Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Helmut Kohls letzter Weg
Heute wird der Altkanzler beerdigt
Straßburg. Helmut Kohls letzte Reise wird sich gut zehn Stunden lang hinziehen und ihn am Sonnabend von Straßburg über Ludwigshafen nach Speyer führen, insgesamt an die 300 Kilometer mit dem Auto, Schiff und Hubschrauber. So einmalig seine Kanzlerschaft war, so einzigartig ist auch sein Begräbnis.
87 Jahre lang hat Helmut Josef Michael Kohl, wie er mit vollem Namen hieß, in Ludwigshafen gelebt, hier ist er geboren, und am 16. Juni gestorben. Das elsässische Straßburg, Sitz des Euparlaments, steht für zwei Konstanten im Leben des Pfälzers, für die Aussöhnung mit Frankreich und die Einheit Europas. So führt ihn seine letzte Reise vorbei an den Marksteinen seiner Karriere, an Stationen, die ihn geprägt haben. Kohl war beides, heimatverbunden, aber auch international ausgerichtet. Der Eu-kommissionspräsident Jean-claude Juncker bemerkte am Freitag, „Helmut Kohl war ein deutscher und er war ein europäischer Patriot, und er konnte nie einen Widerspruch zwischen deutschem und europäischem Patriotismus erkennen.“Deswegen sei es wichtig gewesen, die Trauerfeier in einen gesamteuropäischen Kontext zu bringen.
Am Sonnabend wird der mit einer Europaflagge bedeckte Sarg mit Kohls Leichnam per Helikopter nach Straßburg geflogen. Dort beginnt um elf Uhr der europäische Trauerakt im Parlament – zum ersten Mal in der Geschichte der Union. Angesagt haben sich ehemalige politische Verbündete aus früheren Tagen wie der amerikanische Präsident Bill Clinton und der spanische Ministerpräsident Felipe González. Der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow, der den Weg zur deutschen Einheit ebnete, hat gesundheitsbedingt abgesagt. Zu den Hauptrednern bei der Zeremonie gehören Kohls Amtsnachfolgerin Angela Merkel (CDU), Eu-parlamentspräsident Antonio Tajani, Ratspräsident Donald Tusk und Jeanclaude Juncker sowie der französische Staatschef Emmanuel Macron. Auf Wunsch der Witwe Maike Kohl-richter werden auch Gonzalez, Clinton und der russische Ministerpräsident Dimitri Medwedjew sprechen.
Nach dem Trauerakt werden die sterblichen Überreste nach Ludwigshafen geflogen. Die Bevölkerung wird nur wenige Minuten Gelegenheit haben, sich von ihm zu verabschieden. Anschließend wird der Sarg nach Reffenthal gefahren und auf ein Schiff umgeladen. Mit der MS „Mainz“legt Kohl auf dem Rhein die letzten drei Kilometer bis Speyer zurück.
Eine Stunde später beginnt im Dom ein Requiem. Die katholische Totenmesse wird etwa eineinhalb Stunden dauern. 1500 Gäste werden erwartet. Gegen 19.45 Uhr folgt auf dem Domvorplatz ein Abschiedszeremoniell der Bundeswehr, das sogenannte Große militärische Ehrengeleit. Die Beisetzung ist für 20.45 Uhr vorgesehen. Die Trauerfeierlichkeiten überträgt das ZDF von 10.45 bis 13.05 Uhr, die ARD ab 17.10 Uhr das Requiem und das militärische Zeremoniell. (san) Erfurt. Bernhard Vogel (84) war ein politischer und privater Weggefährte Helmut Kohls. Der frühere Ministerpräsident von Rheinland-pfalz und Thüringen wird heute beim Eu-trauerakt und dem Begräbnis dabei sein. Wir sprachen vorher mit ihm.
Herr Vogel, können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Helmut Kohl erinnern?
Ich wurde erstmals an einem Tag im Jahr 1954 auf ihn aufmerksam. Ich stand in Heidelberg, wo ich damals studierte, mit einigen Kommilitonen an der Hauptstraße, als ein großer Mensch auf einer kleinen grünen Lambretta vorbeibretterte. Einer aus der Gruppe sagte: „Das ist der Helmut Kohl. Der wird einmal Ministerpräsident von Rheinland-pfalz.“
Heimatverbunden und international ausgerichtet
Damals waren Sie 21 . . .
. . . und Kohl 24. Er studierte im Hauptfach Geschichte, ich Politikwissenschaft. Wir trafen uns in einem Seminar, bei Dolf Sternberger, meinem späteren Doktorvater. Kohl fiel sofort auf, weil er eine große Anzahl von Pfeifen vor sich ausbreitete und sie während der etwa dreistündigen Sitzung nacheinander rauchte.
Und das war dann der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?
Noch nicht. Aber wir standen seitdem in Kontakt, auch in der CDU. Er war damals schon sehr engagiert, saß in Ludwigshafen im Stadtrat und hatte Funktionen im pfälzischen Bezirksverband. Er kandidierte für den Landtag, wo er schnell zum Fraktionschef aufstieg. Ich war jünger und nicht ganz so schnell, ab 1963 saß ich in Heidelberg im Stadtrat . . .
. . . und wurden 1965 in den Bundestag gewählt . . .
. . . wobei mich Kohl schon aktiv unterstützte. Zwei Jahre später, da war er bereits Landeschef der CDU, rief er mich an und fragte mich, ob ich Kultusminister werden wolle, damals noch unter dem Ministerpräsidenten Peter Altmeier. Ich sagte zu, zwei Jahre später übernahm Kohl den Regierungsvorsitz.
Wie war er denn so als Chef?
Sehr angenehm. Er hat seinen Ministern große Freiheiten gelassen. Allerdings, wenn er irgendwo auf irgendein Problem angesprochen wurde, rief er mich sofort an und forderte sehr nachdrücklich, Abhilfe zu schaffen.
Er hat also schon damals durchregiert?
Keineswegs. Der junge Kohl hat viele reformbereite Leute mit eigenen Vorstellungen um sich geschart, Heiner Geißler zum Beispiel. Mit den meisten kam es zu engen, verlässlichen und oft lebenslangen Freundschaften. Solche Freundschaften waren ihm wichtig.
Aber existierte da Augenhöhe? Es gibt da diese Geschichte, bei der Kohl Sie bei abendlichen Gelagen aufgefordert haben soll, auf dem Tisch zu tanzen: „Bernd, mach de Aff“. Stimmt das?
Nein, das ist immer verzerrt dargestellt worden. Er hatte mich nur an einem feuchtfröhlichen Abend im Keller der Staatskanzlei aufgefordert, den damaligen Heidelberger Bundestagsabgeordneten zu imitieren, einen Professor mit gewissen Eigentümlichkeiten. Da besaß ich eine gewisse Routine in der Darbietung. Der Rest ist ebenso eine Legende wie die Erzählung, dass Helmut Kohl mich in Mainz zu seinem Nachfolger machte, als er nach Bonn ging.
Er hatte Geißler als Landesparteichef vorgesehen . . .
. . . und den Finanzminister als Regierungschef. Als ich es stattdessen wurde, hat Kohl mich vom ersten Tag an ganz selbstverständlich immer unterstützt. Da stand nichts zwischen uns. So war es auch später, Anfang 1992, als ich Ministerpräsident in Thüringen wurde. Kohl wollte mich eigentlich nicht als Chef der Konrad-adenauer-stiftung gehen lassen. Erst als die Landes-cdu auf mich bestand, rief er mich an und fragte: „Kannst du sofort nach Erfurt fahren?“ Sie standen seit Ihrem Sturz als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident 1988 an der Spitze der Stiftung – und waren in dieser Funktion am 9. November 1989 mit Kohl beim Staatsbesuch in Warschau.
Das war ein bewegender Abend. Wir saßen mit dem neuen, erstmals demokratisch gewählten Ministerpräsidenten von Polen beim offiziellen Abendessen, und ständig wurden geheimnisvolle Zettel hinein gereicht. Erst nach dem Essen, im Hotel, konnten wir im Fernseher sehen, dass die Mauer gefallen war. Kohl ist sofort nach Berlin gereist, was nicht so einfach war, weil er ja mit einer bundesdeutschen Maschine nicht das Ddrstaatsgebiet überfliegen konnte. Also ging es über Skandinavien nach Hamburg und von dort mit einem Flugzeug der Us-airforce nach Westberlin . . .
. . . wo er ausgepfiffen wurde. Haben Sie ihn da bedauert?
Die Stimmung hat sich ja schnell gedreht, schneller als alle dachten, auch er. Die Geschichte hat ihm recht gegeben, nicht denen, die pfiffen.
Er wurde damals, wie alle, durch die Ereignisse getrieben. Wie viel hat er gestaltet? Welchen Anteil hat er wirklich an der Einheit?
Den größten Anteil daran haben die Menschen in der DDR, die ihre Freiheit erkämpften. Kohl hat die Chance ergriffen, als andere zögerten, und er hat sie genutzt, zusammen mit George