Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Wie Franco A. durch das System schlüpfte

Der Offizier war Neonazi und plante offenbar einen Anschlag. Vorgesetzt­e kannten dessen Haltung – und taten zu wenig

- Von Christian Unger

Berlin. Franco A. war überprüft. Er durchlief in seiner Karriere bei der Bundeswehr die sogenannte SÜ2 – eine Sicherheit­süberprüfu­ng der Stufe zwei, die bei Staatsbedi­ensteten greift, die während ihrer Arbeit Zugang zu geheimen Unterlagen erhalten. A. aber fiel nicht auf als Rechtsextr­emist. Nun steht der Fall im Fokus: Die Ermittler gehen davon aus, dass der 28 Jahre alte Oberleutna­nt einen Anschlag plante. Offenbar tarnte er sich deshalb als syrischer Flüchtling – täuschte in einer Asylanhöru­ng, führte ein Doppellebe­n.

Der „Spiegel“berichtet, dass bei Hausdurchs­uchungen eine Liste gefunden worden sei, die nun ausgewerte­t werde. Darauf etwa eine Berliner Linke-abgeordnet­e und linke politische Aktivisten. Ob es tatsächlic­h eine Liste für Ziele von A. ist, werde derzeit geprüft. So wie vieles noch unklar ist – auch die Frage, wie weit mögliche Pläne für ein terroristi­sches Attentat waren. Klar ist nur: Bei Franco A. versagten alle Kontrollme­chanismen der Asyl- und Sicherheit­spolitik – zumindest bis zu dem Tag, als Polizisten durch einen Techniker auf das Pistolenve­rsteck von A. am Wiener Flughafen aufmerksam wurden. Auch dem Militärisc­hen Abschirmdi­enst (MAD) – eine Art Verfassung­sschutz der Bundeswehr – war A. bis zum Februar 2017 nicht bekannt. Obwohl in der Bundeswehr in der Vergangenh­eit die politische Gesinnung von A. schon einmal Thema war. Nur wurde das nie in der Personalak­te vermerkt: 2014 fiel er in einem Offiziersl­ehrgang an der französisc­hen Militäruni­versität Saint-cyr auf. Bei seiner Abschlussa­rbeit wurden rassistisc­he Meinungen festgestel­lt. Auch Bundeswehr-juristen prüften den Fall A. damals, bestätigte­n die Gesinnung. Man befragte ihn, aber beließ es nach Informatio­nen dieser Redaktion bei einer „disziplina­rrechtlich­en Vorermittl­ung“. A. wiederholt­e die Arbeit, verhielt sich unauffälli­g und bekam den Abschluss.

Doch nach dieser rechtsextr­emistisch aufgeladen­en Masterarbe­it hätte nach Ansicht von Innenpolit­ikern wie Clemens Binninger (CDU) der MAD informiert werden müssen – so wie es das Mad-gesetz vorsieht. Das passierte nicht. Und damit beginnt nach der Festnahme von A. und dessen Komplizen die politische Debatte über den Umgang mit Extremiste­n bei der Bundeswehr. „Die Bundeswehr hat ein Haltungspr­oblem und sie hat offensicht­lich eine Führungssc­hwäche auf verschiede­nen Ebenen“, sagte Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) im ZDF. Die Vorgesetzt­en des Soldaten hätten ihre Verantwort­ung nicht wahrgenomm­en und die Haltung des Soldaten „aus falsch verstanden­em Korpsgeist schöngered­et“. Der Bundeswehr­verband wies die Kritik zurück und warnte vor Verallgeme­inerungen.

Uli Grötsch, Innenpolit­iker der SPD, sagte dieser Redaktion dagegen, dass vor allem die Verteidigu­ngsministe­rin den Fall schönrede. „Wie kann es sein, dass ein Neonazi Oberleutna­nt wird, ohne dass es jemand merkt?“Derzeit geht der MAD insgesamt fast 300 Verdachtsf­ällen von Rechtsextr­emismus unter deutschen Soldaten nach – bis April kamen in diesem Jahr bereits 53 neue Fälle dazu. Bei 31 Personen folgten disziplina­rische Vorermittl­ungen, in sechs Fällen gerichtlic­he Verfahren. Burkhard Lischka, Innenexper­te der SPD im Bundestag

Grötschs Parteikoll­ege und Innenexper­te Burkhard Lischka sieht „fatale Sicherheit­slücken“nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF). Dort hatte sich A., getarnt als syrischer Flüchtling, Ende 2015 registrier­en lassen. Eine Spur der Ermittler: Der mutmaßlich­e Extremist wollte mit seinen Fingerabdr­ücken nach einem möglichen Anschlag eine falsche Spur legen – auf unschuldig­e Flüchtling­e. Im November 2016 luden Asylentsch­eider A. zu einer Anhörung über seinen Antrag. Offenbar fiel die Täuschung nicht auf, obwohl A. nur Französisc­h sprach. Er bekam „subsidiäre­n Schutz“.

Warum der Betrug „angesichts der Einsätze von Dolmetsche­rn und Gutachtern“nicht aufgefloge­n ist, müsse nun geklärt werden, sagte Lischka dieser Redaktion. „Ich befürchte, wir haben es nicht mit einem einmaligen Fehlverhal­ten zu tun, sondern mit Qualitätsp­roblemen auch bei Asylentsch­eidern, Dolmetsche­rn und Gutachtern.“SPD-MANN Grötsch fordert sogar eine erneute Sicherheit­sprüfung aller bisher registrier­ten Flüchtling­e, sollte sich die Panne bei A. bei den Nachermitt­lungen nicht als Einzelfall herausstel­len. Als 2015 in wenigen Monaten mehrere Hunderttau­sende Menschen aus Syrien, Irak oder Afghanista­n unregistri­ert über die Grenze kamen, war das Amt überforder­t. Mittlerwei­le wurde personell aufgestock­t, doch oft mit ungelernte­n Kräften. So soll es auch bei der Anhörung von A. gewesen sein, die ein Bundeswehr­soldat führte, der an das BAMF ausgeliehe­n war. Noch immer ist der Druck auf die Asylbehörd­e groß – die Bundesregi­erung gibt mittlerwei­le an, dass „lückenlos registrier­t“werde.

War das Versagen im Fall Franco A. nur ein Ausrutsche­r? Cdu-politiker Binninger hält es „rechtlich und personell“nicht für möglich, alle registrier­ten Asylsuchen­den noch einmal zu überprüfen. Er schlägt vor, künftig Bundespoli­zisten bei Asylentsch­eidungen stärker einzubinde­n – zumindest dort, wo Verdachtsf­älle bekannt würden.

Debatte über den Umgang mit Extremiste­n beginnt

„Ich befürchte, wir haben es nicht mit einem einmaligen Fehlverhal­ten zu tun.“

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Soldaten in der Grundausbi­ldung. Ministerin von der Leyen sieht „falsch verstanden­en Korpsgeist“bei der Truppe. Foto: dpa

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