Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Beflügelt durch die Fahne

Kombiniere­r Eric Frenzel versteht es perfekt, zum Höhepunkt in Bestform zu sein – und wird erneut Olympiasie­ger

- Von Marco Alles

Technikbeg­eistert sind sie hier, lassen Roboter über Skipisten fahren. Oder einfach so über Flure. Welchen genauen Zweck Letztere erfüllen, ist schwer zu erkennen. Man möchte meinen, es seien Staubsauge­r, aber dazu ist der Bewegungsr­adius zu gering. Immerhin spielen sie Musik und projiziere­n Bilder auf den Fußboden.

Aus uns haben die Koreaner auch schon Roboter gemacht. In den ersten Tagen in Pyeongchan­g stellten die Gastgeber sich überall in den Weg, wenn man irgendwo hinkam, wo viele Menschen die gleichen Dinge benutzen. In der Hand eine Flasche Desinfekti­onsmittel. Jeder wurde besprüht, ob er wollte oder nicht. Widerstand zwecklos. Inzwischen wartet niemand mehr mit einer Flasche auf uns, die steht jetzt einfach nur da.

Die sonst emsigen Sprüher sitzen in einigem Abstand daneben. Und beobachten, wie alle diese Olympiagäs­te brav und ohne Aufforderu­ng automatisc­h die Flaschen ansteuern und sich selbst die Hände absprühen. Die Koreaner haben uns genau da, wo sie uns haben wollen.

Dahinter steckt jedoch eine gute Absicht. Sie versuchen, uns schützen. Seit Beginn der Spiele geht der Norovirus um in Pyeongchan­g, 200 Fälle wurden bereits registrier­t. Fast täglich kommen neue dazu. Da desinfizie­rt man doch gern. Oder lässt die Zimmer mit Chlorbleic­he reinigen. Hier riecht es mancherort­s, als stünde man am olympische­n Schwimmbec­ken. Tipps zum richtigen Niesen (immer den ganzen Arm vor die Nase halten) und Händewasch­en (mindestens 30 Sekunden unter fließendem Wasser und mit Seife) hängen auch überall rum. Sogar in jedem Fahrstuhl.

Was tut man nicht alles, um gesund zu bleiben. Dafür lässt man sich sogar ein bisschen dressieren.

Pyeongchan­g.

Wer Eric Frenzel nur ein bisschen kennt, der merkt schnell: Der Mann aus dem Erzgebirge ist alles andere als ein Sprücheklo­pfer. Und so hielt er sich bei aller Zuversicht auch zurück, als es um das vermeintli­ch gute Omen ging, dass die Rolle des deutschen Fahnenträg­ers bei der Eröffnungs­feier mit sich bringen würde. Vor vier Jahren in Sotschi hatte AlpinStar Maria Höfl-Riesch die Mannschaft ins Stadion geführt und anschließe­nd ihren Olympiasie­g von 2010 in der SuperKombi­nation wiederholt.

Frenzel verzichtet­e, wie gewohnt, auf große Worte. Stattdesse­n ließ der Nordische Kombiniere­r am Mittwochab­end Taten sprechen und tat es HöflRiesch in beeindruck­ender Manier gleich. Nach dem Springen von der Normalscha­nze war er als Fünfter auf die 10-kmLanglauf­strecke gegangen. Dort konnte ihn dann nichts und niemand mehr halten. Nach knapp einem Drittel der Distanz hatte er bereits die Führung übernommen, das Tempo diktiert und mit einem unwiderste­hlichen Antritt am letzten Anstieg die hartnäckig­sten Verfolger abgeschütt­elt. Am Ende erlebte der 29-Jährige seine nächste Sternstund­e und verwies den Japaner Akito Watabe sowie Lukas Klapfer aus Österreich auf die Plätze. „Ich habe nie den Glauben an mich verloren. Mir gelang es ja schon öfter, auf den Punkt topfit zu sein“, erklärte Frenzel. Und genau das ist es, was das Phänomen Frenzel ausmacht. Kaum jemand versteht es so gut, zum Saisonhöhe­punkt in Topform zu sein. Vierfach-Weltmeiste­rs Johannes Rydzek hatte indes wie Vinzenz Geiger und Fabian Rießle Pech beim Springen. Sie erwischten die Phasen zwischen wechselnde­n Winden, die keine großen Weiten zuließen.

Selbst eine famose Aufholjagd in der Loipe reichte Rydzek nicht, um in den Medaillenk­ampf eingreifen zu können. Der Oberstdorf­er verkürzte den Rückstand von 1:26 Minuten zwischenze­itlich zwar auf neun Sekunden. Dann aber zog die Spitzengru­ppe das Tempo wieder an. Rydzek wurde am Ende Fünfter; Rießle stürmte von Rang 16 auf sieben. Geiger landete auf dem neunten Platz.

„Es war halt Lotterie. Letztendli­ch hat der Wind entschiede­n, wer die Möglichkei­t hat, eine Medaille zu gewinnen oder nicht“, resümierte Bundestrai­ner Hermann Weinbuch. Auch Frenzel gab zu: „Sicher war etwas Windglück dabei. Ich hatte einen optimalen Sprung.“36 Sekunden hinter der Spitze seien eine „perfekte Ausgangspo­sition“gewesen. Mit Watabe und Klapfer „sammelte“er die beiden Sprungbest­en schnell ein und marschiert­e dann vorneweg – bis ins Ziel. Dort prasselte Lob von allen Seiten auf ihn ein. Rydzek meinte: „Eric ist ein ganz Großer. Wie er da am letzten Anstieg attackiert hat, das ist sensatione­ll.“Und Weinbuch erklärte voller Bewunderun­g: „Er ist kein normaler Mensch.“

Aufholjagd von Rydzek wird nicht belohnt

Familie gibt ihm immer wieder neue Kraft

Dabei lief es in diesem Winter alles andere als rund. Vor allem mit seinen Sprüngen haderte der kleine Große. Beharrlich suchte er nach den Ursachen und fand sie im neuen Bindungssy­stem. Der sogenannte Anstellwin­kel seines Fußes gegenüber dem Ski war darin nicht optimal. Hinzu kamen Probleme mit der Oberschenk­el-Muskulatur, die ihn in der Anfahrtsho­cke behinderte­n. Die Behandlung bei einem Spezialist­en in Potsdam zahlte sich aus. Frenzel kramte zudem die alte Bindung wieder hervor und hatte sofort ein besseres Gefühl.

Seine bemerkensw­erte Gelassenhe­it hat ganz sicher auch mit seinem Familiengl­ück zu tun. Frenzel ist dreifacher Vater und findet im Kreise seiner Liebsten die nötige Erholung zwischen dem Wettkampfs­tress. Am Montag sind seine Ehefrau Laura und sein ältester Sohn Philipp in Südkorea angekommen – ihre Unterstütz­ung an der Strecke war ihm gewiss. „Meine Familie“, sagte Frenzel, „ist mir das Wichtigste.“Sie hätte ihn in dieser Saison oft entbehren müssen; gerade in den Phasen, in denen es hakte. „Doch ich habe immer ihre Rückendeck­ung gespürt. Das gab mir Kraft.“Am späten Abend konnte er seine Frau und seinen Sohn dann endlich die Arme nehmen.

Seine schönste Belohnung – neben Gold.

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Marcel Stein über Staubsauge­r und andere Roboter

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