Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
„Es fehlt ein neues cooles Gesicht“
Die ehemalige Eisschnellläuferin Anni Friesinger über die Olympischen Spiele, ihre ehemalige Konkurrentin Claudia Pechstein und die deutsche Mannschaft
Pyeongchang.
Anni FriesingerPostma ist Goldmedaillengewinnerin beim Eisschnelllauf, zweifache Mutter, Unternehmerin und Expertin für Eurosport. Dennoch hat die 41-Jährige Zeit für ein Gespräch.
Frau Friesinger, es sind Olympische Spiele in Pyeongchang. Aber mit nach Südkorea sind Sie als Fernsehexpertin nichtgereist...
Nein, ich arbeite während der Olympischen Spiele aber für Eurosport als Eisschnelllauf-Expertin im Münchener Studio. Natürlich hätte ich gern auch vor Ort erlebt, wie sich Olympia in acht Jahren verändert hat, aber familientechnisch ist die Sache so aber viel besser zu handeln.
Ihre einstige Rivalin Claudia Pechstein ist mit 45 immer noch dabei.Würde Sie es reizen, noch mal mitzulaufen?
Es hat sich nicht überall etwas entwickelt, manche Bahnrekorde von mir gelten heute noch. Und es gibt inzwischen ja auch neue Wettbewerbe wie den Massenstart, den ich spannend finde und der mir sicher liegen würden mit meiner Sprintstärke am Ende. Und für mein Knie wäre es auch besser, weil man da nicht immer ganz so tief laufen muss. Aber ehrlich gesagt, reicht es mir voll und ganz, wenn ich als Eurosport-Reporterin nun wieder etwas näher an die Materie heranrücke.
Mit dem deutschen Eisschnelllauf ging es seit ihrem Karriereende steil bergab!
Ja, es fehlt ein neues cooles Gesicht, mit dem mitleiden und sich freuen kann. Das ist schade. Aber in Deutschland wird mir zu schnell verdrängt, dass man im Sport ja nicht immer gewinnen kann und dass vierte und fünfte Plätze halt auch dazu gehören, auch wenn es mitunter bitter ist. Es kann nicht immer so ein schrecklich-schönes Happy End geben wie bei mir, als ich in Vancouver mit kaputtem Knie ins Ziel stürzte und noch mal Gold gewann.
Größte deutsche Medaillenhoffnung in Pyeongchang ist mit Pechstein eine, die länger dabei ist als Sie. Imponiert Ihnen das?
Wir haben wie früher schon keinen Kontakt, jede geht ihren Weg. Aber sie läuft und läuft und läuft. Wenn Claudia ein Ziel vor Augen hat, lässt sie nicht los, so kennen wir sie ja. Und so lange andere nicht besser sind, soll sie halt auch gewinnen. Sie hat ja auch das Glück, dass sie trotz der langen Jahre im Leistungssport keine Verletzungen beeinträchtigen. Ihr einziges Malheur war halt ihre Sperre.
Wie dunkel ist für Sie der Dopingschatten, der vor allem wegen der Verbannung Russland über diesen Spielen hängt?
Ich bin kein Verfechter des Generalverdachts, deswegen finde ich die Einzelfallprüfung für mögliche Teilnehmer aus Russland richtig. Sicher ist es schwer, da eine Grenze zu finden, aber es gibt eben auch genug Athleten, die nicht dopen. Ich würde mir auf jeden Fall auch mehr Geldstrafen für die Betrüger wünschen, nicht nur für die Sportler, sondern vor allem für die Leute im Hintergrund – denn nur das tut ihnen weh.
Es sollte keiner zu Unrecht ausgeschlossen werden, wie womöglich Pechstein?
Claudia ist rechtskräftig verurteilt worden. Sie hat danach auf verschiedenen Wegen und unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel versucht, ihr Recht zu bekommen, und es wurde immer abgelehnt. Aber sie ist nach ihrer Sperre stark zurückgekehrt, und dabei würde ich es gern belassen. Das alles wieder aufzukochen, bringt nichts, schon gar nicht dem deutschen Eisschnelllauf. Manchmal verdrängt das anderes aus dem Fokus, zum Beispiel, dass wir mit Nico Ihle wieder einen Mann mit Medaillenchancen haben.