Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Der Feuerkopf
In Erfurts „Schotte“lädt ein junges Schauspieler-quartett zu einer furiosen Theaterreise durch Büchners Leben ein
Erfurt. Da haut ein junger Mann leidenschaftlich in die Tasten. Die Karten müssten neu gemischt werden, verlangt er und entwirft für einen Geheimbund ein Flugblatt, das die hessische Landbevölkerung zum Widerstand gegen die Unterdrücker aufruft. „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“skandieren sie mit erhobenen Fäusten. Von da an ist der dichtende Medizinstudent und glühende Revolutionär, dessen Dramen und Prosatexte die deutsche Literatur revolutionieren werden, auf der Flucht: Gießen, Darmstadt, Straßburg, Zürich – schlaglichtartig scheinen auf der Bühne die wichtigsten Lebensstationen Georg Büchners auf, meist szenisch, manchmal auch deklamatorisch, immer jedoch auf faszinierende, fesselnde Weise.
„Georg! Büchner! Feuerseele!“hat Martin Schink seine kluge Collage genannt, die von vier jungen Darstellern im Erfurter Theater „Die Schotte“umgesetzt wird. Georg, durchgehend gespielt von Julian Mosbach, ist ein Feuerkopf, ein von seinen Idealen und Zweifeln Getriebener, der für Freiheit ficht und früh erkennt, dass es die Verhältnisse sind, die den Untertanen niederhalten. „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“zitiert Mosbach Danton, wobei er „hurt“weglässt, warum auch immer.
Sie wechseln permanent die Mützen, Röcke und Rollen
Josefine Nitzsche, Maria Schönherr und Julius Reich wechseln permanent die Mützen, Röcke und Rollen. Changieren sogar zwischen Rockund Hosenrolle. Sie sind Büchners Kommilitonen, Eltern, Gefährten, Polizisten, Kritiker. Julius Reich z.b. mimt den jüngeren Bruder Wilhelm, der ihm mit einer couragierten Tat die Flucht ermöglicht. Maria Schönherr ist seine Verlobte aus Straßburg, Josefine Nitzsche sein Freund, der revolutionäre Pfarrer Weidig.
Was für eine Mode! Coco Ruch hat sie farblich wunderbar auf die in Rottöne getauchte und mit Büchner-texten tapezierte Bühne abgestimmt. Alle tragen Proben der Handschrift des Dichters auch am Kragen, Saum, Schal oder an aufgenähten Farbpunkten. Regisseur Schink darf sich zudem die gelungene Ausstattung, zu der nicht zuletzt Videoprojektionen zählen, auf die Fahne schreiben. Einziges Manko: Man sollte den Theaterbesuchern auf dem Programmzettel ein paar Informationen zu Georg Büchner (1813-1837) mitgeben.
Wie brandaktuell Büchners Gedanken heute noch sind, bekommt man auf der Bühne quasi im Minutentakt zu spüren. Die Reichen würden immer reicher, die Armen immer ärmer, beklagt der Protagonist, der aber auch zu einem der konsequentesten Kritiker des Terrors der französischen Revolution avancierte. Sie fresse ihre Kinder, mahnen sie im Quartett, über und über mit dem Blut des auf dem Schafott hingerichteten Georges Danton bespritzt.
Doch nicht nur Düsteres, auch Bekenntnisse der Liebe, Freundschaft und Kameradschaft machen die Runde. Das ist im besten Sinne junges Theater. Die Akteure müssen kaum altersmäßig „nach oben“spielen, sie sind im besten Büchner-alter! Der seiner Zeit vorauseilende Dichter starb mit 23; sein Genie – auch das zeigt eindrucksvoll die Inszenierung – leuchtete kurz, aber unglaublich hell.
Der Wechsel zwischen der Biografie und den literarischen Fiktionswelten Büchners erhöht noch das Vergnügen für den Zuschauer. Stichproben aus den Dramen werden aufgeführt. Woyzeck etwa, der vom Regimentsarzt für zweifelhafte Experimente missbraucht wird, Stimmen hört und seine geliebte Marie ermordet. Oder Danton, im Rededuell mit Robespierre; der Autor warnte schon 1835 vor dem Terror der Revolutionäre, der im 20. Jahrhundert Europa überschwemmen sollte. Oder das aus einer Laune heraus für ein Preisausschreiben hingeworfene Lustspiel „Leonce und Lena“, eine der philosophisch vielschichtigsten Farcen der Theatergeschichte. Szenen voller Dramatik, Witz und Verve.
Apropos Feuerseele – manchmal, lodert an kleinen, professionell geführten Amateurbühnen mehr Leidenschaft als am Stadttheater.
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Weitere Aufführungen im Erfurter Theater „Die Schotte“: heute sowie am . und . April