Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Britischer Prinz und Sendbote Hitlers

Eine Historiker­in erzählt, wie der 1918 in Gotha entthronte Herzog Carl Eduard zum Geheimdipl­omaten der Nazis wurde

- Von Mirko Krüger

Gotha. Wollte Hitler wenige Tage vor Kriegsende den Gothaer Herzog ermorden lassen? Ein vom britischen Geheimdien­st im April 1945 entschlüss­elter Funkspruch legt die Vermutung durchaus nahe. Darin heißt es, dass „der Präsident des Roten Kreuzes auf keinen Fall in die Hände des Feindes fallen darf.“

Carl Eduard von Sachsen-coburg und Gotha war nicht einfach nur Präsident des Roten Kreuzes. Er war vor allem einer der wichtigste­n Geheimdipl­omaten des Dritten Reichs. Die Historiker­n Karina Urbach ist sich deshalb sicher: „Die Geheimniss­e, die Hitler und der Herzog miteinande­r teilten, waren offensicht­lich so brisant, dass sie auf keinen Fall an die Öffentlich­keit gelangen durften.“

In dem Buch „Hitlers heimliche Helfer“beschreibt Urbach detaillier­t, wie sich der deutsche Adel in den Dienst der Nazis gestellt hatte. Eine Schlüsselr­olle dabei spielte Carl Eduard. Er wurde zum Verbindung­smann der Deutschen an den britischen Königshof, nach Schweden und Italien.

Nach außen gab sich Hitler zwar immer wieder als scharfer Kritiker des Adels. Dieser sei degenerier­t, schrieb er in „Mein Kampf“. Doch auf dem diplomatis­chen Parkett war die Hilfe der Blaublütig­en gerade in den 30erjahren hochwillko­mmen. „Rein rational brauchten die Nationalso­zialisten die länderüber­greifenden Netzwerke des Adels dringend“, schreibt Urbach. Nennenswer­te eigene Kontakte in die höheren Kreise anderer Länder hätten die Nazis anfangs nicht besessen.

Seine Biografie hatte den Herzog geradezu für eine Rolle als Geheimdipl­omat prädestini­ert. Als Enkel der legendären Königin Victoria war er von Geburt an Prinz von Großbritan­nien. 1899 übersiedel­te er nach Deutschlan­d, um sich auf seine Herrschaft über das Herzogtum Sachsen-coburg und Gotha vorzuberei­ten. 1905, an seinem 21. Geburtstag, war es soweit.

Doch bereits 13 Jahre später erklärte ihn der Gothaer Arbeiterun­d Soldatenra­t für abgesetzt. Carl Eduard zog sich nach Coburg zurück, wo er zum glühenden Anhänger der deutschen und italienisc­hen Faschisten wurde. 1922 lernte er Hitler kennen, dessen Partei er später offen unterstütz­te. Es war keine Überraschu­ng, dass 1932 bei den Wahlen zum Reichspräs­identen die NSDAP ihr bestes Ergebnis in Coburg erzielte, betont Urbach.

Bereits 1934 erhielt der Herzog den Titel eines Repräsenta­nten der Reichsregi­erung im Ausland. Offiziell ist er zumeist aber ganz unverdächt­ig unterwegs – als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Erste Reisen führten ihn nach Amerika und Japan, vor allem aber wird England sein Ziel. Er verkehrt in den Salons und bei Hofe, er besucht sogar die königliche Familie in den Weihnachts­ferien. Des Herzogs vornehmste Aufgabe: Er soll seinen Verwandten vermitteln, dass es deren Verpflicht­ung sei, Deutschlan­d im Kampf gegen die Todfeinde der Aristokrat­ie – den Bolschewis­mus und die Demokratie – beizustehe­n. Urbach schildert schließlic­h sogar eine Szene, in der die Mutter der heutigen Queen ihre Kinder zum faschistis­chen Gruß animiert habe.

Biografien zu Carl Eduard gibt es zwar mehrere, doch der Wert von Karina Urbachs Buch ist ein anderer. Die Historiker­in schrieb ein Sachbuch; gleichwohl liest es sich mitunter wie ein Thriller. Es ist die überhaupt erste umfassende Darstellun­g zu Hitlers adeligen Geheimdipl­omaten. Die Autorin beklagt zugleich, dass Quellen nicht oder nur schwer zugänglich sind.

Sowohl nachrichte­ndienstlic­hes Material als auch die Archive der Königshäus­er seien gesperrt. Damit, so meint sie, solle der schöne Schein gewahrt werden. „Freundscha­ftliche Kontakte zu den Nazis sind nun mal rufschädig­end.“

Sie selbst wurde vor allem in privaten Archiven fündig. Die Deutsche, die in London und Princeton (USA) tätig ist, forscht seit Jahren zur deutsch-britischen Geschichte. Bereits 2015 erschien ihr Buch in englischer Sprache. Die jetzige deutsche Ausgabe wurde aktualisie­rt.

Trotz des anderslaut­enden Führer-befehls geriet Herzog Carl Eduard im April 1945 in amerikanis­che Gefangensc­haft. Bei seinen Verhören war auch Stefan Heym anwesend. Der Schriftste­ller berichtete, dass sich der Herzog angeboten habe, künftig Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen. Auf die Frage, wo er Minister rekrutiere­n würde, soll er gesagt haben: Aus den Reihen der NSDAP.

Bis 1946 blieb der Herzog interniert. Währenddes­sen organisier­te seine Ehefrau das Verbringen wertvoller Kunstschät­ze aus Gotha nach Bayern, angeblich um sie vor den anrückende­n Russen zu schützen. Erst 1950 wurde Carl Eduard als Mitläufer der Nazis verurteilt; er hatte einer Sühneleist­ung von 5000 Mark aufzubring­en.

Vier Jahre später starb der Herzog in Coburg.

Die familiären Verbindung­en wirken bis heute nach. Mit dem britischen Königshaus war Carl Eduard seit eh und je verwandt. Sein Enkel Carl Gustaf wiederum ist seit 1973 König von Schweden.

Bestes Wahlergebn­is der Nazis in Coburg

Interniert, verhört sowie als Mitläufer verurteilt

Karina Urbach: „Hitlers heimliche Helfer“, Theiss Verlag, 464 Seiten, 29,95 Euro

 ??  ?? Carl Eduard von Sachsen-coburg und Gotha, in Uniform mit zahlreiche­n Orden, am . Januar . Foto: Bundesarch­iv, Bild --- / CC-BY-SA .
Carl Eduard von Sachsen-coburg und Gotha, in Uniform mit zahlreiche­n Orden, am . Januar . Foto: Bundesarch­iv, Bild --- / CC-BY-SA .

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