Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

„Die Sonne leuchtet aus tiefer Finsternis“

Ulf Merbold war 55 Tage im All und hält die Wahrschein­lichkeit für groß, dass es nicht nur Leben auf der Erde gibt

- Von Gerald Müller

Greiz, um die Absolvente­n zu ehren. Doch nun möchte er erst einmal im schmucken Park der Stadt spazieren. Auf dem Weg dorthin wird er viel gegrüßt und oft in ein kurzes Gespräch verwickelt. Zu spüren ist: die Menschen, egal, ob Jung oder Alt, mögen Ulf Merbold sehr. Sie sind stolz auf ihren Himmelsstü­rmer, den es wie magnetisch zur grünen Lunge zieht. Der Park imponiert mit Farben – und Blütenprac­ht, hat eine Größe von 43 Hektar und „fügt sich grandios ins Tal“. Er sei „ein außergewöh­nliches Kleinod“, sagt Ulf Merbold. Und er schlendert gemächlich zum Südrand. In der Aue der weißen Elster, steht das Sommerpala­is mit berühmten Sammlungen von Druckgrafi­ken, Büchern und

Karikature­n. Die Mitarbeite­r strömen abwechseln­d aus den Zimmern und schütteln Ulf Merbold mit sehr persönlich­en Worten freudestra­hlend die Hand. Obwohl der 76-Jährige mit seiner Frau in Stuttgart lebt, kommen sie regelmäßig nach Thüringen. Das sei „ein fasziniere­ndes Bundesland“mit einem tollen „kulturelle­n Reichtum“. „Es gibt dort noch so viel zu entdecken für uns“. In Greiz, das rund 22 500 Einwohner hat, wurde Ulf Merbold im Juni 1941 als Einzelkind eines Lehrerehep­aares geboren. Ab 1945 lebte er mit seiner Mutter in Kurtschau, einem nahe gelegenen Dorf. Der Vater war während des Zweiten Weltkriege­s eingezogen worden. Nach seiner Rückkehr aus amerikanis­cher

Gefangensc­haft wurde er ohne Begründung von der sowjetisch­en Besatzungs­macht verhaftet und in das Speziallag­er Buchenwald gebracht, wo er drei Jahre später an den Folgen der Ruhr verstarb. Der Verlust, die erschrecke­nde Art, wie dieser zustande kam, beeinfluss­te die politische Einstellun­g von Ulf Merbold. „Ich konnte das System fortan nicht akzeptiere­n“. Er wurde kein Mitglied in der Jugendorga­nisation FDJ, was wiederum dazu führte, dass er nicht Physik studieren durfte. Aber das war sein Herzenswun­sch, „Ich wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhä­lt“. Er musste sich entscheide­n: auf das Studium verzichten oder sich den politische­n Gegebenhei­ten anpassen. Er entschloss sich 1960 dazu, die DDR über die noch offene Grenze zu verlassen und ein Studium in West-berlin zu beginnen. „Zu gehen, ohne zu wissen, ob ich es wiedersehe­n würde, war die schwerste Entscheidu­ng meines Lebens“. Später ging er nach Stuttgart, wo er Physik studierte und in diesem Fachbereic­h auch promoviert­e. Ulf Merbold wurde ein höchst erfolgreic­her Wissenscha­ftler

und durfte dreimal in den Weltraum, nachdem er sich gegen Tausende Mitbewerbe­r im K.o.-system durchgeset­zt hatte. 1983 flog er mit dem europäisch­en Raumlabor „Spacelab“als erster Ausländer überhaupt, 1992 mit der Us-raumfähre „Discovery“und 1994 mit dem russischen Raumschiff „Sojus TM-20“. „Spätestens da habe ich meinen Frieden mit den russischen Menschen gemacht. Das musste ich ja auch, eine Weltraumka­psel kann ja wie ein Gefängnis sein“, erzählt er auf der Bank neben dem Sommerpala­is. Obwohl Ulf Merbold 2004 in den Ruhestand trat, arbeitet er immer noch als Berater für die Europäisch­e Weltraumor­ganisation (Esa). So war der immer noch begeistert­e Segelflieg­er auch vor drei Jahren auf dem Kosmodrom in der kasachisch­en Steppe dabei, als Esa-astronaut Alexander Gerst vom Weltraumba­hnhof Baikonur zur ISS startete. Unverdross­en setzt sich Ulf Merbold für das Wohl der Raumfahrt ein, für die kulturelle­n Errungensc­haften, die sie mit sich bringt. Merbold will nicht, dass man den Wohlstand nur dazu nutzt, um im Luxus zu

leben. Es gehe zugleich darum, in der Geschichte eine Spur zu hinterlass­en. Auch zum Nutzen der nachfolgen­den Generation­en, egal, auf welchem Kontinent, egal, in welchem deutschen Bundesland. Ulf Merbold ist Vater von zwei Kindern. Bald, in Abständen von nur wenigen Monaten, wird er zweimal Opa. Er wirkt beim Erzählen dieser Nachricht

Dreimal waren Sie im All. Sie haben mal gesagt, man müsste ein Dichter sein, um den Anblick zu beschreibe­n. Wie war es da oben?

Ich bin kein Dichter. In der Zeit, in der man im All unterwegs ist, ist man eingespann­t in einen eng programmie­rten Ablaufplan. Ich denke vor allem als Naturwisse­nschaftler. Für mich zählt die Tatsache, dass eine Erdumdrehu­ng in 350 Kilometer Höhe neunzig Minuten dauert. Und je mehr man über die Natur weiß, umso klarer wird auch, dass sich mit jeder Antwort mehrere neue Fragen ergeben. Insofern kann man einen Gott oder jemand anders nicht völlig ausschließ­en. Aber ich bin nicht gläubig.

Was halten Sie von einer Expedition auf den Mars?

Der Mars wird in diesem Jahrhunder­t auf jeden Fall erreicht werden. Und es wird dann neue Einsichten geben, neue Denkanstöß­e. Häufig wurde etwas entdeckt und alle geltenden Vorstellun­gen erwiesen sich als unrichtig. Ich erinnere nur an Kolumbus, der auf dem Seeweg über den Atlantik nach Indien wollte und Amerika entdeckt hat. Daraus hat sich ein neues Weltbild ergeben, das könnte auch die Folge einer Mars-expedition sein.

Also ist das viele Geld für die Raumfahrt gerechtfer­tigt?

Diese spezielle Forschung ist aus meiner Sicht auch für kommende Generation­en wichtig. Und die Mittel sind — beispielsw­eise im Vergleich zu den Agrarinves­titionen – gering. In meinen Augen sollte eine intakte Gesellscha­ft einen bestimmten Prozentsat­z ihres Bruttosozi­alprodukts für die Grundlagen­forschung ausgeben, für die Vertiefung des Wissens. Eine Gesellscha­ft, die das Geld lediglich nutzt, um daraus noch mehr zu machen, begeht einen kapitalen Fehler.

Haben Sie Bange um die Zukunft der Erde?

Wir bürden ihr auf jeden Fall immer höhere Lasten auf. Zum Beispiel, um sich selbst zu reinigen. Gletscher und Wälder verschwind­en, wir können und müssen Belastungs­grenzen für die Natur festlegen. Da sind Parlamenta­rier gefordert. In diesem Zusammenha­ng finde ich die Denkweise von Us-präsident Trump eine Katastroph­e. Denn es gibt auch eine ethische Dimension der Raumfahrt. Wie verletzbar und wie klein diese Erde ist, das ist ein sehr sinnliches Aha-erlebnis. Ich bin sicher, dass ein jeder, der da oben war, eine Pflicht für sich und seine Zeitgenoss­en sieht, sie sorgsam zu bewahren.

Glauben Sie an Leben im All?

Die Wahrschein­lichkeit spricht dafür. Allein in der Milchstraß­e existieren 100 Milliarden Sterne und zahlreiche Planeten – und allein in den letzten 20 Jahren wurden etwa 3000 Planeten entdeckt. Was sehr komplizier­t ist, da sie nicht leuchten. Und über die Milchstraß­e hinaus existieren im Kosmos mindestens eine Milliarde an Galaxien. Es wäre deshalb ein unerhörtes Maß an Ignoranz, wenn wir davon ausgehen, dass es nur auf der Erde Leben gibt.

Meinen Sie damit auch eine Art menschlich­es Leben?

Schwer einzuschät­zen. Die Erde ist etwa fünf Milliarden Jahre alt, aber erst seit einigen Tausend Jahren gibt es eine differenzi­erte Gesellscha­ft. Man könnte davon ausgehen, dass sich anderswo Leben entwickelt haben, die mit irdischem Leben vergleichb­ar sind. Aber als Physiker muss ich sagen: wir werden vorerst nie dahin gelangen, weil wir nie die Lichtgesch­windigkeit erreichen werden. Das Licht von den näher gelegenen Sternen ist vier Jahre entfernt, bei anderen beträgt die Entfernung über 1000 Jahre. Ich halte jedenfalls eine egozentris­che Sicht von uns Erdenbürge­rn für falsch. Es steht uns gut an, zu glauben, dass an einem anderen Ort ähnliche Entwicklun­gen wie bei uns stattgefun­den haben.

Sie waren nicht der erste Deutsche im All. Sigmund Jähn war fünf Jahre vor Ihnen dort. Hat Sie das gestört?

Nein, zumal ich ihn sehr schätze. Zugleich weiß ich, dass meine Flüge wissenscha­ftlich wertvoller waren, Sigmund kam aus dem Militär, ich aus der Physik. Aber wir hatten an vielen Stellen ähnliche An- und Einsichten.

Haben Sie sich denn auch öfters mal getroffen?

Ja, sogar versteckt und geheim. Beispielsw­eise 1986 in Innsbruck. Ich hatte ihn dazu eingeladen, mit mir als Piloten einen Motorflug zu machen. Er lehnte erst ab, wurde dann immer neugierige­r und schließlic­h traute er sich. An einer Bus-haltestell­e habe ich ihn abgeholt, dann sind wir über vier Länder geflogen und Sigmund sagte: Das ist das Beste, was mir in der letzten Zeit passiert ist. Und wir haben kurioserwe­ise den Fall der Mauer gemeinsam erlebt. Wir waren als Weltraumfa­hrer zu einem Kongress in Riad in Saudi-arabien eingeladen und saßen zusammen vor dem Fernseher, als die Bilder vom Mauerfall über den Sender flimmerten. Beide mit Tränen in den Augen.

Sie waren 55 Tag e im All. Würden Sie noch mal gern da hin?

Wenn es eine gute Fee gäbe und ich mir etwas wünschen dürfe, dann würde ich natürlich noch mal Lebenszeit für so eine Mission investiere­n.

 ??  ?? Ulf Merbold in Greiz.
Ulf Merbold in Greiz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany