Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Ein Bürgerbünd­nis schafft sich ab

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Michael Helbing über etwas eigenartig­e Kämpfer für die Freiheit des Wortes

Huch, da ist jemand aufgewacht! Spät zwar, aber derart heftig, dass man wünschte, sie schliefen weiter, die Drollinge vom Bürgerbünd­nis gegen Rechtsextr­emismus Weimar. Damals jedenfalls rührten sie sich nicht: als eine Kollegin Ende Dezember erstmals über das Ettersburg­er Pfingstfes­tival 2017 schrieb. „Wagenknech­t und Sarrazin treffen auf Musik aus Südtirol und KZ“lautete unsere Schlagzeil­e.

Das war wohl zu direkt. Vergangene­n Freitag stand überm Vorbericht zum näher rückenden Festival subtiler „Die Zeitalter im Salon“. Das traf dann wohl den Nerv. Die Ohren müssen so etwas von sofort geklingelt haben. Denn noch am gleichen Tag titelte man zurück: „Weimarer Bündnis fordert Ausladung Sarrazins“.

So stand’s über einer Pressemitt­eilung, in der man liest: „Schloss Ettersburg als Erbe der humanistis­chen Aufklärung der Weimarer Klassik und mit der Gedenkstät­te Buchenwald in direkter Nachbarsch­aft sollte kein Podium bieten für rassistisc­he und sozialchau­vinistisch­e Anschauung­en!“Man will gegen den längst ausverkauf­ten Auftritt von Thilo „Deutschlan­d schafft sich ab“Sarrazin am 6. Juni protestier­en. Zudem soll das zuständige Bildungswe­rk Bau Hessenthür­ingen erwägen, sich von Schlossdir­ektor Peter Krause zu trennen. Der programmie­rt das Festival, lud Sarrazin ein.

Nun ist es sehr legitim zu fragen, ob dieser vorgeblich­e Sozialdemo­krat mit seiner pseudowiss­enschaftli­ch verbrämten Ideologie und seiner eigenwilli­gen Interpreta­tion von Statistike­n wirklich etwas beizutrage­n hat, das nicht hinausläuf­t auf: Muslime und Afrikaner verfügen über weniger „kognitives Kapital“als Europäer. Was die entspreche­nden Kapitalres­erven dieses Verfassers als doch sehr zur Neige gehend erscheinen lässt.

Dennoch ist es ebenso legitim, Sarrazin zum Diskurs zu zählen. Und dass Schloss Ettersburg seit Jahren ein seltener Ort des gesellscha­ftspolitis­chen Diskurses ist, darauf weist auch der bündnisgrü­ne Stadtrat Rudolf Keßner hin.

In einer Antwort an die „Chefideolo­gen vom Dienst“schreibt er: „Als vom ersten Tage der Gründung des ,Bündnisses Bürger gegen Rechts in Weimar’ euch nahestehen­d erkläre ich, dass ich mich schäme für eure Presseerkl­ärung.“

Nicht nur Keßner fiel auf, dass das nicht allzu bürgernahe Bürgerbünd­nis freundlich hinwegsieh­t über den Ettersburg­er Auftritt Sahra Wagenknech­ts, die gern Nationalis­mus von links betreibt. (Wer glaubt, sehr linke und sehr rechte Positionen lägen sehr weit auseinande­r, muss die Erde für eine Scheibe halten.)

Das Bürgerbünd­nis veranstalt­et übrigens im Mai eine Lesung auf dem Theaterpla­tz, die jährlich an die Bücherverb­rennung 1933 und diesmal an den 75. Todestag von Stefan Zweig erinnert.

Titel der Veranstalt­ung: „Für die Freiheit des Wortes“. Sehr drollig, das!

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