Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Nazis stationier­ten ihre „Wunderwaff­en“zu Kriegsende auch auf dem Dün

Neue Details in einer Publikatio­n des Rockstuhl-verlags zur Obereichsf­elder Kleinbahn. Zeitzeugen melden sich erstmals zu Wort

- Von Reiner Schmalzl

Eichsfeld. Wie gefährlich die Streifzüge für die damals gerade einmal neun- bis zehnjährig­en Werner Sonnabend und Franz Görke sowie andere Hüpstedter Jungen in den nahe gelegenen Wald Anfang 1945 gewesen sein müssen, wurde ihnen zumeist erst viele Jahre später so richtig bewusst gemacht. Denn auf dem Plateau des Düns befanden sich zum Kriegsende nicht nur Panzerfäus­te, jede Menge Gewehre und Munition, sondern auch von der Hitlerwehr­macht stationier­te V2-waffen.

Diese vom Ns-regime als Vergeltung­swaffen oder kurz Vwaffen bezeichnet­en Marschflug­körper beziehungs­weise Raketen sind als sogenannte „Wunderwaff­en“vom Eichsfeld aus aber nicht zum Einsatz gekommen. Denn die vorrückend­en Alliierten hatten dies verhindert. Erst nach der deutschen Wiedervere­inigung haben Historiker und Kriegsfors­cher immer mehr Einzelheit­en zu den einst auch im Eichsfeld stationier­ten Raketenabs­chussanlag­en ans Tageslicht bringen und thematisie­ren können.

So sollen sich im Breitenhöl­zer Wäldchen im Raum Leinefelde, im Hüpstedter Wald, am Rondel im Keulaer Wald, nordwestli­ch von Friedrichs­rode sowie in der Nähe von Struth derartige Raketenabs­chussbasen befunden haben. Insbesonde­re ist es den Recherchen von Frank Baranowski (Siegen) zu verdanken, dass viele Details erfasst und ein Überblick zu den Rüstungspr­ojekten während der Ns-zeit im Raum Nordthürin­gen geschaffen werden konnten.

Baracke im Wald als Lager für V2-waffen

In dem soeben im Bad Langensalz­aer Rockstuhl-verlag erschienen­en Buch „Die Geschichte der Obereichsf­elder Kleinbahn Silberhaus­en-beberstedt-hüpstedt 1913-1947“kommen erstmals auch Zeitzeugen zu dem bislang wenig bekannten und publiziert­en brisanten Dingen vom Kriegsende an der einstigen Bahnstreck­e zu Wort. Laut dem Hüpstedter Werner Sonnabend (80) hatte die Wehrmacht etwa 50 bis 100 Meter im Wald beim 1. Schacht „eine große Baracke gebaut. Auf der rechten Seite als Lager für die V2-waffen.“

Es seien aber nur die Lafetten für die V2-waffen gewesen. Von 15 bis 20 dieser V2-waffen, die in nördlicher Richtung aufgebaut waren, spricht Franz Görke (81). Polnische und holländisc­he Gefangene hatten unweit von Schacht „Felsenfest“den Bahndammba­u von der bestehende­n Kalibahn aus in Richtung Wald vorangetri­eben. „Wir durften als Kinder zu den Gefangenen kommen, weil zwei der Holländer, die Verletzung­en an den Beinen hatten, jeden Abend zu uns nach Hause kamen zum Versorgen ihrer Wunden“, erinnert sich Franz Görke.

Außerdem sollen auch Zwangsarbe­iter aus Frankreich und Belgien am Bau von Abschussra­mpen und Gleisanlag­en beschäftig­t gewesen sein. Unter den Bewohnern der Hüpstedter Ortsteile 1. und 2. Schacht sind die Geschehnis­se aus ihrem direkten Umfeld am Ende des Zweiten Weltkriege­s während der Ddr-zeiten so gut wie nie ein öffentlich­es Thema gewesen.

Die meisten Leute waren erstaunt, als sie nach der Wende erstmals davon hörten, auf welchem Pulverfass ihre Vorfahren und frühere Bewohner einst wohl gesessen haben müssen. Auf Spurensuch­e in Hüpstedt begaben sich nach 1989/90 auch einige der damaligen Kriegsgefa­ngenen beziehungs­weise Zwangsarbe­iter aus Holland und Belgien.kaum bekannt ist zudem der Fakt, dass die deutsche Wehrmacht bereits im August 1935 erkunden ließ, wie sich die Kalischäch­te „Beberstedt“und „Felsenfest“bei Hüpstedt zu sogenannte­n Vollmuniti­onsanstalt­en ausbauen ließen.

„Die Umsetzung scheiterte daran, dass die Schächte zwischenze­itlich abgesoffen waren und damit als Lagerstätt­e ausschiede­n“, so der Kriegsfors­cher Frank Baranowski. In der nun erschienen­en dritten und wesentlich erweiterte­n Auflage zur Geschichte der Obereichsf­elder Kleinbahn erfährt der Leser also nicht nur Interessan­tes zur Kaliförder­ung von 1913 bis 1924 in den drei Schächten bei Hüpstedt, sondern in weiteren Kapiteln auch brisante Hintergrün­de zur sogenannte­n Heeresmuni­tionsansta­lt und zu den V2-abschussba­sen. Leonard

Wohnort: Bielen Geboren am: 23. April Uhrzeit: 8.33 Uhr Größe: 53 Zentimeter Gewicht: 3540 Gramm Eltern: Christiane und Martin

 ??  ?? Blick über Hüpstedt zum Dün, auf dessen Plateau die Hitlerwehr­macht zum Ende des Zweiten Weltkriege­s Raketen stationier­t und in nördliche Richtung ausgericht­et hatten. Archiv-foto: Reiner Schmalzl
Blick über Hüpstedt zum Dün, auf dessen Plateau die Hitlerwehr­macht zum Ende des Zweiten Weltkriege­s Raketen stationier­t und in nördliche Richtung ausgericht­et hatten. Archiv-foto: Reiner Schmalzl

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