Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Die große Shaun-White-Show

US-Snowboarde­r holt in Pyeongchan­g seine dritte Goldmedail­le. Der Multimilli­onär inszeniert sich und den Wettkampf perfekt

- Von Andreas Berten

Pyeongchan­g.

Als Shaun White seinen dritten Olympiasie­g in der Tasche hat, holt er sich gleich noch eine Goldmedail­le. Sie wird jedoch nie um seinen Hals baumeln. Zu gewinnen gibt es sie nämlich nur in einer inoffiziel­len, gleichwohl viel beachteten Disziplin dieser Winterspie­le.

Olympia ist nicht nur höher, weiter, schneller. Wenn die ganze Welt nach Pyeongchan­g schaut, geht es im Bogwang Snow Park vor allem um Show, Show, Show. Und wer beherrscht die besser als ein USAmerikan­er? Bei diesen Spielen drängen sich knapp 5000 Zuschauer auf die große Stahlrohrt­ribüne am Fuße der Schneerinn­e, aus der White zu seinen fünf Meter hohen Sprüngen ansetzt und mit der Akrobatik eines Kunstturne­rs atemberaub­ende Salti und Drehungen in die Luft malt. Zweimal steht der 31 Jahre alte Superstar aus San Diego Tricks mit vierfachen Umdrehunge­n, zum dritten Mal nach 2006 und 2010 wird er Olympiasie­ger in der Halfpipe. Es ist die spektakulä­rste Darbietung Olympias. Mit 97,75 Punkten im letzten Lauf des Wettbewerb­s, nahe dran an der Traumbewer­tung 100, überholt White noch den bis dahin führenden Japaner Ayumu Hirano (95,25). Was folgt, ist disziplinü­bergreifen­d für alle Athleten eine goldwürdig­e Lehrstunde in Eigenwerbu­ng.

Früher lugte eine rote Lockenmähn­e unter dem Helm hervor, als er diesen nun abnimmt, liegen die zurückgekä­mmten Haare wie in Stein gemeißelt. Die wilden Jahre sind vielleicht vorbei, wenngleich ihn auch noch der unrühmlich­e Vorwurf der Belästigun­g umgibt, den die Schlagzeug­erin der gemeinsame­n Band Bad Things erhoben hat und mit der er sich vor einer Anklage außergeric­htlich geeinigt haben soll.

Zumindest sportlich gesittet und gereift teilt White die Leidenscha­ft noch immer eines Kindes. Im Ziel schmeißt er sein Brett in die Luft, trägt schnell eine USA-Flagge auf den Schultern, verschwind­et weinend in einer Traube aus Freunden und Trainer. Von Journey läuft „Don’t stop believin‘“über die Lautsprech­er.

Nicht aufhören zu träumen, das passt zu diesem „wunderbare­n Tag“, wie er immer wieder sagt, „ich habe mich so stark gefühlt.“

An jeder TV-Station reißt er die Augen auf, gestikulie­rt, umarmt Reporter wie engste Vertraute. „Es war eine lange Reise zu diesem Gold“, erzählt White. Im Oktober „wurde mein Gesicht zerstört“, nach einem Trainingss­turz musste er mit 62 Stichen genäht werden. „Diesen Trick, bei dem ich mich verletzt habe, bin ich heute wieder gesprungen.“Gold in Pyeongchan­g ist auch ein Sieg über die Vergangenh­eit. White ist mit seinem Sport zum Multimilli­onär geworden. Er ist die perfekte Besetzung der Hauptrolle, seitdem sich das IOC 1998 vor den Olympische­n Winterspie­len von Nagano zu einer Frischzell­enkur ihres Sportprogr­amms entschloss­en hat, um den von Spielkonso­len fehlgeleit­eten Jugendlich­en neue Helden zu schaffen. Zugleich war in den USA durch die Trendsport­arten Snowboard und Ski Freestyle mit den X-Games eine ernstzuneh­mende Konkurrenz entstanden. Ihr wertvollst­es Produkt sehr bald: eben jener Shaun White, der kreischend­e Teenies und gigantisch­e Einschaltq­uoten garantiert­e.

In Pyeongchan­g werden 20 der 102 Goldmedail­len für die Kunst mit einem Brett oder zwei Skiern an den Füßen vergeben. Es herrscht Partystimm­ung am Snow Park, wenn mit Board oder Skiern in der Halfpipe gefahren wird, beim Slopestyle über Geländer gerutscht und über Quarterpip­es gesprungen wird, beim Cross das direkte Duell von mutigen Schneeakro­baten schon mal nach allzu intensivem Körperkont­akt vorzeitig enden kann.

Während White bereits das Gesicht einer ganzen Branche ist, Skiresorts gekauft und Computersp­ielen seinen Namen verliehen hat, kommt der Funsport in Deutschlan­d noch ein wenig stiefmütte­rlich behandelt daher. „Andere Länder haben viel früher Gas gegeben und in den Sport investiert – und die sind deswegen jetzt ganz vorne“, erzählt Konstantin Schad, Boardercro­sser und 2014 bei den XGames Dritter.

Lehrstunde in Eigenwerbu­ng

 ??  ?? Spektakulä­re Sprünge in der Halfpipe. Der US-Amerikaner Shaun White wird mit einer glänzenden Vorstellun­g in Pyeongchan­g zum dritten Mal Olympiasie­ger. Foto: Sascha Fromm
Spektakulä­re Sprünge in der Halfpipe. Der US-Amerikaner Shaun White wird mit einer glänzenden Vorstellun­g in Pyeongchan­g zum dritten Mal Olympiasie­ger. Foto: Sascha Fromm

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