Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Der Feuerkopf

In Erfurts „Schotte“lädt ein junges Schauspiel­er-quartett zu einer furiosen Theaterrei­se durch Büchners Leben ein

- Von Frank Quilitzsch

Erfurt. Da haut ein junger Mann leidenscha­ftlich in die Tasten. Die Karten müssten neu gemischt werden, verlangt er und entwirft für einen Geheimbund ein Flugblatt, das die hessische Landbevölk­erung zum Widerstand gegen die Unterdrück­er aufruft. „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“skandieren sie mit erhobenen Fäusten. Von da an ist der dichtende Medizinstu­dent und glühende Revolution­är, dessen Dramen und Prosatexte die deutsche Literatur revolution­ieren werden, auf der Flucht: Gießen, Darmstadt, Straßburg, Zürich – schlaglich­tartig scheinen auf der Bühne die wichtigste­n Lebensstat­ionen Georg Büchners auf, meist szenisch, manchmal auch deklamator­isch, immer jedoch auf fasziniere­nde, fesselnde Weise.

„Georg! Büchner! Feuerseele!“hat Martin Schink seine kluge Collage genannt, die von vier jungen Darsteller­n im Erfurter Theater „Die Schotte“umgesetzt wird. Georg, durchgehen­d gespielt von Julian Mosbach, ist ein Feuerkopf, ein von seinen Idealen und Zweifeln Getriebene­r, der für Freiheit ficht und früh erkennt, dass es die Verhältnis­se sind, die den Untertanen niederhalt­en. „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“zitiert Mosbach Danton, wobei er „hurt“weglässt, warum auch immer.

Sie wechseln permanent die Mützen, Röcke und Rollen

Josefine Nitzsche, Maria Schönherr und Julius Reich wechseln permanent die Mützen, Röcke und Rollen. Changieren sogar zwischen Rockund Hosenrolle. Sie sind Büchners Kommiliton­en, Eltern, Gefährten, Polizisten, Kritiker. Julius Reich z.b. mimt den jüngeren Bruder Wilhelm, der ihm mit einer couragiert­en Tat die Flucht ermöglicht. Maria Schönherr ist seine Verlobte aus Straßburg, Josefine Nitzsche sein Freund, der revolution­äre Pfarrer Weidig.

Was für eine Mode! Coco Ruch hat sie farblich wunderbar auf die in Rottöne getauchte und mit Büchner-texten tapezierte Bühne abgestimmt. Alle tragen Proben der Handschrif­t des Dichters auch am Kragen, Saum, Schal oder an aufgenähte­n Farbpunkte­n. Regisseur Schink darf sich zudem die gelungene Ausstattun­g, zu der nicht zuletzt Videoproje­ktionen zählen, auf die Fahne schreiben. Einziges Manko: Man sollte den Theaterbes­uchern auf dem Programmze­ttel ein paar Informatio­nen zu Georg Büchner (1813-1837) mitgeben.

Wie brandaktue­ll Büchners Gedanken heute noch sind, bekommt man auf der Bühne quasi im Minutentak­t zu spüren. Die Reichen würden immer reicher, die Armen immer ärmer, beklagt der Protagonis­t, der aber auch zu einem der konsequent­esten Kritiker des Terrors der französisc­hen Revolution avancierte. Sie fresse ihre Kinder, mahnen sie im Quartett, über und über mit dem Blut des auf dem Schafott hingericht­eten Georges Danton bespritzt.

Doch nicht nur Düsteres, auch Bekenntnis­se der Liebe, Freundscha­ft und Kameradsch­aft machen die Runde. Das ist im besten Sinne junges Theater. Die Akteure müssen kaum altersmäßi­g „nach oben“spielen, sie sind im besten Büchner-alter! Der seiner Zeit vorauseile­nde Dichter starb mit 23; sein Genie – auch das zeigt eindrucksv­oll die Inszenieru­ng – leuchtete kurz, aber unglaublic­h hell.

Der Wechsel zwischen der Biografie und den literarisc­hen Fiktionswe­lten Büchners erhöht noch das Vergnügen für den Zuschauer. Stichprobe­n aus den Dramen werden aufgeführt. Woyzeck etwa, der vom Regimentsa­rzt für zweifelhaf­te Experiment­e missbrauch­t wird, Stimmen hört und seine geliebte Marie ermordet. Oder Danton, im Rededuell mit Robespierr­e; der Autor warnte schon 1835 vor dem Terror der Revolution­äre, der im 20. Jahrhunder­t Europa überschwem­men sollte. Oder das aus einer Laune heraus für ein Preisaussc­hreiben hingeworfe­ne Lustspiel „Leonce und Lena“, eine der philosophi­sch vielschich­tigsten Farcen der Theaterges­chichte. Szenen voller Dramatik, Witz und Verve.

Apropos Feuerseele – manchmal, lodert an kleinen, profession­ell geführten Amateurbüh­nen mehr Leidenscha­ft als am Stadttheat­er.

Weitere Aufführung­en im Erfurter Theater „Die Schotte“: heute sowie am . und . April

 ??  ?? Ein Theaterabe­nd voller Jugend und Leidenscha­ft: Julian Mosbach als Dichter Georg Büchner, hier im Widerstrei­t mit Maria Schönherr, die eine Bürgerin aus dem Drama „Dantons Tod“spielt. Foto: Lutz Edelhoff
Ein Theaterabe­nd voller Jugend und Leidenscha­ft: Julian Mosbach als Dichter Georg Büchner, hier im Widerstrei­t mit Maria Schönherr, die eine Bürgerin aus dem Drama „Dantons Tod“spielt. Foto: Lutz Edelhoff

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