Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Historisch­er Moment mit Konfetti

Der Bundestag gibt grünes Licht für die „Ehe für alle“. Was das Gesetz für Homosexuel­le und die große Koalition bedeutet

- Von Alexander Kohnen

Berlin. Bei den Grünen gibt es am Freitag schon um 9.15 Uhr ein Gläschen Sekt. Dann wird auch noch eine Torte angeschnit­ten, garniert mit den Regenbogen­farben der Lesbenund Schwulenbe­wegung. Volker Beck, populärste­r grüner Kämpfer für Homosexuel­le, umarmt Fraktionsc­hefin Katrin Göring-eckardt, hebt sie sogar kurz hoch. Sie sagt: „Ich freu mich einfach wahnsinnig.“Ausgelasse­ne Stimmung vor dem Fraktionss­aal der Öko-partei im Bundestag. Es ist ein bisschen wie Karneval.

Es gibt was zu feiern: Im Bundestag wird an diesem Morgen die „Ehe für alle“beschlosse­n – mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken sowie etwa einem Viertel der Abgeordnet­en der Unionsfrak­tion. Als Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) das deutliche Ergebnis verkündet, werden in den Reihen der Grünen Konfettika­nonen gezündet. Bunte Schnipsel rieseln auf die Abgeordnet­en nieder.

Es herrscht eine ungewöhnli­ch emotionale, aufgekratz­te Stimmung an diesem frühen Morgen im Bundestag. Es ist nicht irgendein Gesetz, über das hier ab acht Uhr debattiert wird. Es hat einen hohen symbolisch­en Wert: Die Abstimmung über die „Ehe für alle“ist, und das wird auch in vielen Reden erwähnt, eine historisch­e Entscheidu­ng. Die letzte rechtliche Gleichstel­lung ist vollzogen.

Was steht im Gesetz – und was bedeutet das?

In Paragraf 1353 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­es heißt es in Zukunft: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiede­nen oder gleichen Geschlecht­s auf Lebenszeit geschlosse­n.“Der ursprüngli­che Satz wurde um sieben Wörter ergänzt: „von zwei Personen verschiede­nen oder gleichen Geschlecht­s“. Seit 2001 können gleichgesc­hlechtlich­e Paare eine Lebenspart­nerschaft eintragen lassen. Zunächst gab es viele Unterschie­de zur traditione­llen Ehe. Viele wurden auf Druck des Bundesverf­assungsger­ichts beseitigt, etwa im Erb- oder Steuerrech­t. Nun dürfen Homosexuel­le heiraten – wie in vielen anderen Ländern Europas.

Was ändert sich konkret für Homosexuel­le?

Praktisch ändert sich mit der „Ehe für alle“in erster Linie, dass ein homosexuel­les Paar das Recht haben wird, Kinder zu adoptieren. Aus eingetrage­nen Lebenspart­nern werden jetzt aber nicht automatisc­h Eheleute. Für die Heirat müssen die Partner gemeinsam zum Standesamt gehen. Neue Lebenspart­nerschafte­n können künftig nicht mehr eingetrage­n werden. Das Gesetz tritt allerdings nicht sofort in Kraft, sondern erst drei Monate nach der Verkündung im Bundesgese­tzblatt.

Wie hat die Kanzlerin abgestimmt?

Angela Merkel hat am Freitagmor­gen eine rote Karte in die Urne gesteckt – sie hat also mit Nein gestimmt. Die Kanzlerin begründet das so: „Für mich ist die Ehe im Grundgeset­z die Ehe von Mann und Frau.“Allerdings sprach sie sich dafür aus, dass Homosexuel­le Kinder adoptieren können. Mit Nein stimmten auch andere prominente Christdemo­kraten: Fraktionsc­hef Volker Kauder, Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) – und auch Csu-verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt. Für die „Ehe für alle“entschiede­n sich Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen und Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (beide CDU). Die Ministerri­ege der Union ist also ebenso gespalten wie die Unionsfrak­tion.

Was bedeutet die Abstimmung für die große Koalition?

Der letzte reguläre Sitzungsta­g dieser Legislatur­periode ist so etwas wie der schwarz-rote Scheidungs­tag. Die große Koalition ist de facto am Ende. Ab jetzt ist Wahlkampf, auch wenn sich bis zum 24. September die Kanzlerin und ihre Bundesmini­ster jeden Mittwoch an den Kabinettst­isch setzen werden. Die SPD hat die „Ehe für alle“in den Bundestag eingebrach­t – und die Union überrumpel­t. In der Union wird wahlweise von „Koalitions­bruch“(CSU-CHEF Horst Seehofer) oder „Vertrauens­bruch“(Fraktionsc­hef Volker Kauder) gesprochen.

Der schlechte Zustand der Koalition wird in den Reden der Sozialdemo­kraten deutlich. So sagt Fraktionsc­hef Thomas Oppermann, die Neuregelun­g sei „vielleicht nicht gut für die Koalition, aber gut für die Menschen“. Ganz anders ist Johannes Kahrs drauf, Chef des Seeheimer Kreises. Der homosexuel­le Abgeordnet­e attackiert die Kanzlerin mit einer Härte, die so selten im Parlament zu sehen ist: „Frau Merkel, ich kann es Ihnen nicht ersparen, es war erbärmlich, es war peinlich, seit 2005 haben Sie die Diskrimini­erung von Lesben und Schwulen hier unterstütz­t und haben nichts dafür getan, dass es zu einer Gleichstel­lung kommt.“Die Kanzlerin blickt geradeaus.

 ??  ?? Kleine Party im Bundestag: Mit Konfetti bejubeln Volker Beck, Renate Künast und andere Grüne die „Ehe für alle“. Foto: dpa
Kleine Party im Bundestag: Mit Konfetti bejubeln Volker Beck, Renate Künast und andere Grüne die „Ehe für alle“. Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany