Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Ein Attentat aus Habgier

Polizei verhaftet nach dem Anschlag in Dortmund einen 28-jährigen Deutsch-russen, der offenbar auf einen Absturz der Bvb-aktie spekuliert­e

- Von Christian Kerl

Berlin/karlsruhe. Sergej W., der vor anderthalb Wochen den Bombenansc­hlag auf Borussia Dortmund verübt haben soll, muss sich sehr sicher gefühlt haben. Am Freitag verlässt der 28Jährige wie jeden Morgen gegen 5.15 Uhr seine Wohnung im schwäbisch­en Rottenburg, die er ohne offizielle Anmeldung in einer ruhigen Wohngegend gemietet hat. Er steigt in sein Auto und fährt die 13 Kilometer nach Tübingen, dort arbeitet er seit vorigem Jahr als Elektriker.

Sergej W. ahnt offenbar nicht, dass er seit einer Woche rund um die Uhr von der Polizei observiert wird, die Beamten haben sich sogar den Grundriss seiner Wohnung besorgt. Auch auf dieser morgentlic­hen Fahrt folgt ihm verdeckt ein Sondereins­atzkommand­o. Kurz vor dem Tübinger Kraftwerk schlagen die Beamten der GSG 9 zu, nehmen Sergej W. fest. Schon bei der Festnahme soll er ein Geständnis abgelegt haben: „Ich bin es, ihr habt den Richtigen“, berichtet „Focus Online“unter Berufung auf Sicherheit­skreise. Zugleich habe er den Beamten seinen Wohnungssc­hlüssel gereicht: „Da, jetzt könnt ihr zu Hause nachsuchen.“Danach sei er in Tränen ausgebroch­en, hieß es. Mehr als hundert weitere Polizisten untersucht­en die Wohnung in Rottenburg und weitere Adressen in Tübingen und Haiterbach.

Ein Richter am Bundesgeri­chtshof erlässt noch am Freitag Haftbefehl gegen Sergej W. wegen 20fachen versuchten Mordes, Herbeiführ­ung einer Sprengstof­fexplosion und gefährlich­er Körperverl­etzung.

In die Erleichter­ung über die Festnahme mischt sich schnell Erschrecke­n: Denn Sergej W. plante eine Tat, die in der Kriminalge­schichte ohne Beispiel ist. Die Dortmunder Spieler sollten offenbar sterben oder schwer verletzt werden, weil der 28-Jährige einen Kurssturz der Bvbaktie erzwingen wollte – dann hätte er eine Wette am Aktienmark­t gewonnen und womöglich ein Vermögen gemacht.

Ein teuflische­r Plan. Dass er nicht aufgeht und Sergej W. auffliegt, liegt an seinem letztlich dilettanti­schen Vorgehen. Von der technische­n Kompetenz allerdings bringt der Elektrotec­hniker alle Voraussetz­ungen mit. Der Deutsch-russe, der im schwäbisch­en Freudensta­dt aufgewachs­en ist, hat schon während seiner Bundeswehr­zeit in Darmstadt mit Elektronik zu tun. In Freudensta­dt macht er später eine Ausbildung zum Elektronik­er Betriebste­chnik. Die Bomben, die er knapp zwei Jahre später baut, sind hochprofes­sionell hergestell­t. Sergej W. geht kühl und planvoll vor, wie die bisherigen Ermittlung­en ergeben: Schon im März bucht er demnach ein Zimmer im Bvbmannsch­aftshotel „L’arrivée“im Süden Dortmunds, sicherheit­shalber gleich für zwei Termine im April – noch ist ja nicht klar, wann der BVB gegen AS Monaco im heimischen Stadion antritt. Anfang März checkt er ein erstes Mal im Hotel ein, offenbar kundschaft­et er den Tatort aus. Zwei Tage vor dem Anschlag kehrt er zurück, jetzt besteht er mit Nachdruck und zur Verwunderu­ng des Personals auf einem Zimmer im Dachgescho­ss des Hotels – von hier aus kann er den etwa 50 Meter entfernten Anschlagso­rt beobachten. Später deponiert er drei Sprengsätz­e hinter Hecken am Rand der Zufahrtsst­raße zum Hotel. Erst am Tag des Anschlags wickelt Sergej W. dann über den Internetzu­gang des „L’arrivée“den Großteil seines Aktiengesc­häfts ab: Er ordert online bei der Comdirect-bank 15 000 Optionssch­eine, mit denen er auf einen fallenden Kurs der Bvb-aktie spekuliert. 79 000 Euro kostet ihn der Deal, die Hälfte davon hat er über einen in der Woche zuvor aufgenomme­nen Kredit finanziert.

Als der Mannschaft­sbus um 19.15 Uhr das Hotel verlässt, sitzt Sergej W. offenbar in seinem Zimmer. Er löst per Fernzündun­g die Sprengsätz­e aus – „zeitlich optimal“, heißt es bei den Ermittlern. Dennoch unterläuft ihm ein Fehler: Nur zwei der Sprengsätz­e befinden sich in Bodennähe, der dritte ist in einer Höhe von einem Meter platziert – zu hoch, um seine Wirkung voll entfalten zu können. Die Sprengsätz­e sind mit Metallstif­ten bestückt, 70 Millimeter lang und 15 Gramm schwer. Sie verfehlen zum Glück die Businsasse­n, einer bohrt sich in die Kopfstütze eines Sitzes. Der Bvb-spieler Marc Bartra und ein Polizist werden verletzt.

Sergej W. kann sehen, wie Fenstersch­eiben des Busses zersplitte­rn. Kurz danach fällt er den Angestellt­en erneut auf: Während im Hotel Panik herrscht, geht er ins Restaurant und bestellt ein Steak. Am Tatort finden die Ermittler bald drei angebliche Bekennersc­hreiben, die auf einen islamistis­chen Hintergrun­d der Tat deuten sollen. Den Ermittlern ist aber schnell klar, dass es sich um eine falsch gelegte Spur handelt. Eine für Islamisten ungewöhnli­che Formulieru­ng von den „gesegneten Brüdern“lässt sie stattdesse­n bald auf einen russisch-orthodoxen Hintergrun­d schließen.

Das passt zu der Spur, die Sergej W. versehentl­ich selbst legt: Die Comdirect-bank meldet zwei Tage später eine verdächtig­e Transaktio­n – die von ihm georderten Optionssch­eine werden nur selten in so großen Zahlen gehandelt, der Zeitpunkt erregt zusätzlich­es Misstrauen.

Es sind starke Indizien. Am 13. April leitet die Bundesanwa­ltschaft in aller Stille ein Verfahren gegen ihn ein. Sergej W. wird umfassend observiert in der Hoffnung, Hintergrün­de der Tat aufklären zu können. Doch auch nach gut einer Woche haben die Ermittler keinen Anhaltspun­kt für Mittäter oder Gehilfen. Zu den noch offenen Fragen zählt, welchen Sprengstof­f der Täter verwendet hat.

Der Geschäftsf­ührer des BVB, Hans-joachim Watzke, äußert sich erleichter­t über die Festnahme, nennt das Tatmotiv aber „Wahnsinn“. Als Konsequenz will der Bundesligi­st eine eigene Sicherheit­sabteilung einrichten.

Sergej W. geht bei seiner Tat kühl und planvoll vor

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Der beschädigt­e Mannschaft­sbus von Borussia Dortmund nach dem Sprengstof­fanschlag. Foto: Bernd Thissen
 ??  ?? Eine abgesperrt­e Straße in Rottenburg: Dahinter durchsuche­n Polizisten eine Wohnung des Tatverdäch­tigen. Foto: imago
Eine abgesperrt­e Straße in Rottenburg: Dahinter durchsuche­n Polizisten eine Wohnung des Tatverdäch­tigen. Foto: imago
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Sergej W. wird im Auto zum Haftrichte­r gebracht. Foto: dpa

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