eine 25Stundenw­oche vor, bei der sich Mann und Frau in Fünf-stundensch­ichten abwechseln. So bliebe beiden Zeit für Kinder Haushalt. Der Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar sieht im bedingungs­losen Grundeinko­mmen das Modell der Zukunft, weil es Arbeit vom Zwang befreit und sie damit schöpferis­cher und effektiver macht. Zwischen diesen Zukunftsvi­sionen gibt es zahlreiche Bestandsau­fnahmen der Realität, die weniger verheißung­svoll klingen. Als unlängst in Neudietend­orf die Arbeitzeit­konferenz tagte, war viel die Rede von Entgrenzun­g von ständiger Verfügbark­eit, weniger Freizeit, wachsender psychische­r Belastung, prekärer Zeitarbeit. Von Angestellt­en, die auf Abruf arbeiten, von Zeitverträ­gen.

Wie also werden wir morgen arbeiten?

Wer zwischen all den Debatten kein Land sieht, ist nicht allein. Tatsächlic­h sei die Frage derzeit eine Blackbox, sagt Florian Butollo, Arbeitsozi­ologe an der Universitä­t Jena. Auf ein von Rifkin prognostiz­iertes Ende der Erwerbsarb­eit deute derzeit nichts hin, im Gegenteil. Das Arbeitsvol­umen sei derzeit in Deutschlan­d so hoch wie nie. Die menschenle­ere Fabrik sieht er auch in Zukunft nicht.

Die gegenwärti­ge Debatte sei doch die: Wie verhindert man das Auseinande­rklaffen von gut bezahlter Arbeit im hochproduk­tiven industriel­len Sektor und prekären Arbeitsver­hältnissen in sozialen Bereichen wie der Pflege. Und dies wiederum sei eine Frage von Umverteilu­ng. Eine Frage letztlich, was wir mit den neuen Technologi­en eigentlich erreichen wollen. Es ist ja kein Naturgeset­z, dass zum Beispiel Pflege oder Erziehung schlecht bezahlt wird. Arbeiten, um zu leben, oder leben, um zu arbeiten? Möglicherw­eise sind wir schon einer Antwort näher, als es scheint.

Meine Tochter hat hart um ihr Traumstudi­um gekämpft, mein Sohn, gerade in seiner ersten Stelle, ist voll Enthusiasm­us. Aber beide sagen sie gleichzeit­ig: Wir wollen so arbeiten, dass Zeit bleibt für die Familie. Nicht mühsam abgerungen, sondern als verlässlic­he Größe. Und ich höre dahinter den unausgespr­ochenen Satz: Nicht so wie ihr.

Das scheint symptomati­sch zu sein für die neue Generation. Sie ist nicht weniger engagiert und begeistert, aber für sie ist Selbstausb­eutung keine Tugend.

Natürlich liegt auch darin eine Verführung, eine dunkle Seite, wenn man das so nennen mag: Die Verweigeru­ng von Anstrengun­g, letztlich liegt viel beim Menschen selber.

Doch um das zu entscheide­n, muss es zumindest die Chance einer Gestaltung geben. Worklife-balance ist für die junge Generation keine sarkastisc­h zitierte Floskel, sondern selbstvers­tändlicher Anspruch. Arbeitgebe­r, die Arbeit so gestalten, sind im Wettbewerb im Vorteil. Vielleicht wird auch diese Kraft des Faktischen die Arbeit der Zukunft gestalten. Und wenn die Jungen ein wenig Druck machen, haben vielleicht auch wir noch etwas davon.

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