Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
„Ich lasse Götze nicht so einfach fallen“
Im Interview stärkt Bundestrainer Joachim Löw dem Dortmunder Wm-helden den Rücken und spricht über Verlockungen aus China
Nun kommt Alexandra Kosteniuk im Juli sogar als frisch gebackene Mannschafts-weltmeisterin nach Erfurt. Mit Russland holte sie Gold bei der Team-wm in Khanty-mansyisk. Ich freue mich nun noch mehr auf unser Match im Rahmen des Frauenschachfestivals in meiner Heimatstadt. Mit sechs Punkten aus acht Partien holte Alexandra zusammen mit ihrer Teamkollegin Valentina Gunina zugleich das zweitbeste Einzelresultat aller Wm-spielerinnen. In folgender Partie machte Gunina gegen ihre polnische Gegnerin kurzen Prozess. Weiß setzt in drei Zügen matt! Auflösung vom 24. Juni: 1 . . . . Dxf2+! und Weiß gab auf. Auf 2. Kxf2 käme fxe4+ mit Abzugsschach und Rückgewinn der Dame. Sotschi. Joachim Löw grinst und antwortet auf Englisch: „Yes, I hope so!“Ein brasilianischer Reporter hatte den Bundestrainer nach dem fulminanten Halbfinal-sieg beim Confedcup gegen Mexiko (4:1) gefragt, ob man bei der WM 2018 mehr von diesen starken Spielern erwarten kann, als nur die angekündigten zwei bis drei. Löw ist zufrieden. Sein Experiment ist gelungen. Alles scheint aufzugehen, im Finale geht es nun am Sonntag (20 UHR/ZDF) gegen Chile um den Turniersieg. Wir trafen den 57-Jährigen für ein Gespräch über die „Neue Deutsche Welle“, die Zukunft von Mario Götze und ein unmoralisches Angebot aus China.
Herr Löw, reiben Sie sich manchmal die Augen, wenn Sie Ihre junge Mannschaft hier spielen sehen?
Wenn man Mexiko in einem Halbfinale 4:1 schlägt, ist das natürlich schön. Es war eine grandiose Leistung. Kompliment an unsere jungen Spieler. Das hat man sich vielleicht mal gewünscht, aber damit konnte man nicht unbedingt rechnen vor dem Turnier.
Sie sind nur noch einen Schritt vom Turniersieg entfernt. Chile ist der stärkste Gegner im Turnier. Das gibt sicherlich einen Abnutzungskampf. Beide Mannschaften kennen sich jetzt gut. Wir wissen, dass Chile die Mannschaft ist, die am flexibelsten spielt und einen eigenen Stil entwickelt hat.
Schreiben Sie auch hier Tagebuch?
Ja.
Wir würden natürlich gerne wissen, was da drin steht. (lacht) Ich habe bereits bei der WM 2014 Tagebuch geführt. Nicht jeden Tag, aber schon in regelmäßigen Abständen. Ich mache mir Notizen über Gespräche mit Spielern, über Trainingsinhalte, über wichtige Schritte in der Entwicklung einzelner Spieler und der Mannschaft.
Welches Fazit des Confedcups würden Sie ins Tagebuch schreiben?
Die Mannschaft hat in diesem Turnier sehr vieles gelernt. Es ist schon jetzt eine großartige Erfahrung. Es gab in jedem Spiel Situationen, die schwierig waren. Wir lagen gegen Chile zurück, wir haben gegen Kamerun eine nicht so gute erste Halbzeit gespielt. Aber diese junge Mannschaft hat sich immer wieder gefangen. Diese Erfahrungen nehmen die Spieler mit, sie werden helfen, in den nächsten Jahren bei ganz großen Turnieren ihren Mann zu stehen. Das ist unheimlich wertvoll.
Die Spieler üben Druck auf die Etablierten aus, die Sie zu Hause gelassen haben. Gefällt Ihnen das?
Selbstverständlich. Meine Priorität war, neue Konkurrenzsituationen zu schaffen. Da muss und wird es in Zukunft Veränderungen geben.
Werden Sie nach dem Confedcup einen Neuanfang ausrufen? Oder haben altgediente Weltmeister einen Bonus?
Bei null geht es nicht los. Die Spieler, die Sie gerade beschrieben haben, bewegen sich auf einem Weltklasseniveau. Und genau dieses Niveau müssen wir haben, wenn wir wieder Weltmeister werden wollen. Boateng, Kroos, Hummels, Neuer, Müller oder Özil haben diese Klasse. Das ist die Messlatte, und daran müssen alle sich messen lassen. Ein solches Niveau muss man erst mal erreichen. Aber es ist gut, dass Spieler nachrücken, die den Hunger und die Qualität haben, Druck auszuüben. Das heißt: Die Etablierten in der Mannschaft müssen ihr Motivationslevel hochhalten.
Gehört zu den Etablierten, die einen Bonus genießen, auch Mario Götze?
Ja, er gehört auch dazu.
Götze fiel monatelang wegen einer Stoffwechselerkrankung aus. Ist er deshalb ein Sonderfall,
dem Sie die Türe zur WM offenhalten?
Ich habe zuletzt einige Male Kontakt zu Mario gehabt und einen guten Eindruck gewonnen, er ist positiv und optimistisch. Ich hoffe, dass er bald wieder ins Training einsteigt. Für mich ist er ein außergewöhnlicher Fußballer. Wenn er seine Qualität umsetzen kann, ist er für mich ein Spieler, den ich nicht so einfach fallen lasse.
Leon Goretzka entwickelt sich zum Spieler des Turniers und steht vor der Entscheidung, ob er Schalke verlassen oder bleiben soll. Was braucht er?
Bei Leon ist es so, dass er ein technisch hochklassiger Spieler ist, der in einer kombinationssicheren Mannschaft sehr gut zurechtkommt. Seine Auftritte hier in Russland zeigen ja, dass er Ballbesitz braucht und technisch gute Mitspieler. Dann kann er seine Qualitäten voll einbringen. Und: Er braucht Vertrauen. Gerade junge Spieler brauchen ganz viel Vertrauen.
Wenn ein Spieler wie Goretzka – bliebe er in Schalke – wiederholt nicht Champions League spielt, wirft ihn das in der Nationalelf zurück?
Dauerhaft wäre es gut, wenn ein Spieler mit seinem Potenzial auch mal in der Champions League spielen würde. Aber wenn ein Spieler ein, zwei Jahre mal nicht in der Champions oder Europa League spielt, ist das für mich überhaupt kein Problem. Weil das auch den Vorteil hätte, die Woche über in aller Ruhe zu trainieren und in der Persönlichkeit zu reifen.
Apropos Wechsel: Der chinesische Fußballverband wollte Sie als Nationaltrainer verpflichten. Er soll Ihnen für rund zwei Jahre 50 Millionen Euro Gehalt geboten haben. Mein Vertrag beim DFB läuft bis 2020. Deshalb trete ich derzeit in keine Verhandlungen ein.
China flutet den Fußball mit irrsinnigen Millionensummen. Ist das eine Gefahr?
Die Summen, die da im Raum stehen, sind abenteuerlich. Dass manche Spieler das nutzen, kann man vielleicht nachvollziehen. Aber auf der anderen Seite muss man sich die Frage stellen: Was will man denn? Und wie will man das erreichen? China möchte einmal die WM ausrichten und auch Weltmeister werden. Das Wichtigste für China ist, dass sie ihre eigenen Spieler professionell ausbilden, dass sie Akademien gründen und im Nachwuchsbereich gute, junge Trainer einstellen. Dann kann zu den großen Fußballnationen aufschließen.