Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Zeugnis wurde rückdatiert
Alte und neue Merkwürdigkeiten werden im Untersuchungsausschuss zur Affäre Lauinger debattiert
Erfurt. Das Zeugnis am Ende der 10. Klasse hatte so seine Besonderheiten. Ausgestellt wurde es angeblich am 24. Juni 2016, also am letzten Schultag. Tatsächlich erstellt und unterschrieben wurde es aber erst in den Ferien ein paar Tage später. Außerdem fanden sich ein paar Sätze darin, die sich so sonst in keinem Zeugnis an der Schule standen.
Sinngemäß lauteten sie: Der Schüler könne in die Klasse 11 vorrücken, ohne die Besondere Leistungsfeststellung (BLF) absolviert zu haben. Er erhalte die Möglichkeit, diese Prüfung nachzuholen – was bedeutete, dass er nicht dazu verpflichtet sei.
Nun ist es so, dass gemäß Schulgesetz alle Thüringer Gymnasiasten am Ende der 10. Klasse verpflichtet sind, die BLF abzulegen, die einem Realschulabschluss entspricht. Einzige Ausnahme: Wenn der Schüler das gesamte Schuljahr im Ausland weilt, kann er von der Prüfung befreit werden – was hier eindeutig nicht der Fall war: Der Gymnasiast wurde nur die letzten beiden Monate des Schuljahres befreit, um in Neuseeland zur Schule zu gehen.
Aus diesem Widerspruch erwächst die Affäre um Justizminister Dieter Lauinger (Grüne), die gerade im Landtag von einem Untersuchungsausschuss noch einmal aufgedröselt wird. Die Opposition wirft ihm vor, sein Amt missbraucht zu haben. Der Verdacht, den er und die Regierungsfraktionen zurückweisen: Lauinger habe Kultusministerin Birgit Klaubert und Staatskanzleiminister Benjamin Hoff (beide Linke) dazu gebracht, das Recht zu beugen und seinen Sohn von der Prüfung zu befreien.
Gestern waren zum zweiten Mal Zeugen geladen. Der Direktor des Erfurter Gymnasiums sagte aus, dass die Formulierung im Zeugnis vom Schulamt vorgegeben wurde. Auch die Rückdatierung sei der Wunsch der Behörde gewesen.
Zudem räumte er ein, nicht den Schulträger – also das katholische Bistum Erfurt – über den Auslandsaufenthalt informiert zu haben. Damit sei die eigene Schulordnung verletzt worden. Er könne, sagte er, die Kritik daran verstehen. Auch ein Vertreter des zuständigen Schulamts Mittelthüringen wurde vom Ausschuss befragt, der einer Prüfungsbefreiung zugestimmt hatte – zumindest aus Sicht der Schule. Er hatte in einer E-mail auf die Anfrage des Oberstufenleiters geantwortet, dass der Zeitpunkt des Auslandsaufenthalts „ungünstig“sei, aber die geltenden Regelungen „im Ausnahmefall Anwendung“finden könnten.
Die Anfrage, sagte er, sei „nur ganz allgemein gehalten“gewesen, ohne die Länge des Auslandsaufenthalts zu benennen. Er habe daher auch nur „recht allgemein“geantwortet und der Schule die Durchführungsbestimmungen zugesandt – aus denen eigentlich klar ersichtlich ist, dass eine Genehmigung nicht möglich war. „Es lag also kein konkreter Antrag vor“, sagte der Zeuge, was bei staatlichen Schulen „eigentlich üblich“sei.
Damit bestätigte sich gestern: Am Ursprung der Affäre stand eine offenkundig rechtswidrige Entscheidung der Schule, die sich dabei auf eine eher allgemeine und unglücklich formulierte Auskunft des Schulamts verließ. Zudem wurde die eigene Schulordnung nicht beachtet.
Und: Das Zeugnis wurde von der Schule auf Anweisung von oben geändert und rückdatiert. Eine Fortsetzung ist gewiss.
„Im Ausnahmefall Anwendung“