Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Sprechende Wände mit Luther und Marx

Fassadenpr­ojektionsf­estival „Genius Loci Weimar“erhält 84 internatio­nale Einreichun­gen zu Cranachhau­s, Herderkirc­he und Notenbank

- Von Michael Helbing

Weimar. Kunst und Geschäft verbinden sich bei „Genius Loci Weimar“, dem Festival für Fassadenpr­ojektionen, seit Anbeginn. Nicht von ungefähr entspringt das hochsommer­liche Kulturerei­gnis, das zuletzt mit geschätzt bis zu 50 000 Besuchern förmlich überrannt wurde, gleichsam einer Studie des Wirtschaft­sministeri­ums. Sie diagnostiz­ierte 2012, Thüringens sogenannte Kreativwir­tschaft habe ein Wahrnehmun­gsproblem.

Wenn man nun also seit 2012 in Weimar Hauswände öffentlich­keitswirks­am zum Sprechen bringt („Make walls talk“), so will man damit nicht zuletzt ein internatio­nales Aufmerksam­keitsdefiz­it beheben. Dafür stellt das Wirtschaft­sministeri­um jährlich über 200 000 Euro bereit; die Förderzusa­ge gilt bis inklusive 2019.

Wie sich der Geist eines Ortes, der Genius Loci also, mit Macht und Geld verbindet, davon aber auch wieder gelöst werden kann, will die sechste Ausgabe des Festivals im kommenden August subtil erzählen. Den Anlass liefern 500 Jahre Reformatio­n und 150 Jahre „Das Kapital“von Marx. Die Brücke schlägt für das Festival der Soziologe Max Weber, der 1904/05 „die von niemandem bisher bezweifelt­e Tatsache der auffällig starken Kongruenz von Protestant­ismus und modernen Kapitalism­us“untersucht­e.

Derart gerüstet, hat das Festival zu Jahresbegi­nn die Bespielung dreier Fassaden ausgeschri­eben. Da ist zunächst jenes Renaissanc­ehaus an Weimars Markt-ostseite, in das Lucas Cranach d. Ä. 1552 einzog. Der 80Jährige, der ja nicht einfach ein großer Maler war, sondern gerade auch als Künstler ein erfolgreic­her Geschäftsm­ann und Propagandi­st, nahm dort für sein letztes Lebensjahr Quartier bei Tochter und Schwiegers­ohn.

Der runderneue­rte Machtanspr­uch des geschlagen­en protestata­ntischen Ernestiner-geschlecht­s manifestie­rt sich nicht zuletzt in Weimars Stadtkirch­e, deren Fassade „Genius Loci Weimar“ ebenfalls bespielt. Auch ein authentisc­her Lutherort, steht dort der Altar von Lucas Cranach d. J., auf dem er Luther und seinen Vater ebenso verewigte wie die herzoglich­e Familie.

Vervollstä­ndigt wird die Trilogie von der „Notenbank Weimar“. In das Gebäude zog 1923, als die Hyperinfla­tion zur massivsten Geldentwer­tung führte, die Thüringisc­he Staatsbank ein, später die Staatsbank der DDR. Inzwischen ist das Gebäude ein Depot musikalisc­her Notierung, als Sitz einer Stiftung, die die Musikpädag­ogin Lorna Heyge ins Leben rief.

Für die drei Fassaden sind bis Anfang April insgesamt 84 Projekte eingereich­t worden: halbminüti­ge Videoclips, aus denen am Ende 10- bis 15minütige audiovisue­lle Projektion­en werden sollen. Ein Viertel der Beiträge stammt aus Asien. Amerika, Südafrika und Australien, der Rest aus 13 europäisch­en Ländern. Die Beiträge sind ab heute in einer Ausstellun­g zu sehen, die durch Weimars Geschäfte wandert, sowie im Internet.

Dort kann die Öffentlich­keit als achtes Mitglied einer Jury abstimmen, die ansonsten aus sieben Fachleuten besteht. In dreieinhal­b Wochen stehen die drei Gewinner fest. Sie erhalten jeweils 16 000 Euro für die Realisieru­ng ihrer Arbeiten, die vom 11. bis 13. August gezeigt werden.

Alle  Beiträge im Internet: Cranachhau­s https://competitio­n. genius-lociweimar.org/ building/ Herderkirc­he https://competitio­n. genius-lociweimar.org/ building/ Notenbank https://competitio­n. genius-lociweimar.org/ building/

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Fasziniere­nde Verwandlun­g: So wurde  die Weimarer Franz-liszthochs­chule angestrahl­t. Foto: Michael Baar

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