Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Die große Shaun-White-Show
US-Snowboarder holt in Pyeongchang seine dritte Goldmedaille. Der Multimillionär inszeniert sich und den Wettkampf perfekt
Pyeongchang.
Als Shaun White seinen dritten Olympiasieg in der Tasche hat, holt er sich gleich noch eine Goldmedaille. Sie wird jedoch nie um seinen Hals baumeln. Zu gewinnen gibt es sie nämlich nur in einer inoffiziellen, gleichwohl viel beachteten Disziplin dieser Winterspiele.
Olympia ist nicht nur höher, weiter, schneller. Wenn die ganze Welt nach Pyeongchang schaut, geht es im Bogwang Snow Park vor allem um Show, Show, Show. Und wer beherrscht die besser als ein USAmerikaner? Bei diesen Spielen drängen sich knapp 5000 Zuschauer auf die große Stahlrohrtribüne am Fuße der Schneerinne, aus der White zu seinen fünf Meter hohen Sprüngen ansetzt und mit der Akrobatik eines Kunstturners atemberaubende Salti und Drehungen in die Luft malt. Zweimal steht der 31 Jahre alte Superstar aus San Diego Tricks mit vierfachen Umdrehungen, zum dritten Mal nach 2006 und 2010 wird er Olympiasieger in der Halfpipe. Es ist die spektakulärste Darbietung Olympias. Mit 97,75 Punkten im letzten Lauf des Wettbewerbs, nahe dran an der Traumbewertung 100, überholt White noch den bis dahin führenden Japaner Ayumu Hirano (95,25). Was folgt, ist disziplinübergreifend für alle Athleten eine goldwürdige Lehrstunde in Eigenwerbung.
Früher lugte eine rote Lockenmähne unter dem Helm hervor, als er diesen nun abnimmt, liegen die zurückgekämmten Haare wie in Stein gemeißelt. Die wilden Jahre sind vielleicht vorbei, wenngleich ihn auch noch der unrühmliche Vorwurf der Belästigung umgibt, den die Schlagzeugerin der gemeinsamen Band Bad Things erhoben hat und mit der er sich vor einer Anklage außergerichtlich geeinigt haben soll.
Zumindest sportlich gesittet und gereift teilt White die Leidenschaft noch immer eines Kindes. Im Ziel schmeißt er sein Brett in die Luft, trägt schnell eine USA-Flagge auf den Schultern, verschwindet weinend in einer Traube aus Freunden und Trainer. Von Journey läuft „Don’t stop believin‘“über die Lautsprecher.
Nicht aufhören zu träumen, das passt zu diesem „wunderbaren Tag“, wie er immer wieder sagt, „ich habe mich so stark gefühlt.“
An jeder TV-Station reißt er die Augen auf, gestikuliert, umarmt Reporter wie engste Vertraute. „Es war eine lange Reise zu diesem Gold“, erzählt White. Im Oktober „wurde mein Gesicht zerstört“, nach einem Trainingssturz musste er mit 62 Stichen genäht werden. „Diesen Trick, bei dem ich mich verletzt habe, bin ich heute wieder gesprungen.“Gold in Pyeongchang ist auch ein Sieg über die Vergangenheit. White ist mit seinem Sport zum Multimillionär geworden. Er ist die perfekte Besetzung der Hauptrolle, seitdem sich das IOC 1998 vor den Olympischen Winterspielen von Nagano zu einer Frischzellenkur ihres Sportprogramms entschlossen hat, um den von Spielkonsolen fehlgeleiteten Jugendlichen neue Helden zu schaffen. Zugleich war in den USA durch die Trendsportarten Snowboard und Ski Freestyle mit den X-Games eine ernstzunehmende Konkurrenz entstanden. Ihr wertvollstes Produkt sehr bald: eben jener Shaun White, der kreischende Teenies und gigantische Einschaltquoten garantierte.
In Pyeongchang werden 20 der 102 Goldmedaillen für die Kunst mit einem Brett oder zwei Skiern an den Füßen vergeben. Es herrscht Partystimmung am Snow Park, wenn mit Board oder Skiern in der Halfpipe gefahren wird, beim Slopestyle über Geländer gerutscht und über Quarterpipes gesprungen wird, beim Cross das direkte Duell von mutigen Schneeakrobaten schon mal nach allzu intensivem Körperkontakt vorzeitig enden kann.
Während White bereits das Gesicht einer ganzen Branche ist, Skiresorts gekauft und Computerspielen seinen Namen verliehen hat, kommt der Funsport in Deutschland noch ein wenig stiefmütterlich behandelt daher. „Andere Länder haben viel früher Gas gegeben und in den Sport investiert – und die sind deswegen jetzt ganz vorne“, erzählt Konstantin Schad, Boardercrosser und 2014 bei den XGames Dritter.
Lehrstunde in Eigenwerbung