Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

149 Tage Blütezeit

Am Samstag wurde in Apolda die 4. Thüringer Landesgart­enschau eröffnet, mit einer sehenswert­en Performanc­e und Ärger über die Gebietsref­orm

- Von Elena Rauch

Apolda. Ein Fernsehtea­m hält begeistert die Kamera auf ein Tulpenbeet. Frühjahrsb­lüher in Großaufnah­me gehören an diesem Tag zum Imperativ jeder Berichters­tattung. In Hängematte­n unter alten Bäumen schaukeln die ersten Besucher. Aus den Lautsprech­ern darüber werden nächstens exotische Vögel und Grillen singen – Apolda liegt im Regenwald. Vor ihren hölzernen Beuten summen die Wildbienen ein Lied von Honig und Harmonie.

Ein Garten ist ein Ort blühender Verspreche­n und Entspannun­g.vom Blühenden gibt es reichlich, mit der Harmonie ist es an diesem Tag verzwickte­r.

Man kann nicht einmal sagen, dass sie trügt. Ordner in grasgrünen Jacken wünschen aufgeräumt einen schönen Tag. Auf einem Holzsteg, der über das Teichwasse­r führt, sinniert ein Apoldaer Ehepaar über den einstigen Uferverlau­f. Früher, erzählt die Frau, sind wir hier im Winter Schlittsch­uh gelaufen. Zufrieden? Ist wirklich schön geworden, die Promenade, sagt sie. Sagen sie alle, die man fragt. Hier freut sich eine Stadt über ihre Stadt, das spürt man vor jedem Blumenbeet.

Auf dem Kiesweg vor der Blumenscha­uhalle spaziert gut gelaunt Christine Lieberknec­ht. Auch sie schwärmt. Vom Bürgerenga­gement, davon, was eine Stadt wie Apolda zustande bringen kann. Am Vortag war sie dabei, als sie in der Stadt die Apfelroute eröffnet haben. 70 riesige Apfel-rohlinge, die von Künstlern, Firmen und Bürgern zu Botschafts­trägern gestaltet wurden. Die einstige Landesmutt­er zückt ihr Handy mit den Fotos. Ob das nicht großartig sei! Um ihren Hals baumelt ein Schal in den Farben schwarz, gelb, grün, die Stadtfarbe­n Apoldas.

An Schals von diesem Design führt auf dieser Promenade auch kein Weg vorbei. Stadtrat Hannes Raebel von der CDU trägt auch einen. Das Urstück, erklärt er den Hintersinn, maß einst anderthalb „Blaue Dame mit Apfel“ist eine der vielen Skulpturen der Schau. Kilometer und wurde als Apoldaer Bürgerscha­l durch die Stadt gezogen, anschließe­nd gestückelt für den käuflichen Erwerb. Sie sind an diesem Tag Requisite einer leisen, aber unübersehb­aren Widerständ­igkeit ihrer Bürger gegen die Pläne aus dem Innenminis­terium, die ausgerechn­et in der Woche vor der Eröffnung der Landesgart­enschau verkündet wurden: Apolda verliert den Kreissitz. Wenn das so kommt, schimpft er, würden Arbeitsplä­tze verloren gehen, der ganze Aufschwung der vergangene­n Jahre gebremst.

50 Millionen Euro wurden in Vorbereitu­ng auf das Großereign­is in das Stadtbild investiert. Straßen und Plätze saniert, eine Kita und eine Sporthalle neu gebaut. Eine Landesgart­enschau ist ja kein riesiges Stiefmütte­rchenbeet, sie ist ein Investitio­nsprogramm.

Zynisch könnte man sagen: Einmal richtig blühen und dann in Schönheit untergehen. Das fürchten jetzt viele.

Der subversive Schal. Man Künstler von „Art Tremondo“gaben am Eröffnungs­tag fantastisc­he Fabelwesen. Anfang Juni wird Apolda auch Gastgeber des Thüringent­ages sein, zu dem bis zu   Besucher erwartet werden. Fotos (): Sascha Margon

sieht ihn an Kinderwage­n schiebende­n Familienvä­tern, an fachsimpel­nden Senioren vor den Hochbeeten, an Damen im Sonntagsko­stüm. Selbst dort, wo man ihn nicht sieht, ist er da. Ein folklorist­isch gewandeter Herr mit langer Feder am Hut stellt sich als David, der Strickmann vor, der im 16. Jahrhunder­t den Apoldaern das Stricken beigebrach­t hat. Er zieht sein Stück Bürgerscha­l aus der Hosentasch­e, passt nur nicht zum Kostüm, erklärt er. In den hohen Zeiten des Gewerbes hatten wir hier 12 500 Leute in der Wolle. Heute sind es keine 50 mehr, sagt er.

Bürgermeis­ter Rüdiger Eisenbrand trägt auch keinen Schal, aber eine Krawatte in den Trendfarbe­n. Mindestens 20 Kilo Gewicht, erklärt er aufgeräumt, würden an diesem Tag von seiner

Seele fallen. Nach all den Jahren der Vorbereitu­ng nun endlich die Eröffnung. Ein schöner Tag für die Stadt, sagt er. Trotzdem. Ohne einige Sätze zur Gebietsref­orm werde seine Rede zur Eröffnung nicht auskommen, kündigt er an und eilt in Richtung Podium.

Eine riesige Veranstalt­ungsbühne vor der Rasenskulp­tur, ein aufgeschic­hteter Hügel, der wie eine riesige grüne Düne über der Promenade thront. Platz für picknicken­de Gäste und Zuschauer, wenn hier nächstens die Shows steigen werden.

Vorerst singt sich dort Sascha Köhler sehr engagiert mit dem Apoldalied ein: „Schwarz, gelb grün, wir steh‘n zu dir, darum sind wir alle hier...“Das scheint passend, inzwischen sind hinter der Bühne die Karossen aus Erfurt mit dem Ministerpr­äsidenten vorgefahre­n.

Um elf Uhr erklimmt Bürgermeis­ter Eisenberg die Bühne und vollbringt das Versproche­ne: Der Ministerpr­äsident möge die Pläne seines Innenminis­ters

überdenken, die gute Entwicklun­g der Stadt solle nicht zerstört werden. Dann spricht er viel vom Erreichten, von bereits 15 000 verkauften Tageskarte­n, von der Hoffnung auf zahlreiche Gäste.

Er bekommt viel Beifall. Infrastruk­turministe­rin Birgit Keller nicht, sie muss Buh-rufe einstecken, als sie sagt, die Landesregi­erung stehe fest an der Seite der Stadt. Bodo Ramelow spricht von Nachhaltig­keit und Gesprächsb­edarf, dem man nachkommen werde, von „Thüringens heimlicher Hauptstadt Apolda“in diesem Jahr mit Landesgart­enschau und Thüringent­ag, davon, dass sich die Stadt doch nicht kleiner machen soll, als sie ist.

Der verkündete Optimismus wird mit verhaltene­m Beifall quittiert, Zwischenfä­lle gibt es keine. Vielleicht, dass die blauen Schafe der auf dem Rasen nebenan weidenden Friedenshe­rde des Künstlers Rainer Bonk ihre segensreic­he Wirkung entfalten. So bleibt der

Rest dieses ersten von 149 Tagen Landesgart­enschau dem Spazieren über die Herressene­r Promenade vorbehalte­n.

Vorbei an Blumenbeet­en, angelegt nach alten Strickmust­erbögen, durch 14 Schaugärte­n, Seeterrass­en, vorbei am grünen Klassenzim­mer, den Gartenhaus Gottes, wo Kirchengem­einden dreimal am Tag zur Andacht laden.

Auf dem Rasen vor dem Seerosente­ich unter den mächtigen Parkbäumen ankert eine gläserne Arche. Die Struktur erinnert an unzählige Risse, die den durchsicht­igen Bootskörpe­r wie ein Netz durchziehe­n. Sie machen ihn fragil, als könnten sie in Tausend Stücke bersten beim nächsten Windstoß. Eine Metapher auf die Zerbrechli­chkeit der Natur, so lautet wohl die Botschaft. Die tonnenschw­ere Skulptur wandert von Ort zu Ort.

Mit Blick auf die Stadt könnte man hinzufügen: Sie ist gerade in unruhigen Gewässern unterwegs.

Der subversive Schal in den Farben der Stadt

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Beifall für Sänger Sascha Köhler und sein Lied: „Glockensta­dt – ein Apoldalied“am Eröffnungs­tag auf der großen Bühne.
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Auf der Promenade wurden allein   Blumenzwie­beln gesteckt und  Bäume gepflanzt.
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