Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Die guten Grünen
In der vergangenen Woche trat Rainer Wernicke aus der Partei aus, die sich vollständig Bündnis 90/ Die Grünen nennt. Dabei handelte es sich nicht um einen gänzlich üblichen Vorgang.
Wernicke amtierte bis vor Kurzem noch als einer der beiden Landeschefs, oder, hoffentlich ist das jetzt politisch korrekt gegendert: Als eine der beiden Landessprecher*innen.
In seiner Abschiedsnote („mit lieben Grüßen“) unterstellte er führenden Mitgliedern seiner ländlichen Miniaturpartei Bigotterie, Mobbing, Heuchelei, Rufmord, puritanischen Eifer, Intrigen und Verlogenheit. Gehe es um die eigene Existenz, schrieb Wernicke, werde auch die oder der gemeine Grüne schnell zur Hyäne.
Dies, formuliert er, sei übrigens „kein Nachtreten“. Natürlich nicht.
Landeschefin Stephanie Erben und Wernickes Nachfolger Denis Peisker reagierten auffällig gedämpft. Bloß nicht die peinliche Angelegenheit verlängern, so lautete wohl die taktische Überlegung dahinter.
In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sie von „schwierigen Auseinandersetzungen“während Wernickes zweijähriger Amtszeit. Man respektiere seinen Austritt, erwarte nun aber, „dass er von in der Sache haltlosen persönlichen und öffentlichen Angriffen“absehe.
Vorigen November, als Wernicke unter einigem beleidigten Tam-tam als Landeschef abtrat, hatte sich seine Co-vorsitzende Erben noch weniger feinziseliert geäußert. „Jetzt kann der Mann wieder Bier verkaufen“– so kommentierte sie den Abgang des Mannes, mit dem sie, wie in der Partei zu hören war, schon damals seit Monaten nicht mehr redete.
Nun sollten Wernickes Attacken nicht überbewertet werden. Seine Suada spricht mindestens genauso gegen ihn wie gegen jene, die er anklagt. Zudem ist Politik nun mal kein Ponyhof. Gerade die Grünen galten schon zu seligen Zeiten von Joschka Fischer und Jutta Ditfurth als eine Partei, in der, wenn es darauf ankommt, keine Gefangenen gemacht werden.
Kriegerische Handlungen gab es auch in Thüringen, bevor Katrin Göring-eckardt alle wichtigen Positionen in Landespartei und Landtagsfraktion mit ihren Leuten eingenommen hatte. Wernicke war nur eine verspätet entstandene Fehlstelle im thüringischen Ableger des Machterhaltungssystems der Bundestagsfraktionschefin; eine Fehlstelle, die sich nun selbst erledigt hat.
Und dennoch. Zum Wesenskern der Grünen gehört nun mal, dass sie stets den höchsten Anspruch an andere anlegen, politisch, menschlich, moralisch. Diese Haltung passt zur soziologischen Konstitution ihrer Mitgliederund Wählerschaft, die im Durchschnitt besser ausgebildet, besser verdienend und schlechter angezogen ist als der Rest der Menschheit.
Sie sind die Besten aller Weltverbesserer. Sie sind die Guten.
Trotzdem braucht man dies nicht, wie es die politische Rechte gerne tut, pauschal als Gutmenschentum zu diffamieren. Die Grünen waren lange die Partei, die als einzige vor der Umweltzerstörung und dem Klimawandel warnten. Und sie taten mehr als andere für die Liberalisierung des Landes, ob nun bei der Gleichberechtigung der Frau, der Ehe für alle oder den Schutz jedweder Minderheiten.
Doch inzwischen haben sich einige Ideen zu Ideologie verfestigt. Aus dem Anspruch, das Gute zu wollen, ist der falsche Glaube gewachsen, automatisch das Gute zu tun. Der unreflektierte Widerspruch, Windräder im Wald errichten zu wollen oder die Ignoranz, mit der Linksextremisten gar nicht erst wahrgenommen werden, sind nur einige Beispiele dafür. Gleichzeitig erscheint zurzeit keine Partei machtpolitisch so flexibel wie die Grünen, die von der CDU bis zur Linken mit allem koaliert, das sie an die Macht bringt. Dies alles ist Teil der Heuchelei, von der Wernicke spricht.
Aber ja: Jede Partei legt bei sich ein strengeres Maß an als bei der Konkurrenz. Doch die Differenz ist bei den Grünen am größten. Eine Cdu-ministerpräsidentin, die einen fatalen politischen Fehler beging, wurde angezeigt. Ein grüner Minister, der sein Amt für private Interessen nutzte, der mehrfach die Unwahrheit sagte und der politisch noch nicht einmal überzeugt, wird zum Märtyrer verklärt.
Unter anderem dies produziert ein Glaubwürdigkeitsproblem, das die Grünen nächstes Jahr entscheidende Stimmen kosten kann. Denn wie bei jeder Landtagswahl in Thüringen dürfte es bei ihrem Einzug ins Parlament äußerst knapp zugehen.
Linke und SPD schauen entgeistert zu, wie die Grünen mit ihrer Attitüde die Restchancen auf die Verteidigung der rot-rot-grünen Mehrheit minimieren. Sie reden auf ihren kleinen Partner ein, sie bitten und sie drängen. Aber sie können nichts machen. Wie in jeder Koalition entscheiden die Grünen selbst über ihr Personal. Und wie immer wissen sie alles besser.
Martin Debes ist Chefreporter der Thüringer Allgemeinen