Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Alles wie immer, nur elektrisch
Mit dem neuen EQC fordert Mercedes den Elektrovorreiter Tesla heraus: Die 2019 startende Elektrolimousine zielt modelltechnisch auf die Mittelklasse, ist vom Preis her aber eher Oberklasse
Sind es die Probleme mit der Produktion des Model 3 oder das Erwachen der Konkurrenz? Warum Tesla-Chef Elon Musk derzeit öffentlich über seine Schlafschwierigkeiten klagt, wird man so genau wohl nie herausfinden. Doch so viel ist sicher: Gemütlich wird es für den Messias der Elektromobilität in den nächsten Monaten eher nicht.
Sieht verdammt nach GLC aus
Denn allerorten nehmen die etablierten Hersteller jetzt den Fehdehandschuh auf und kontern den elektrischen Siegeszug aus dem Silicon Valley mit ihren eigenen Akku-Autos: Der Jaguar I-Pace ist schon auf der Straße, Audi E-Tron und Porsche Taycan stehen in den Startlöchern, und jetzt schickt auch Mercedes seinen ersten Stromer ins Rennen: den EQC, der sich im kommenden Frühjahr zu Preisen jenseits der 70 000 Euro endlich in die Reihe der Tesla-Fighter einreiht.
Anders als etwa der Jaguar I-Pace ist der EQC ein Auto, das von der Stammkundschaft vergleichsweise wenig Transferleistung erfordert: von außen, weil er zwar mit einem Black-Panel-Grill, blauem Lidstrich in den LED-Scheinwerfern und blauen Speichen in den Felgen das zur Schau trägt, was Designchef Gorden Wagener eine avantgardistischen Elektro-Ästhetik nennt, aber trotzdem verdammt nach GLC aussieht – nur dass er hinten zehn Zentimeter weiter überhängt und eine ebenso schräge wie schnörkellose Heckklappe mit einem von Audi abgekupferten Leuchtenband trägt. Und von innen, weil das 4,76 Meter lange SUV auch da ganz nah im Hier und Heute bleibt: Ja, es glitzert ein bisschen Kupfer oder Roségold in den Konsolen, weil das für Wagener die Elektromobilität symbolisiert, die Materialien wirken etwas technischer, die Lüfter sind moderner und der frei stehende Bildschirm hinter dem Lenkrad ist als Übernahmeteil aus der neuen A-Klasse ein wenig größer und schlanker. Aber wer mit GLC und A-Klasse zurechtkommt, der macht sich auch mit dem EQC schnell vertraut.
Vor allem aber das Fahren ist typisch Mercedes: komfortabel und gediegen. Flüsterleise und wolkenweich fühlt sich der EQC bei den ersten Mitfahrten im Prototypen an. Der über zehn Zentner schwere Akku treibt zwar das Gewicht auf 2,5 Tonnen, drückt aber den Schwerpunkt schön tief nach unten, und weil der Motor per se geräuschlos ist, haben die Ingenieure besonders gründlich auf Vibrationen und Störgeräusche geachtet. So hört man weder das typische Straßenbahngeräusch beim Beschleunigen noch das Gefiepe draußen aus dem Lautsprecher, das der Gesetzgeber vielerorts vorschreibt.
Sobald man aufs Fahrpedal tritt, wird EQ zur Konkurrenz von AMG: Denn wozu hat der Wagen zwei E-Motoren, die zusammen 300 kW leisten und ihre 765 Nm? Bei einem Sprintwert von 5,1 Sekunden tut sich selbst ein C 63 an der Ampel schwer damit, den Anschluss zu halten.
Vergleichsweise konventionell
Mit Rücksicht auf die Reichweite hat Mercedes das Spitzentempo bei 180 km/h gedrosselt, dafür kommt der EQC nun bei 80 kW/h Akkukapazität wohl bis zu 350 Kilometer weit. Die Ingenieure tun alles , damit die Angst vor leeren Batterien unbegründet bleibt: Die Navigation berücksichtigt den Energieverbrauch, und selbst der Tempomat schaut so weit voraus, dass der EQC möglichst effizient fährt. Zudem gibt es ein halbes Dutzend verschiedene Fahrprogramme und eine mehrstufige Rekuperationsregelung.
Beim Antrieb betreten die Schwaben mit dem EQC zwar Neuland, doch ansonsten ist der elektrische Erstling aus Stuttgart vergleichsweise konventionell gestrickt. Das relativ bodenständige Design hat vor allem zwei Gründe: Zum einen will Mercedes in der Produktion maximal flexibel bleiben, um auf die schwer abzuschätzende Marktentwicklung zu reagieren. Zudem wissen die Schwaben offenbar, dass die MercedesKunden nicht zu den risikobereitesten und avantgardistischsten zählen.