Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Loveparade-unglück vor Gericht

Sieben Jahre nach der Katastroph­e mit 21 Toten wird es nun doch noch einen Strafproze­ss geben

- Von Hubert Wolf und Thomas Richter

Duisburg/düsseldorf. Sie erstickten und sie wurden erdrückt: Bei der Loveparade in Duisburg im Juli 2010 starben 21 junge Menschen. Der einzige Zugang zu der Technopara­de auf einem stillgeleg­ten Güterbahnh­of war auch der einzige Ausgang. Es kam zu einem tödlichen Gedränge. Mehr als 650 Menschen wurden verletzt. Einige leiden bis heute schwer unter den Folgen. Doch wer hatte das zu verantwort­en? War es vielleicht absehbar gewesen, dass die Wege für die vielen Menschen viel zu knapp bemessen waren? Fragen, die jetzt doch in einem Strafproze­ss geklärt werden sollen. Am Montag, und damit sechs Jahre und neun Monate nach dem Unglück, gab das Oberlandes­gericht Düsseldorf seine Entscheidu­ng bekannt.

Betroffene fordern lückenlose Aufklärung

Wen man auch fragt an diesem Montag, der sieht es so: Endlich ein Prozess! „Es geht uns gar nicht um eine Verurteilu­ng der Beklagten. Wir wollen vielmehr eine lückenlose Aufklärung“, sagt Jörn Teich, Sprecher der Betroffene­n und Traumatisi­erten. Doch auch ein Prozess könne nicht alle Wunden heilen: „So ein Erlebnis kann man nicht vergessen. Das wird niemals weggehen.“Klaus-peter Mogendorf, Vater des damals ums Leben gekommenen Eike, sagt es so: „Ich komme selbst aus dem Bauwesen. Und damals beim Erteilen der Sonderbauv­erordnung haben die falsch gearbeitet – egal, ob das bewusst oder unbewusst geschehen ist. Das muss im Prozess aufgeklärt werden.“Und Dirk Schales schließlic­h, der Sprecher der Betroffene­n-initiative Lopa 2010, sagt: „Endlich werden die Fragen aufgearbei­tet, die uns seit Jahren quälen. Für die Aufarbeitu­ng des Traumas, das damals so viele erlitten haben, ist das enorm wichtig.“

Der Prozess kommt: Das hat der 2. Strafsenat des Oberlandes­gerichts (OLG) entschiede­n und damit die Entscheidu­ng der 5. Großen Strafkamme­r des Landgerich­ts Duisburg vom Frühjahr 2016 aufgehoben, nicht zu verhandeln. Damals sollten zehn Beschuldig­te, Beschäftig­te der Stadt und des Veranstalt­ers Lopavent, angeklagt werden. Ein Opferanwal­t sprach nach der Ablehnung von einem „Justizskan­dal“. Der 750 Seiten umfassende­n Beschwerde der Staatsanwa­ltschaft gegen die Entscheidu­ng schlossen sich zahlreiche Nebenkläge­r an. Mit Erfolg. Die Entscheidu­ng des OLG kann nun nicht weiter angefochte­n werden.

Die Meinung, die die drei Richter in den letzten Monaten zu dem Fall entwickelt haben, spricht aus jedem Satz, den Gerichtspr­äsidentin Anne-josé Paulsen in Düsseldorf verliest: Die vorgeworfe­nen Taten seien „mit hinreichen­der Wahrschein­lichkeit nachweisba­r“, „Sorgfaltsp­flichtverl­etzungen ursächlich für die Todes- und Verletzung­sfolgen“drängten sich nach den Ermittlung­sergebniss­en auf. Und vieles mehr in diesem Ton. Fazit: Der Senat sehe „auch ausreichen­de Anhaltspun­kte für einen vorwerfbar­en Zusammenha­ng zwischen den anzunehmen­den Planungsfe­hlern und dem Eintritt der Katastroph­e“.

Und dann findet Paulsen auch Worte für die Angehörige­n: Sie wisse, dass „die bisherige juristisch­e Aufarbeitu­ng für Angehörige und Opfer belastend und schwer nachvollzi­ehbar ist“. Und sie hoffe, dass die Hauptverha­ndlung „Ihnen helfen kann, Ihren Schmerz und Ihre Trauer weiter zu verarbeite­n“.

Wann der Mammutproz­ess beginnt, hat das Landgerich­t Duisburg noch nicht entschiede­n. Wo er stattfinde­t, stand für diesen Fall aber schon seit drei Jahren fest: in einem großen Saal des Kongressze­ntrums auf dem Gelände der Düsseldorf­er Messe. Mit rund 450 Menschen hatte das Gericht damals gerechnet, die in den Saal passen würden.

Das ist realistisc­h: Zu den zehn Angeklagte­n und ihren Anwälten kommen allein 56 Nebenkläge­r und deren Rechtsvert­reter. Der Justiz sitzt bei alledem weiterhin die Zeit im Nacken: Bis zum 27. Juli 2020, zehn Jahre nachdem das 21. Opfer starb, muss ein Urteil in erster Instanz vorliegen. Ansonsten tritt Verjährung ein.

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Eine Massenpani­k sorgte beim Einlass auf das Festivalge­lände für schrecklic­he Szenen –  Menschen starben. Foto: dpa

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