Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Viele Motive und Motivationen
Mehr als 150 Künstler versammelt an diesem Wochenende die elfte Thüringer Kunstmesse „Artthuer“. Ein Bericht vom Eröffnungstag
Erfurt. Rosmarie Weinlich betrachtet die Betrachter ihrer Bilder: wie sie davor stehen, den Kopf zur einen wie zur anderen Seite neigen, ganz nah an ein Gemälde herantreten und wieder einen gewissen Abstand suchen, der Übersicht wegen. Man stelle sich das vor und denke sich das Gemälde weg: So wird Choreographie daraus.
Es ist in jedem Fall ein großer Tanz um die Kunst, der sich an diesem Wochenende in Halle 3 der Messe Erfurt ereignet. Die elfte Thüringer Kunstmesse „Artthuer“versammelt mehr als 150 Künstler an 130 Ständen – und ist damit so groß und so vielgestaltig wie noch nie. Die Motive der Kunst unterscheiden sich ebenso stark wie die Motive der Künstler, sich damit auf der Messe zu zeigen.
Rosmarie Weinlich zum Beispiel erfreut sich eben geradezu diebisch an ihrem Publikum. Nur eine ihrer Installationen zeigt sie, aber viele Bilder, die sich mit der Mortalität befassen. Sterbende Tiere, Knochen und Gewebe, Fossilien auch sind gleichsam Leichen aus ihrem Atelierkeller.
Elke Albrecht, die lange in New York lebte und nun seit sechs Jahren in Eisenach, stellt jenseits der „Artthuer“nie auf Kunstmessen aus, dafür viel in Museen und Galerien. Sie verkauft sich nicht gern, zumal sie mit ihren Bildern, auf denen sie sehr reduziert mit Farbe, Form und Struktur experimentiert, eine künstlerische Position vertritt, die hierzulande singulär ist und einen erfahrenen Blick verlangt. „Meine Arbeiten schreien ja nicht“, sagt sie. An der „Artthuer“mag sie daher vor allem den Kontakt zu den Kollegen und zu einem interessierten Publikum.
Der Verband Bildender Künstler Thüringen spricht als Veranstalter von einer Produzentenmesse. Und ohne Frage geht es hier um den Verkauf. Die Messe ist ein Kunstmarkt – aber kein Basar. Gefeilscht wird hier nicht, die Preise sind gelistet. Dies sei „die eigentlich in Mitteldeutschland größte Kunstmesse“, sagt Verbandschef Klaus Nerlich zur Eröffnung.
Die „Buchkunst Weimar“und 13 Videokünstler sind dabei
Und sie funktioniert durchaus, obschon Thüringen, der Kaufkraft entsprechend, keine erste Adresse des Kunsthandels ist. Die Malerin Katja Triol aus Kasachstan, die in Weimar Kunst studierte und aktuell in Bad Kissingen lebt, brachte bei der vergangenen „Artthuer“vor zwei Jahren fast alle ihre Bilder an den Mann; für eine folgende Weihnachtsausstellungen musste sie nachproduzieren. Jetzt zeigt sie, neben vielem anderen, das Ölbild einer abgestellten vollen Supermarkttüte. Es heißt „Schnäppchen“– kostet aber 5000 Euro.
Es wird immer noch viel gemalt, allen Unkenrufen sowie auch dem Umstand zum Trotz, dass an der Fakultät Kunst und Gestaltung der BauhausUniversität, die Thüringens Kunsthochschule darstellen soll, Malerei bis vor kurzem keine Rolle spielte. Das Spektrum in Thüringen aber reicht weiterhin von abstrakt bis hyperrealistisch. Konstanze Trommer aus Erfurt, die früher mit Textilkunst und Kunst am Bau reüssierte, befasst sich seit fünf Jahren auf Acrylgemälden mit dem extrem ambivalenten Verhältnis von Mensch und Tier. „Albertina und der Hasenraub“heißt eines ihrer Bilder, auf dem ein Jagdhund offensichtlich einen Hasen aus einem Museumsbild fasste. Das Thema ist politisch und ethisch motiviert, Trommer malt viel an gegen Tiere in der Industrieproduktion.
„Humor ist ein Riesenventil, um locker zu werden“, findet unterdessen Claudia Katrin Leyh aus Meiningen, während sie an ihrem „Bürokratenkarussell“dreht. Drei Bronzefiguren auf einem kinetischen Objekt drehen sich dabei um sich selber sowie umeinander. Alles ist in Bewegung, aber nichts geht voran. Beim Publikum kommt so etwas glänzend an.
Derweil hat Joachim B. Schulze aus Gera aus 120 Us-dollarscheinen eine „Eigenkapitaldecke“genäht und für eine Installation auf ein Lazarettbett gelegt; der Wecker auf dem Nachtschränkchen daneben zeigt keine Stunden, sondern Monate an.
Es werden an den Ständen immer wieder Debatten geführt, wie politisch die Kunst sein soll oder muss. „Der Künstler muss politisch sein, seine Kunst nicht unbedingt“, ist eine Position, die bereits zu hören war.
Die Galerie Eigenheim Weimar/ Berlin hatte um künstlerische Äuße- rungen über „Deutschland“gebeten. Benedikt Braun steuerte zum Beispiel das T-shirt „Das Dritte Reicht“bei. Er ist einer von fünf EigenheimKünstlern, die über ein Soloticket zur Messe eingeladen wurden; die Galerie selbst zeigt einen Infostand.
Braun macht „alles außer Malerei“sagt er auf eine Frage von Schülern, die hier am Freitag außerschulisch unterrichtet werden. Malen könne er nicht, aber wer weiß, eines Tages fällt vielleicht auch diese Grenze.
An eine logistische wie auch personelle Grenze ist die Kunstmesse nunmehr gestoßen, sagt Michaela Hirche, Geschäftsführerin des Künstlerverbandes. Noch größer geht nicht, nicht mit diesen Mitteln, die das Wirtschaftsministerium, die Staats- kanzlei und die Sparkasse stellen. Man will aber auch aus Gründen der Qualität nicht ausufern.
Dass 31 Bewerber abgelehnt wurden, hat damit allein allerdings nichts zu tun, sondern auch mit den Kunstformen, die man präsentieren will. Eine Lounge zeigt jetzt erstmals Arbeiten von dreizehn Videokünstlern. Und für einen Sonderbereich wurde die „Buchkunst Weimar“eingeladen, eine Biennale , die in einem Jahr zum siebten Mal stattfindet.
Gudrun Illert, Thüringens einzige Buchkünstlerin, organisiert diese und stellt sich nun auf der „Artthuer“zusammen mit acht Kollegen aus ganz Deutschland vor: mit kalligraphischen Werken, mit Tief-, Hochund Holzdruckarbeiten. Eine Kunst, Plastiken, digitale Fotocollage sowie Kunst im öffentlichen Raum sind das Feld des Erfurter Künstlers Thomas Lindner. die das Buch zum Unikat macht, die den Text in Szene setzt.
Zum zweiten Mal sind auch drei Galerien an der Kunstmesse beteiligt: Rothamel aus Erfurt, Profil aus Weimar sowie Huber & Treff aus Jena. Damit ist das Spektrum nennenswerter professioneller Galerien des Landes im Grunde schon abgedeckt. Rothamel stellt den in Berlin lebenden vietnamesischen Maler Nguyen Xuan Huy vor, sein großes Gemälde „Hylas und die Nymphen“fand für 21.000 Euro bereits einen Besitzer.
Die Galerie Profil ist mit Kaltnadelradierungen von Claudia Berg vertreten, wie sie aktuell auch in Weimar selbst ausgestellt sind, unter dem Titel „Fernweh“. Präsenz zeigen, so lautet das Ziel der Galeristin Elke Gatz-hengst. Falls sie etwas verkaufen sollte, wäre das der Bonus.
Jost Heyder ist einer der bekannten und etablierten Künstler des Landes, die zwar über die Messe schlendern, nicht aber ausstellen. Ihm geht es da ähnlich wie Elke Albrecht, er konzentriert sich auf die vielen Ausstellungen, zu denen er gebeten ist.
Auf der „Artthuer“jedoch hat er als Mitglied jener Jury zu tun, die bestimmen darf, wer an diesem Samstag den mit 5000 Euro dotieren Kunstpreis erhält. Einen Tag später wird der Publikumspreis entschieden, der im Herbst 2020 eine Personalausstellung in Gotha zeitigt.
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Heute und morgen, bis Uhr, Halle , Messe Erfurt. Eintritt Euro („Haus.bau.ambiente“inklusive).