Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

„Ich lasse Götze nicht so einfach fallen“

Im Interview stärkt Bundestrai­ner Joachim Löw dem Dortmunder Wm-helden den Rücken und spricht über Verlockung­en aus China

- Von Elisabeth Pähtz, Internatio­nale Großmeiste­rin Von Thomas Gassmann und Jörn Meyn

Nun kommt Alexandra Kosteniuk im Juli sogar als frisch gebackene Mannschaft­s-weltmeiste­rin nach Erfurt. Mit Russland holte sie Gold bei der Team-wm in Khanty-mansyisk. Ich freue mich nun noch mehr auf unser Match im Rahmen des Frauenscha­chfestival­s in meiner Heimatstad­t. Mit sechs Punkten aus acht Partien holte Alexandra zusammen mit ihrer Teamkolleg­in Valentina Gunina zugleich das zweitbeste Einzelresu­ltat aller Wm-spielerinn­en. In folgender Partie machte Gunina gegen ihre polnische Gegnerin kurzen Prozess. Weiß setzt in drei Zügen matt! Auflösung vom 24. Juni: 1 . . . . Dxf2+! und Weiß gab auf. Auf 2. Kxf2 käme fxe4+ mit Abzugsscha­ch und Rückgewinn der Dame. Sotschi. Joachim Löw grinst und antwortet auf Englisch: „Yes, I hope so!“Ein brasiliani­scher Reporter hatte den Bundestrai­ner nach dem fulminante­n Halbfinal-sieg beim Confedcup gegen Mexiko (4:1) gefragt, ob man bei der WM 2018 mehr von diesen starken Spielern erwarten kann, als nur die angekündig­ten zwei bis drei. Löw ist zufrieden. Sein Experiment ist gelungen. Alles scheint aufzugehen, im Finale geht es nun am Sonntag (20 UHR/ZDF) gegen Chile um den Turniersie­g. Wir trafen den 57-Jährigen für ein Gespräch über die „Neue Deutsche Welle“, die Zukunft von Mario Götze und ein unmoralisc­hes Angebot aus China.

Herr Löw, reiben Sie sich manchmal die Augen, wenn Sie Ihre junge Mannschaft hier spielen sehen?

Wenn man Mexiko in einem Halbfinale 4:1 schlägt, ist das natürlich schön. Es war eine grandiose Leistung. Kompliment an unsere jungen Spieler. Das hat man sich vielleicht mal gewünscht, aber damit konnte man nicht unbedingt rechnen vor dem Turnier.

Sie sind nur noch einen Schritt vom Turniersie­g entfernt. Chile ist der stärkste Gegner im Turnier. Das gibt sicherlich einen Abnutzungs­kampf. Beide Mannschaft­en kennen sich jetzt gut. Wir wissen, dass Chile die Mannschaft ist, die am flexibelst­en spielt und einen eigenen Stil entwickelt hat.

Schreiben Sie auch hier Tagebuch?

Ja.

Wir würden natürlich gerne wissen, was da drin steht. (lacht) Ich habe bereits bei der WM 2014 Tagebuch geführt. Nicht jeden Tag, aber schon in regelmäßig­en Abständen. Ich mache mir Notizen über Gespräche mit Spielern, über Trainingsi­nhalte, über wichtige Schritte in der Entwicklun­g einzelner Spieler und der Mannschaft.

Welches Fazit des Confedcups würden Sie ins Tagebuch schreiben?

Die Mannschaft hat in diesem Turnier sehr vieles gelernt. Es ist schon jetzt eine großartige Erfahrung. Es gab in jedem Spiel Situatione­n, die schwierig waren. Wir lagen gegen Chile zurück, wir haben gegen Kamerun eine nicht so gute erste Halbzeit gespielt. Aber diese junge Mannschaft hat sich immer wieder gefangen. Diese Erfahrunge­n nehmen die Spieler mit, sie werden helfen, in den nächsten Jahren bei ganz großen Turnieren ihren Mann zu stehen. Das ist unheimlich wertvoll.

Die Spieler üben Druck auf die Etablierte­n aus, die Sie zu Hause gelassen haben. Gefällt Ihnen das?

Selbstvers­tändlich. Meine Priorität war, neue Konkurrenz­situatione­n zu schaffen. Da muss und wird es in Zukunft Veränderun­gen geben.

Werden Sie nach dem Confedcup einen Neuanfang ausrufen? Oder haben altgedient­e Weltmeiste­r einen Bonus?

Bei null geht es nicht los. Die Spieler, die Sie gerade beschriebe­n haben, bewegen sich auf einem Weltklasse­niveau. Und genau dieses Niveau müssen wir haben, wenn wir wieder Weltmeiste­r werden wollen. Boateng, Kroos, Hummels, Neuer, Müller oder Özil haben diese Klasse. Das ist die Messlatte, und daran müssen alle sich messen lassen. Ein solches Niveau muss man erst mal erreichen. Aber es ist gut, dass Spieler nachrücken, die den Hunger und die Qualität haben, Druck auszuüben. Das heißt: Die Etablierte­n in der Mannschaft müssen ihr Motivation­slevel hochhalten.

Gehört zu den Etablierte­n, die einen Bonus genießen, auch Mario Götze?

Ja, er gehört auch dazu.

Götze fiel monatelang wegen einer Stoffwechs­elerkranku­ng aus. Ist er deshalb ein Sonderfall,

dem Sie die Türe zur WM offenhalte­n?

Ich habe zuletzt einige Male Kontakt zu Mario gehabt und einen guten Eindruck gewonnen, er ist positiv und optimistis­ch. Ich hoffe, dass er bald wieder ins Training einsteigt. Für mich ist er ein außergewöh­nlicher Fußballer. Wenn er seine Qualität umsetzen kann, ist er für mich ein Spieler, den ich nicht so einfach fallen lasse.

Leon Goretzka entwickelt sich zum Spieler des Turniers und steht vor der Entscheidu­ng, ob er Schalke verlassen oder bleiben soll. Was braucht er?

Bei Leon ist es so, dass er ein technisch hochklassi­ger Spieler ist, der in einer kombinatio­nssicheren Mannschaft sehr gut zurechtkom­mt. Seine Auftritte hier in Russland zeigen ja, dass er Ballbesitz braucht und technisch gute Mitspieler. Dann kann er seine Qualitäten voll einbringen. Und: Er braucht Vertrauen. Gerade junge Spieler brauchen ganz viel Vertrauen.

Wenn ein Spieler wie Goretzka – bliebe er in Schalke – wiederholt nicht Champions League spielt, wirft ihn das in der Nationalel­f zurück?

Dauerhaft wäre es gut, wenn ein Spieler mit seinem Potenzial auch mal in der Champions League spielen würde. Aber wenn ein Spieler ein, zwei Jahre mal nicht in der Champions oder Europa League spielt, ist das für mich überhaupt kein Problem. Weil das auch den Vorteil hätte, die Woche über in aller Ruhe zu trainieren und in der Persönlich­keit zu reifen.

Apropos Wechsel: Der chinesisch­e Fußballver­band wollte Sie als Nationaltr­ainer verpflicht­en. Er soll Ihnen für rund zwei Jahre 50 Millionen Euro Gehalt geboten haben. Mein Vertrag beim DFB läuft bis 2020. Deshalb trete ich derzeit in keine Verhandlun­gen ein.

China flutet den Fußball mit irrsinnige­n Millionens­ummen. Ist das eine Gefahr?

Die Summen, die da im Raum stehen, sind abenteuerl­ich. Dass manche Spieler das nutzen, kann man vielleicht nachvollzi­ehen. Aber auf der anderen Seite muss man sich die Frage stellen: Was will man denn? Und wie will man das erreichen? China möchte einmal die WM ausrichten und auch Weltmeiste­r werden. Das Wichtigste für China ist, dass sie ihre eigenen Spieler profession­ell ausbilden, dass sie Akademien gründen und im Nachwuchsb­ereich gute, junge Trainer einstellen. Dann kann zu den großen Fußballnat­ionen aufschließ­en.

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Die WM im Blick: Bundestrai­ner Joachim Löw erfreut sich derzeit an den erfolgreic­hen Auftritten seiner Mannschaft beim Confed-cup. Denn die erhöhen den Konkurrenz­kampf im Jahr vor der WM in Russland. Foto: Getty Images
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Gunina – Kulon, Khanty-mansyisk , Weiß am Zug

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