Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Abschied von Rastenberg
Abir aus Syrien hat ihre Familie wieder. Seit 2015 ist die jetzt 14-Jährige im Franziskushaus betreut worden und in Buttstädt zur Schule gegangen
Ferienzeit im Franziskushaus der Stiftung Finneck in Rastenberg. Es geht ruhiger zu als sonst. Vor allem morgens. „Die Jungen und Mädchen sollen ruhig ausschlafen“, sagt Erzieherin Heike Pfannkuchen. Es ist okay, wenn sie erst so nach und nach eintrudeln. Bis um zehn gibt es Frühstück.
Sonst wird darauf geachtet, dass der Tag strukturiert ist. Das gibt Halt. Den Rhythmus gibt die Schule vor. In den Ferien darf es ruhig lockerer sein.
Gegammelt wird aber nicht. Stubenhockerei ist ohnehin nicht das Ding von Abir. Die jetzt 14-Jährige kam als unbegleitete Minderjährige aus Syrien nach Deutschland und dann nach Rastenberg.
Sie ist die einzige Geflüchtete im Franziskushaus, in dem sozial oder seelisch benachteiligte Kinder und Jugendliche betreut werden. Das Franziskushaus leistet Hilfe zur Erziehung.
Abir hat sich toll eingelebt. Hat atemberaubend schnell Deutsch gelernt, ist freundlich, aufgeschlossen, interessiert sich für vieles. Sie besucht die Regelschule Prof. Gräfe in Buttstädt, hat Freunde und Freundinnen gefunden – und Mut.
Möglicherweise endet in diesem Ferien ihre Zeit in Rastenberg und Buttstädt. Der Grund ist so schön wie selten. Abirs Familie ist jetzt auch in Deutschland. Sie haben sich bereits getroffen. Vielleicht zieht sie bald nach Bayern. Vielleicht aber, so hofft Heike Pfannkuchen, kommen auch Abirs Eltern und Geschwister nach Thüringen, und das syrische Mädchen kann weiter in Buttstädt in der gewohnten Umgebung zur Schule gehen. Abir hat ihre Einschätzung ihrer Zeit in Rastenberg zu Papier gebracht:
Rastenberg.
Mein Name ist Abir und ich bin 14 Jahre alt. Ich komme aus Syrien und lebte mit meiner Familie, das sind Mama, Papa und meine drei Geschwister, in Damaskus. Weil der Bürgerkrieg 2012 immer weiter fortschreitet, entschloss sich meine Familie zur Flucht in den Irak.
Dort lebten wir drei Jahre. Die Lebensbedingungen waren schlecht, es gab nur dreckiges Wasser, wovon wir ständig krank wurden. Mein Vater hatte Geld für die Flucht nach Deutschland gespart, allerdings reichte dies nur für eine Person. Weil mein Vater das Geld für die Familie verdiente und meine Mutter sich um die Kinder kümmerte, habe ich vorgeschlagen, dass ich mich auf die Reise nach Deutschland begebe.
Ich erinnere mich genau an den Tag, es war der letzte Tag vom Ramadan 2015.
Ich reiste mit jungen Männern über Ungarn und Österreich bis nach München. Die Flucht dauerte insgesamt etwa einen Monat und war sehr gefährlich: Wir durchquerten Wälder und Flüsse, hatten nur wenig zu essen dabei und mussten uns verstecken.
Ich hatte oft Angst und dachte, ich würde es bis Deutschland nicht überleben.
Von München wurde ich nach Suhl geschickt und dort in die Obhut genommen. Das Jugendamt brachte mich nach Rastenberg ins Franziskushaus der Stiftung Finneck. Dort lebe ich nun seit dem 29. September 2015. Im Franziskushaus hatte ich viele Höhen und Tiefen. Ich habe meine Familie so schrecklich vermisst. Oft habe ich mir gewünscht, meine Sachen zu packen und wieder zurück zu gehen, aber dann wäre alles umsonst gewesen.
Mein größter Wunsch war es, gemeinsam mit meiner Familie in Deutschland zu leben.
Meine Mama und mein Papa wollen hier arbeiten. Mein Papa ist Taxifahrer und meine Mama Kosmetikerin. In Syrien und im Irak gab es keine Arbeit mehr für meine Eltern. Die schlimmste Zeit für mich war, als meine Eltern planten, über das Mittelmeer zu mir nach Deutschland zu kommen. Ich kannte die ganzen schlimmen Nachrichten aus dem Fernsehen und hatte große Angst um meine Familie.
Zum Glück konnten sie sich diese Idee wieder aus dem Kopf schlagen!
Es gab auch viele gute Zeiten in Rastenberg: Ich habe sehr schnell Deutsch gelernt, bin fleißig in der Schule und habe einige gute Freunde hier gefunden.
Meine Erzieherin Frau Scholz mochte ich sehr.
Außerdem habe ich gelernt zu schwimmen und habe schöne Ferienfahrten mit dem Heim erlebt. Ich habe mich gut mit deutschen Werten und Normen zurecht gefunden und im Mai diesen Jahres sogar an der Jugendweihe teilgenommen.
Nur mit deutschem Essen hatte ich so meine Probleme, es war eine große Umstellung für mich!
Das Franziskushaus hat mit geholfen, erwachsen und selbstständig zu werden. Ich habe gelernt, geduldig zu sein, denn es war nicht möglich, meine Eltern von heut auf morgen zu mir zu holen. Aber am 6. Juli 2017 war es so weit. Frau Scholz und ich fuhren nach Friedland, denn meine Eltern sind vor ein paar Tagen dort angekommen. Über zwei Jahre vergingen, seit ich meine Mutter das letzte Mal in den Arm nehmen konnte!
Ich war so unbeschreiblich glücklich und wollte sie nicht mehr loslassen! Meine kleine Schwester ist so groß geworden, sie war zwei Jahre alt, als ich vom Irak fort ging.
Im Laufe der Sommerferien werden meine Eltern wahrscheinlich eine Wohnung in Bayern beziehen und ich werde Rastenberg verlassen.
Schade, denn ich wäre gern weiter in Buttstädt zur Schule gegangen und muss nun auch meine Freunde zurück lassen.
So ganz geklärt ist das aber noch nicht.
Ich bin dankbar für die Zeit und werde meine Erzieher und Freunde in Rastenberg und Buttsädt auf alle Fälle besuchen, falls ich doch nach Bayern ziehen werde!