Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
„Ganz schlechte Stimmung am Haus“
In Meiningen entzweien sich gerade Theaterleitung und Belegschaft. Operndirektorin und Oberspielleiter müssen 2018 gehen
Meiningen. „Günter Krämer“, kündigt Intendant Ansgar Haag im Spielzeitheft an, „ist als Regisseur von ,Carmina Burana’ ein besonderer Gewinn für Meiningen.“Inzwischen jedoch ist er ein besonderer Verlust. Und der reicht über ihn selbst hinaus.
Der renommierte und streitbare Theater- und Opernregisseur, einst Generalintendant in Köln, zog „relativ schnell die Notbremse“, sagt er am Telefon. „Ich bin niemandem böse in Meiningen.“Doch habe er erkennen müssen, dass das im Moment „nicht die richtige Stadt“für ihn ist.
Dann wird er deutlicher: Das Meininger Staatstheater mache auf ihn einen „stark provinziellen“Eindruck und wirke gelähmt, obwohl es dort hervorragende Mitarbeiter gebe.
Krämer, der sonst in München und Berlin, Wien und Paris inszeniert, wollte in Meiningen „helfen, was anzuschieben“. Er wollte vor allem Aldona Farrugia helfen, die „über 100 Jahre lang meine Assistentin“war und 2016 Operndirektorin in Meiningen wurde. Die kommende Spielzeit ist die erste in ihrer konzeptionellen Verantwortung. Wie man inzwischen weiß: auch die letzte. Das hängt auch mit Krämers Projekt zusammen, das in Farrugias Plänen als Erstes festgestanden hatte.
Krämer wollte „die alte Nazi-oper von dem Orff“, wie er die szenische Kantate des unpolitischen Komponisten von 1936 nennt, „nicht als lustiges Bauerntreiben“in Benediktbeuern zeigen, er wollte sie politisieren: Mit Bildern, die zum einen auf Phänomene wie Pegida eingehen, ohne sie beim Namen zu nennen, zum anderen auf passiven Widerstand, wie ihn Gandhis Salzmarsch verkörpere.
Das löste bei Ansgar Haag „große Freude“aus, so Krämer. Dann aber erhielt der Regisseur, wie er sagt, „zwei Unsinnsbriefe“vom Intendanten. Im ersten verneinte der demnach, Krämers Konzept überhaupt vorgetragen bekommen zu haben, was er im zweiten zurückgenommen habe. Das Thema Pegida soll für Haag nun „nicht das richtige Konzept“gewesen sein, weil das nichts mit Meiningen und Thüringen zu tun habe. Dann folgten „hinterfotzige Ausflüchte“, so Krämer. Es ging um Probentermine mit den Chören.
Haag dementiert inhaltliche Bedenken und kann immerhin darauf verweisen, dass er Pegida ähnliches Volk jüngst ja in seiner Inszenierung von Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“vorkommen ließ. Dem Intendanten zufolge wollte Krämer die aus Laien bestehenden Extrachöre auf allen Proben dabei haben, was Haag nicht garantieren konnte.
Also trennte man sich, bevor es zum Vertrag kam. Nun soll der Niederländer Ivar Thomas van Urk „Carmina Burana“inszenieren.
Der Intendant wird selber den Operndirektor machen
Das alles ist, für sich genommen, ein ärgerlicher, aber doch keineswegs singulärer Vorgang an einem Theater. Er steht in diesem Fall aber exemplarisch für „eine ganz schlechte Stimmung am Haus“, von der Mitglieder aus Ensemble und Belegschaft übereinstimmend berichten. Dazu trägt bei, dass nun einige „Köpfe rollen“, wie man sich ausdrückt.
Einer ist der von Aldona Farrugia. Die Operndirektorin bekam ihre Nichtverlängerung auf den Tisch: im Sommer 2018 ist Schluss. „Das trifft zu“, erklärt sie auf Nachfrage und hält sich ansonsten bedeckt. Verwundert zeigt sie sich allerdings, „plötzlich nicht mehr gewollt zu sein“, obwohl man ihre Leistung erst in der kommenden Saison so richtig beurteilen könne. Sie inszeniert „Ariadne auf Naxos“von Strauss.
Für einen ersten Aufschrei im Haus sorgte im Februar, dass der allseits geschätzte Chefdramaturg Patric Seibert gehen musste. Verwaltungsdirektor Ulrich Katzer hatte ihm eigener Aussage zufolge „fristlos gekündigt“. Seibert sprach im Internetportal „Nachtkritik“später von einer einvernehmlichen Trennung: „Schlussendlich waren unterschiedliche Sichtweisen auf die Aufgaben und Amtsführung des Chefdramaturgen sowie Kontroversen um die zukünftige Ausrichtung des Meininger Hauses entscheidend.“Seibert war übrigens einst ebenfalls Assistent von Günter Krämer. Über ihn kam Aldona Farrugia nach Meiningen.
Gehen muss im nächsten Sommer auch Oberspielleiter Lars Wernecke. Ansgar Haag bestätigt das und spricht von Strukturveränderungen. Nachfolger wird es demnach nicht geben: „weil der Intendant den Operndirektor selber machen wird.“Und im Schauspiel würden „weniger Regisseure gebraucht“, weil es ab der Saison 2018/19 drei Neuproduktionen weniger gibt. Denn man müsse ja Eisenach nicht mehr bedienen, wo nunmehr Rudolstadts Schauspiel auftritt. Neu besetzt wird hingegen jetzt die Stelle des Chefdramaturgen. Alles, was darüber hinaus mehr oder weniger öffentlich wird, sind laut Haag „Gerüchte, um Unfrieden im Haus zu schaffen.“Weshalb das jemand tun sollte, bleibt unklar. Seit Haag 2005 Intendant wurde, sah auch niemand Anlass dazu. Auffallend ist, dass sich nun die Klagen häufen, nachdem Ulrich Katzer 2016 Verwaltungsdirektor wurde.
Auf ihn als Unfriedensstifter zielte zumindest auch ein Schreiben des Betriebsrates an Kulturminister Benjamin-immanuel Hoff (Linke) ab, der dem Rat der Kulturstiftung Meiningen-eisenach vorsteht. Vor zwei Tagen gab es in der Staatskanzlei nun ein Gespräch mit Theaterleitung und Betriebsrat. Hoff schlug dem Vernehmen nach vor, einen Mediator einzusetzen. Zudem will er sich bei einer Vollversammlung nach der Sommerpause vor Ort selbst ein Stimmungsbild machen.