Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Der Fußabdruck, den wir hinterlassen
Zwischen Makro- und Mikrokosmos: Zur Weltanschauung nicht religiöser Menschen
Die europäischen Werte sind in aller Munde. Es wird meist auf jüdisch-christliche Ursprünge verwiesen. In allen geschichtlichen Epochen gab es jedoch Denker, deren Anschauung als ‚säkularer Humanismus‘ bezeichnet werden kann. Er besteht im wesentlichen aus folgenden Punkten: Einem naturalistischen Weltbild, einem weltlichen Wertesystem und einer auf das Diesseits gerichteten Lebenswirklichkeit.
Grundlage des säkularen Weltbildes ist eine vernünftige, rationale, logisch nachvollziehbare Denkweise, wie sie insbesondere in den Naturwissenschaften zur Erkenntnis der Wirklichkeit praktiziert wird. Unstrittig ist, dass Wissenschaft vieles nicht erklären kann, unser Wissen immer an Grenzen stoßen wird und wir unseren Erkenntnishorizont zwar stetig erweitern, ihn aber niemals erreichen werden. Insofern bleibt ein säkulares Weltbild bei allem erkenntnistheoretischen Optimismus stets unvollkommen. Kriterien richtiger Wahrnehmungsund Erkenntnisfähigkeit sind deren praktische Bewährung oder ihr praktisches Misslingen.
Der Mensch agiert zwischen Makro- und Mikrokosmos. Er ist ein bio-psychosoziales Wesen. Die säkulare Ethik berücksichtigt die zeitlose‚ goldene Regel: Was Du nicht willst, dass man Dir tu... Sie anerkennt keine transzendente außerirdische (göttliche) Instanz und ihre ethisch-moralischen Regeln, Gebote, Verbote, Maßstäbe und Rituale. Ethisches Handeln sucht die für das Individuum und die Gemeinschaft bestmögliche Option im diesseitig orientierten Zusammenleben.
Das säkulare Wertesystem beinhaltet im historischen Prozess erreichte Menschenrechte wie Selbstbestimmung, Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheitsrechte, Recht auf Bildung, Solidarität und Toleranz, die jedoch auch begründbare Selbstbehauptung und Abgrenzung gegenüber anderen Anschauungen bedeutet.
Ein Gesellschaftsvertrag auf der Grundlage säkularer Humanität zielt auf Friedenssicherung, soziale Konvergenz, kulturelle Vielfalt, Freiheit der Religionen und Weltanschauungen bei staatlichem Neutralitätsgebot, wirtschaftliche und ökologische Wohlfahrt sowie die Weiterentwicklung der Staatsform. Der säkulare Humanist will ein zufriedenes, freud- und sinnvolles Leben führen. Er anerkennt spirituelle Bedürfnisse anderer Mitmenschen, toleriert jedoch keine Indoktrination.
Er akzeptiert die eigene Vergänglichkeit ohne Pessimismus und mit der realistischen Hoffnung auf ein erfülltes Leben. Er misst seinen Lebenssinn nicht an kosmischen Dimensionen, sondern an der eigenen biografischen Lebenswirklichkeit.
Nach dem Tode hinterlässt er mit seinen Kindern ein physisches Erbe, mit seinen materiellen und immateriellen Hinterlassenschaften einen früher oder später verwehten Fußabdruck.
Manfred Viol, Erfurt