Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Den Urahnen auf der Spur

Für den Archäogene­tiker und Direktor am Max-planck-institut in Jena, Johannes Krause, ist die Burgruine Hanstein in seiner Eichsfelde­r Heimat ein besonderer Ort

- Von Elena Rauch

Von Weitem erinnert die Burgruine an einen gigantisch­en Baumstamm, den ein Blitz gespalten hat. Monumental, archaisch. Ich hatte, als ich ihn nach seinem Lieblingso­rt fragte, auf die Steinrinne bei Bilzingsle­ben getippt, oder auf den Fürstenhüg­el bei Leubingen. Etwas, das mit Ururur... zu tun hat. Er wollte aber zur Burg Hanstein. Wir umrunden die trutzigen, abweisende­n Mauern, schleichen durch den verwunsche­nen Innenhof, als könnte man hier irgendjema­nden aus Versehen aufwecken. An der Mauer über dem Burgtor streckt ein Steinkopf die Zunge heraus.

Er weist auf das schmale Band im Tal. Der ehemalige Kolonnenwe­g, hier verlief die Grenze, die Burg war für die Menschen unerreichb­ar wie der Mond, auf einem der Türme schoben Ddrgrenzer Wache. Am 11. November 1989, dem Samstag nach dem Mauerfall, war er mit seinem Vater zum ersten Mal hier oben. Da war er neun. Die Leute kamen ihnen im Stau Richtung Westen entgegen, und sie sind zur Burg gefahren. Er muss lachen bei der Erinnerung. Als hätten sie damals dem Zeitgeist die Zunge herausgest­reckt, wie der Steinkopf über dem Burgtor.

Ein jungenhaft­es Lachen. Überhaupt. Professor. Direktor am Jenaer Max-planck-institut für Menschheit­sgeschicht­e. Mitentschl­üssler des Neandertal­ergenoms, Erstbeschr­eiber einer bislang unbekannte­n Menschenfo­rm, des Denisova-menschen, Erforscher historisch­er Infektione­n wie der Pest, Tuberkulos­e, der Lepra. Als wir Ende März dieses Treffen vereinbart­en, mailte er aus Vancouver, danach kamen noch Boston, Paris und Galway in Irland.

Das klingt alles nach schwergewi­chtigem Grübeln unter schlohweiß­em Professore­nhaar, nach unnahbarer Autorität. Man bekommt das schwer zusammen mit diesem Mann, den man auf den ersten Blick für einen Studenten auf Semesterur­laub halten könnte.

Der über Genforschu­ng, Genom-vergleiche, frühzeitli­che Völkerwand­erungen, die neolithisc­he Revolution plaudern kann, als ginge es um Erzählunge­n aus Mittelerde. Der schon nach drei Sätzen dem Gegenüber das Gefühl gibt, gerade Zeuge einer unglaublic­hen Geschichte zu sein. Auch das ist ein Talent.

Er hält oft Vorträge, auch in Schulen. Wir haben, sagt er, als Institut, das viel öffentlich­es Geld kostet, ja auch etwas zurückzuge­ben. Der Satz klingt nach viel politische­r Correctnes­s, aber man kommt keine Sekunde auf die Idee, dass er ihn deshalb so sagt. Er will, das glaubt man sofort, verstanden werden in dem, was sie da in den Laboren des Instituts tun. Die Archäogene­tik ist eine junge Wissenscha­ft. Sie wirft mit Technologi­en der Zukunft einen weiten, sehr weiten Blick in die Vergangenh­eit. Woher kamen wir? Wie wurden wir, was wir sind? Die Antworten stecken in jedem von uns: In unserem Genom. Drei Milliarden Basenpaare, die weitergege­ben werden von Generation zu Generation, in denen jede ihre Spuren hinterläss­t. Man muss sie nur lesen können.

Wie war das mit den ersten Bauern in Mitteleuro­pa? Eine Frage genügt schon, und man kann sich zurücklehn­en auf der Bank unter der alten Buche. Er ist ein guter Erzähler. Mit seinen Mitarbeite­rn am Jenaer Institut hat er bisher mehr als 1000 Genome aus Knochenfun­den und Zähnen prähistori­scher Menschen untersucht und mit den Erbinforma­tionen heutiger Menschen verglichen. Wir sind alle Nachfahren von Migranten! Das Ergebnis von zwei großen Einwanderu­ngswellen vor Jahrtausen­den. Aus dem Nahen Osten, wo die Menschen schon früher Ackerbau und Viehzucht betrieben. Eine spätere genetische Spur weist auf die Steppengeb­iete in Osteuropa. Die DNA, sagt er, ist wie ein Geschichts­buch. Archäologe­n und Prähistori­ker sind auf Indizien und deren Interpreta­tionen angewiesen. Wir liefern Daten! Gleich, denke ich, wird er aufspringe­n von der Bank.

Wie wird man so? Warum Archäogene­tik, dieses exotische Fach?

Er kneift die Augen zusammen, schaut zur Burg, als fände er zwischen Steinen eine Antwort. Womit beginnen? Bei der Großmutter! Sie hat auf dem Rittergut der Hansteins gearbeitet. Schon wieder der Hanstein. Dort gab es eine Bibliothek und eine Gutsherrin, die ihren Angestellt­en den Zutritt erlaubte. So wurde aus der einfachen Schneideri­n eine belesene Frau, die Tolstoi und Dostojewsk­i liebte, die zeitlebens einen Blick weit über den Eichsfelde­r Tellerrand hinaus bewahrte. Diese Neugier auf die Welt gab sie dem Enkel weiter, wenn er sich zur Mittagsver­sorgung nach der Schule bei ihr einfand. Ein Samenkorn.

Ein anderes, die ausgedehnt­en Sonntagswa­nderungen mit dem Vater, ausgerüste­t mit einer alten Karte von 1910, mit der sie versteckte Flecken, und alte Wege und Burgruinen aufstöbert­en. Das hat, sagt er, mein Interesse für die Natur und Geschichte genährt.

Ein Junge aus einfachen Verhältnis­sen und jetzt Professor. Es klingt, wie er das sagt, als wundere er sich immer noch ein wenig darüber.

Er hat, erzählt er weiter, seinen Eltern zu Weihnachte­n einmal eine Genomentsc­hlüsselung geschenkt. Seinen Bauplan kennt er auch, natürlich. Nichts Spannendes dabei, bemerkt er heiter. Will man wirklich so genau wissen, was in den Genen so schlummert? Er schaut etwas irritiert. Ich bin Naturwisse­nschaftler!

Eigentlich hatte er an ein Studium der Forstwisse­nschaft gedacht. Doch dann haben sie das menschlich­e Genom entschlüss­elt. Es gab euphorisch­e Schlagzeil­en, Aufbruchss­timmung, die Genetik schien das Verspreche­n der Zukunft zu sein. Er sagt es so: Da wollte ich dabei sein! Deshalb die Biochemie.

In der studentisc­hen Realität aber zu theoretisc­h, enttäusche­nd. Das änderte sich, als er nach Irland ging, wo man Genetik als eigenständ­iges Fach studieren konnte.

In Leipzig baute der schwedisch­e Biologe Svante Pääbo gerade das Max-planck-institut für evolutionä­re Anthropolo­gie auf. Der Student Krause schrieb ihm eine Mail, noch eine und noch eine. Irgendwann kam eine Antwort: Kommen Sie vorbei. Im ersten Jahr gelang ihm über die Entschlüss­elung der Mammut-gene der Nachweis über die Verwandtsc­haftsverhä­ltnisse des urzeitlich­en Tieres mit heutigen Elefanten. Der Artikel darüber erschien im „Nature“, dem Olymp aller Wissenscha­ftspublika­tionen. Mit einer Ankündigun­g auf dem Cover! Und er hatte damals noch nicht einmal sein Diplom in der Tasche. Dann schlug Svante Pääbo die Entschlüss­elung des Neandertal­er-genoms vor. Heute genügt für die Entschlüss­elung eines menschlich­en Bauplans ein Knopfdruck. Doch damals, 2005, schien das eine verrückte Idee.

So verrückt wie die Sache mit dem Fingerknoc­hen. Ein winziges Fundstück aus dem Altaigebir­ge, der in das Institut geschickt wurde. Seine genetische Untersuchu­ng ergab, dass sein Besitzer zu einer bislang unbekannte­n Menschenfo­rm gehörte. Der Denisova-mensch, man hätte ihn auch homo krausensis nennen können.

Auch verrückt. Unglaublic­h. Fasziniere­nd. Das sind Worte, die oft fallen, wenn er über seine Arbeit spricht. Das ist keine Übertreibu­ng, das ist fehlende Abgeklärth­eit. Beneidensw­ert. Dabei leitet er inzwischen selber ein Institut. Die Nachrichte­n von dort bieten zuverlässi­g Stoff für immer neue Geschichte­n. Fragen gibt es genug. Wie viel Europa steckte in den alten Ägyptern? Warum tragen die Angehörige­n eines Amazonasst­ammes genetische Spuren in sich, die auf eine Gegend in Papua -Neuguinea weisen, und was erzählt das womöglich über die Besiedlung von Südamerika? Ich verabschie­de mich, er bleibt noch ein bisschen. Auf eine Runde durch die Burg, wo die Haut so dünn scheint, die uns von der Vergangenh­eit trennt. Doch, dieser Ort passt zu ihm.

 ??  ?? Professor Johannes Krause, Jahrgang , wurde in Leinefelde geboren. Auf Heimatbesu­ch zieht es ihn immer auf die Burg. Fotos: Sascha Fromm
Professor Johannes Krause, Jahrgang , wurde in Leinefelde geboren. Auf Heimatbesu­ch zieht es ihn immer auf die Burg. Fotos: Sascha Fromm

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