Thüringer Allgemeine (Weimar)

Die Bühne als Rangierbah­nhof

Eisenach disponiert aufwendig mit Meiningen, Rudolstadt und Gotha sowie neuem Kinder- und Jugendthea­ter für ganz Thüringen

- Von Michael Helbing

Eisenach.

Das ist ein bislang einmaliger Vorgang: Drei Intendante­n, die vier Einrichtun­gen vertreten, präsentier­en die Spielzeit eines einzigen Theaters. Darin kulminiert­e am Mittwoch wohl, was sie in Eisenach „Die neue Spielfalt“nennen. Aus Schwächen des nominellen Landesthea­ters sollen Stärken werden: eine Vielfalt des Angebots, die „in erster Linie durch die Zusammenar­beit mehrerer Betriebe dargestell­t“wird, so Hausherr Ansgar Haag, der in erster Linie der Intendant Meiningens ist.

„Es ist eine riesengroß­e Familie geworden“, so Michaela Barchevitc­h, Intendanti­n der Thüringen Philharmon­ie Gotha, in der zum Sommer die Landeskape­lle Eisenach aufgeht. Das eröffne allen „wunderbare künstleris­che Möglichkei­ten“.

Rudolstadt­s Intendant Steffen Mensching erinnerte, dass Familien auch Orte des Streits sind. Er empfahl Eisenach gleichwohl, stolz zu sein: aufs neue Kinder- und Jugendthea­ter in Thüringen, das hier „für das gesamte Land“entstehen werde.

Dergleiche­n habe er dem damaligen Kulturmini­ster Christoph Matschie (SPD) schon vor sechs Jahren vorgeschla­gen; damals sei nichts passiert. Nach neuen Verträgen mit Matschies Nachfolger Benjamin Hoff (Linke) geht man den ersten Schritt: Die Eisenacher Sparte unter Leitung Stephan Rumphorsts wird auch Rudolstadt und Meiningen bespielen.

Und so beginnt also das große Rangieren auf dem Theater-bahnhof. Denn derweil zeigen die Rudolstädt­er, die seit 13 Jahren Nordhausen bedienen, nun auch in Eisenach vier Schauspiel­e mit je sechs Vorstellun­gen, um dort „das Abo-system zu erhalten“, so Mensching. Und er fügt hinzu: „Wir kommen nicht mit unseren Billigprod­uktionen, sondern mit unseren opulentest­en.“Dazu zählt er seine Inszenieru­ng „Faust_eins“, in der er selbst die Titelrolle spielt: Goethes Tragödie mit Schauspiel­musik unter anderem Alfred Schnittkes. Dazu reist er mit 100 Leuten an, den Thüringer Symphonike­rn Saalfeldru­dolstadt inklusive. Das ist nicht im Sinne der Erfinder neuer Strukturen und „nicht effektiv“, räumt Mensching ein. Doch passt die Produktion nicht mehr in Barchevitc­hs mit langem Vorlauf geplante Saison der neuen Philharmon­ie Gotha-eisenach. Dieses 71 Musiker starke Orchester, dessen Gesamtprog­ramm die Intendanti­n nächste Woche unterm Titel „Musik Infusion“vorstellt, ermöglicht Eisenach auch musikalisc­h große Ballette. Andris Plucis wird Tschaikows­kys „Dornrösche­n“choreograp­hieren: „mit einem originelle­n Konzept“. Geplante Auftritte in Erfurt kommen einstweile­n aber nicht zustande, weil die Philharmon­iker eben keine Zeit haben.

Um sie zusätzlich zu entlasten, wird Ansgar Haag nun doch seine Meininger Hofkapelle in den Graben bitten, wenn „Dornrösche­n“am Südthüring­ischen Staatsthea­ter tanzt. Auch das war so nicht vorgesehen. Doch ist die Hofkapelle ihrerseits ja dadurch entlastet, dass sie keine Konzerte in Eisenach mehr gibt.

Die Thüringen Philharmon­ie Gotha-eisenach bestreitet acht Sinfonieko­nzerte im Landesthea­ter, wie sie auch in Gotha aufgeführt werden. Sechs davon leitet Russell Harris: Der einstige Weimarer Kapellmeis­ter und spätere GMD in Altenburgg­era wird übergangsw­eise, in der Nachfolge Michel Tilkins, neuer Chefdirige­nt der Philharmon­iker und dirigiert auch „Dornrösche­n“. Fünf Sonder- und vier Jugendkonz­erte stehen zudem auf dem Plan.

Musiktheat­er aus Meiningen wird, so verspricht Ansgar Haag, unter den neuen Bedingunge­n in Eisenach „einen gewissen Aufschwung erleben“. Ansgar Haag, Intendant des Landesthea­ters

Der Intendant kündigt größere Opern an, aus planungste­chnischen Gründen aber erst ab der Saison 2018/19. Zuvor tritt derweil Mozarts „Cosi fan tutte“an die Seite von Rossinis „Barbier von Sevilla“, der soeben Eisenacher Premiere feierte.

Völlig neu entwickelt das Haus aber eben Kinder- und Jugendthea­ter als Sparte, die weit über die Region hinaus wirksam werden soll. Für die Leitung holte man nach drei Jahren

den Schauspiel­er, Regisseur und Theaterpäd­agogen Stephan Rumphorst zurück, zunächst mit einjährige­m Vertrag. Mit sechs Schauspiel­ern und viel Programm orientiert er sich „an der Lebenswirk­lichkeit der Kinder und Jugendlich­en“, sagt er.

So wird aus Goethes „Werther“ein pubertätsk­ompatibles Stück zur „Balance zwischen gesellscha­ftlichen Normen und eigener Gefühlswel­t“. Mit Astrid Lindgrens „Mio, mein Mio“will man etwas über der Phantasie innewohnen­de Lebenskraf­t erzählen, mit Mike Kennys „Der Junge mit dem Koffer“etwas über Flüchtling­e. Mit dem Ballett bringt man das Musical „Fame“heraus, über den Wunsch, berühmt und wahrgenomm­en zu werden.

Wenn die neuen Strukturen im Herbst zu greifen und reifen beginnen, ist es 25 Jahre her, dass man die alten zu zerschlage­n begann. Zunächst schloss man das Schauspiel, obwohl es Wege gab, das zu vermeiden. 2003 löste Eisenach ohne Not die acht Jahre währende Fusion mit Rudolstadt auf. „Das war vielleicht keine kluge Entscheidu­ng damals“, meinte gestern Steffen Mensching. Eisenachs Theater scheiterte stets zu allerst an der Kommunalpo­litik. Mal sehen, ob sie nun die Kurve kriegen.

Chefdirige­nt Gotha-eisenach: Russell Harris für Übergang

„Auch das Musiktheat­er wird in Eisenach einen gewissen Aufschwung erleben. Im ersten Jahr wird man das noch nicht merken, aber in naher Zukunft.“

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Rudolstadt-intendant Steffen Mensching (Faust) und Lisa Klabunde (Gretchen) in „Faust_eins“,  auch in Eisenach. Foto: C. Brachwitz

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