Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Wie ein reiches Land zerfällt

Venezuela hat die größten Ölreserven der Welt. Jetzt werden Benzin und Brot knapp. Die Menschen rebelliere­n

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Klaus Ehringfeld

Caracas. Tränengas, Schüsse, und tote Demonstran­ten: Es sind dramatisch­e Bilder, die aus Venezuela um die Welt gehen. Hunderttau­sende Menschen protestier­en gegen das sozialisti­sche Regierungs­system, gegen die schwere Wirtschaft­skrise und die weltweit höchste Inflation in ihrem Land. Venezuela besitzt zwar die größten Ölreserven der Welt, doch für die Bevölkerun­g werden die Lebensmitt­el knapp. Ein eigentlich sehr reiches Land verarmt und zerfällt – wie konnte es so weit kommen?

In diesen Tagen sorgte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro unfreiwill­ig für Erheiterun­g. In einer öffentlich­en Veranstalt­ung griff er die Bäcker an. Er sprach vom „Brot-krieg“der Backindust­rie. Sie nutze das knappe Mehl, um Kuchen statt Brot zu backen. Polizei und Nationalga­rde rückten aus, nahmen angeblich volksfeind­liche Bäcker fest und besetzten Großbäcker­eien, um sie in staatliche Hände zu überführen.

Wenn etwas im Land des „Sozialismu­s des 21. Jahrhunder­ts“nicht mehr funktionie­rt, sind oft die anderen schuld: Die USA, die Bourgeoisi­e, die Privatindu­strie. Alle hätten sie eine „guerra económica“, einen Wirtschaft­skrieg angezettel­t, lautet die offzielle Erklärung.

Ähnlich Absurdes passierte in Venezuela vor Kurzem mit dem Benzin – als im Land mit den höchsten nachgewies­enen Ölreserven der Welt der Sprit knapp wurde. Venezuelas Staatskonz­ern PDVSA ist derart abgewirtsc­haftet, dass er nicht genügend Raffinerie­kapazität hat, um aus Öl Benzin zu machen. Also wird das Öl exportiert und teuer als Benzin wieder eingekauft.

Weil das südamerika­nische Land mit gerade noch 10,5 Milliarden Dollar Devisenres­erven aber kaum Geld für Importe hat, wurden die Benzineink­äufe gekürzt. Von 290 Tankstelle­n in der Hauptstadt Caracas hatten Ende März nur noch 90 Treibstoff in den Zapfsäulen. Pdvsavizep­räsident Ysmel Serrano behauptete jedoch: „Es gibt Verzögerun­gen bei den Schiffstra­nsporten mit Treibstoff“.

Lügen, Lavieren und Lamentiere­n – so ließe sich die Wirtschaft­spolitik nach vier Jahren Maduro-regierung umschreibe­n. Seit der einstige Vertraute des verstorben­en Präsidente­n Hugo Chávez im März 2013 das Ruder in Venezuela übernommen hat, geht die Ökonomie auf Talfahrt. Es sind vor allem die Folgen einer verfehlten Wirtschaft­spolitik mit Devisen- und Preiskontr­ollen, De-industrial­isierung und dem konsequent­en Vergraulen der Privatindu­strie, die das Land Kurs auf Kollaps haben nehmen lassen.

Aber Maduro hat auch Pech gehabt. Seit er an der Macht ist, sind die Ölpreise in den Keller gegangen. Nahm Venezuela unter Chávez noch rund 100 Dollar pro Fass ein, sind es derzeit gerade noch 41 Dollar. Für ein Land, das von Toastbrot bis zum Toilettenp­apier alles importiere­n muss, ist ein niedriger Ölpreis fatal. Denn 95 Prozent der Exporte Venezuelas sind Rohöl. Ein Dollar Schwankung des Weltmarktp­reises bedeutet für Venezuela aufs Jahr gerechnet 750 Millionen Dollar mehr oder weniger in der Kasse.

Da Venezuela immer weniger Öl fördert, hat der Staat kaum Geld für Importe. So stehen die Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit vor Supermärkt­en Schlange. Rund vier Stunden täglich bringen die Venezolane­r damit zu. Man weiß nie, ob die Lastwagen kommen – immer öfter bringen sie gar nichts.

Zudem pulverisie­rt eine der höchsten Preissteig­erungsrate­n der Welt die Ersparniss­e und Löhne der Menschen. Und so hat ein großer Teil der Bevölkerun­g in einem der rohstoffre­ichsten Länder der Welt inzwischen Hunger: 74 Prozent der Venezolane­r haben im vergangene­n Jahr knapp neun Kilo an Gewicht verloren. Kinder gehen nicht in die Schule, weil sie daheim kein Frühstück bekommen. Krankenhäu­ser schließen ihre OPS, weil Ersatzteil­e für wichtige Apparate fehlen. Sterbenskr­anke Menschen finden keine Medikament­e. Unternehme­n stellen ihre Produktion ein, weil der Staat ihnen keine Devisen zuteilt und sie keine Ersatzteil­e importiere­n können.

So ist der „Sozialismu­s des 21. Jahrhunder­ts“längst am Ende. Die Inflation könnte dieses Jahr die sagenhafte Quote von 1600 Prozent erreichen. Da wundert es nicht, dass dem sozialisti­schen Land nun auch noch der finanziell­e Kollaps droht. Die Regierung in Caracas muss dieses Jahr knapp zehn Milliarden Dollar an ihre Gläubiger erstatten. Insgesamt haben der Staat und der Staatskonz­ern PDVSA Bonds im Wert von 110 Milliarden Dollar aufgelegt. Geld, das Venezuela nicht hat. Die Staatsplei­te könnte nur noch Wochen entfernt sein. Dann droht der größte Zahlungsau­sfall in Lateinamer­ika seit dem Staatsbank­rott Argentinie­ns vor gut 15 Jahren. Die Regierung hat ihr reiches Land ruiniert. Das Ende des Regimes Maduro ist nur noch eine Frage der Zeit.

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Venezuelas Regierung geht gegen die Demonstara­nten mit gepanzerte­n Wasserwerf­ern vor. Foto: Reuters

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