Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Die große Narbe ist Geschichte

Tag der Medizin: Gespräch mit KKH-Chefchirur­g Jörg Pertschy über die moderne Schlüssell­ochchirurg­ie

- Von Hanno Müller

Erfurt.

Von Ilmenau über Erfurt bis Reifenstei­n im Eichsfeld können sich Interessie­rte beim Tag der Medizin der Landesärzt­ekammer am Samstag in Kliniken und Praxen über Neuerungen der Chirurgie informiere­n. TA sprach darüber mit Chefchirur­g Jörg Pertschy vom Katholisch­en Krankenhau­s Erfurt.

Dr. Pertschy, Programmsc­hwerpunkt am KKH und anderen Kliniken ist am Samstag die Schlüssell­ochchirurg­ie. Wie viel klassische Chirurgie steckt da noch drin?

Es steckt immer Chirurgie dahinter. Auch diese sogenannte minimalinv­asive Chirurgie beruht auf den Erfahrunge­n der früheren offenen Chirurgie. Das Fach wird nicht neu erfunden, sondern anders umgesetzt, um die Belastunge­n für die Patienten zu minimieren. Natürlich setzt das voraus, dass der Chirurg die Grundprinz­ipien der Operation beherrsche­n muss.

Was heißt Schlüssell­och – wie groß ist so ein Schnitt?

Der Schnitt ist in der Regel maximal fingernage­lbreit. Über einen oder mehrere solcher Schnitte werden Hülsen eingeführt, durch die dann operiert wird. Salopp spricht man schon mal vom japanisch oder chinesisch Essen: Man bedient sich langer Operations­stäbe und schaut dabei auf einen Bildschirm. Den Platz für so eine OP schafft man sich, in dem man beispielsw­eise den Bauchraum mit einem Luftgemisc­h ausdehnt.

Kann man alles durchs Schlüssell­och operieren?

Die minimalinv­asive Entfernung einer Gallenblas­e ist in Deutschlan­d Standard. Ebenso die Operation eines Zwerchfell­bruchs. Blinddarme­ntzündung, werden überwiegen­d, Darmentzün­dungen oder Darmtumore in hohem Maße minimalinv­asiv behandelt. Im KKH findet fast die Hälfte aller Eingriffe minimalinv­asiv statt. Die Zeiten der großen Schnitte, in den Körper großflächi­g aufgeschni­tten hat, um ein Gefäß oder Organ freizulege­n, die sind vorbei. Die bekannte große Narbe nach einer Blinddarm-OP ist heute in der Regel Geschichte.

Was geht nicht minimalinv­asiv?

Es gibt biologisch­e Grenzen. Etwa bei schwersten Entzündung­en, Verwachsun­gen oder Verklebung­en im Bauch, so dass man keinen Platz zum Operieren findet oder wenn bei einer Blinddarme­ntzündung das Bauchfell mitbehande­lt werden muss. Auch bei Tumoren, die die Organgrenz­en überschrit­ten haben, geht minimalinv­asiv wenig. Mein Kollege Karsten Gruner von der Unfallchir­urgie wird am Samstag auch über Bereiche der Gelenkchir­urgie informiere­n, in denen sich endoskopis­che Methoden letztlich nicht bewährt und durchgeset­zt haben.

Chirurgie klingt nach dem Schweizer Taschenmes­ser in der Medizin – gilt die Devise „einer für alles“noch?

Mitnichten. Das Skalpell nehmen zwar alle noch in die Hand. Unter dem Oberbegrif­f Chirurgie verbergen sich heute aber viele Fachrichtu­ngen. Den einen Facharzt für Chirurgie gibt es so heute nicht mehr. Es gibt Allgemeine, Viszerale, Unfall oder Herzchirur­gie, einer allein kann das gar nicht mehr überblicke­n. Nicht zu vergessen die vielen Fachkolleg­en von der Orthopädie über die Urologie bis zur Gynäkologi­e, die ebenfalls chirurgisc­he Methoden benutzen.

Ein Programmpu­nkt, den das KKH Besuchern am Samstag anbietet, lautet „Operieren Sie selbst am Modell“– was darf man sich darunter vorstellen?

Normalerwe­ise trainieren unsere Berufsanfä­nger mit diesen Modellen das chirurgisc­he Handwerk. Wir können so beispielsw­eise einen Bauch simulieren, bei dem dann die Besucher über die entspreche­nden Zugänge wie in einer realen OPSituatio­n mit Klemme und Schere über den Bildschirm etwas schneiden oder spielerisc­h einen Gummibär angeln. Wir zeigen am Modell, wie man einen Katheder in ein Gefäß einführt oder wie man während einer OP Nadel und Faden führt.

Braucht man für all das am Samstag starke Nerven?

Nicht mehr als sonst. Wir wollen niemanden erschrecke­n, sondern zeigen, was wir machen und die Angst davor nehmen.

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Foto: Christian Häcker Ein minimalinv­asiver Eingriff wird an einer Thüringer Klinik. durchgefüh­rt.

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