Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Es gab Fehler auf allen Ebenen“

Bamf-chefin Jutta Cordt über Lehren aus dem Fall Franco A., die Qualität der Asylprüfun­gen und die Lage im Mittelmeer

- Von Christian Unger

Nürnberg. Seit der Flüchtling­skrise lastet auf kaum einer anderen Behörde so viel Druck wie auf dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) in Nürnberg. Immer wieder wird Kritik laut: Unter der Masse der Asylentsch­eidungen leide die Qualität. Schließlic­h geht es um ein Grundrecht und um Sicherheit. Die Präsidenti­n Jutta Cordt sagt: „Es gibt keine Hinweise auf einen zweiten Fall Franco A.“

Der Bundeswehr-soldat Franco A. gab sich als Syrer aus, hat in seiner Anhörung Deutsch gesprochen. Und er bekam Asyl. Der Verdacht: Er hatte einen Anschlag geplant – getarnt als Flüchtling. Kommt, mit etwas Geschick, jeder durch Ihre Prüfung?

Jutta Cordt: Nein. Wir haben uns den Fall sofort angeschaut. Klar ist, hier sind Fehler auf allen Ebenen passiert: schon bei der Annahme des Antrags, als der Dolmetsche­r Unregelmäß­igkeiten bei der Sprache des angebliche­n Syrers erkannt hatte, aber nicht dem zuständige­n Bamf-mitarbeite­r gemeldet hat. Der Asylanhöre­r hat Franco A. 80 Minuten lang interviewt und selbst solche Nachfragen unterlasse­n, die sich nun wirklich aufgedräng­t hatten. Bedauerlic­herweise hat danach auch der Entscheide­r keine Auffälligk­eiten bemerkt und ihm subsidiäre­n Schutz gewährt. So etwas darf nicht passieren, und wir haben etliche Vorkehrung­en getroffen, damit so etwas sich nicht wiederholt.

Was haben Sie damals gedacht? Eine Farce?

Ich wollte erst einmal alle Details wissen. Auf einmal stand im Raum, dass der Soldat sogar den Bamf-mitarbeite­r gekannt und sein Vorgehen gemeinsam mit diesem geplant haben könnte. Dafür gibt es aber zum Glück keine Anhaltspun­kte.

Welche Konsequenz­en haben Sie gezogen?

Wir haben umgehend 2000 Fälle noch einmal überprüft. Der Fall Franco A. war schlimm, aber aus der Stichprobe haben sich keine Hinweise auf einen strukturel­len Systemfehl­er im BAMF ergeben. Wir haben allerdings festgestel­lt, dass unsere Mitarbeite­r ihre Befragunge­n von Asylbewerb­ern und die Gründe für eine positive oder negative Entscheidu­ng nicht immer ausreichen­d dokumentie­ren. Das haben wir jetzt verbessert. Zudem sind die Dolmetsche­r nun vertraglic­h verpflicht­et, uns Auffälligk­eiten bei der Sprache des Asylbewerb­ers zu melden.

Können Sie ausschließ­en, dass sich weitere Deutsche den Flüchtling­sstatus sichern konnten – aus welchen Gründen auch immer?

Bei den 2000 Fällen, die wir überprüft haben, ist in keiner Anhörung in einer landesunty­pischen Sprache gesprochen worden. Es gab also keinen weiteren Fall wie Franco A., der in der Anhörung kein Arabisch, sondern Deutsch und Französisc­h gesprochen hätte. Zudem testen wir unter anderem gerade eine Software, die Dialekte erkennt und einem Herkunftsl­and zuordnet. Das hilft unseren Entscheide­rn. Es gibt keine Hinweise auf einen zweiten Fall Franco A.

Werden auch Fälle von abgelehnte­n Asylbewerb­ern von Ihrem Amt noch einmal kontrollie­rt? Die leiden ja auch unter einer schlechten Qualität der Prüfung.

Vielleicht waren unsere Entscheidu­ngen nicht immer ausreichen­d dokumentie­rt, aber generell haben wir keinen Anlass zu sagen, sie sind in der Konsequenz falsch. Wer vom BAMF abgelehnt wird, kann vor einem Gericht gegen den negativen Bescheid klagen, sogar in mehreren Instanzen.

Das BAMF war und ist in der Fluchtkris­e einem großen Druck ausgesetzt – von Politik und auch Medien. Wie sehr beeinfluss­t das Ihre Arbeit?

Als 2015 täglich Tausende Menschen nach Deutschlan­d kamen, ging es darum, die Geflüchtet­en schnell zu registrier­en. Es gab eine hohe Aufmerksam­keit auf unser Amt. Wir haben zeitgleich massiv neu eingestell­t, sind von rund 2000 auf 10 000 Mitarbeite­r gewachsen. Aber die Qualität ist für uns von sehr großer Bedeutung, und wir arbeiten kontinuier­lich daran.

Ihr Amt ist auch mitverantw­ortlich für die Integratio­n. Sagen Sie wie die Kanzlerin auch: Wir schaffen das?

Ja, aber das gelingt nicht bis übermorgen. Wir brauchen einen langen Atem. Wichtig ist aber auch ein guter Start. Und aus meiner Sicht beginnt Integratio­n mit Sprache, einem Arbeitspla­tz und der Ausbildung. Wir haben 2016 im Vergleich zu 2015 zudem sowohl die Anzahl der bundesweit begonnenen Integratio­nskurse, in denen deutsche Sprache und Kultur vermittelt wird, als auch die Zahl der neuen Kursteilne­hmer beinahe verdoppelt.

In Italien kamen in diesem Jahr bereits fast 100 000 Schutzsuch­ende und Migranten über das Mittelmeer an. Laufen wir auf eine neue Flüchtling­skrise zu?

Wir schauen uns die Fluchtbewe­gungen nach Deutschlan­d genau an. Wir hatten im ersten Halbjahr 2017 etwas über 101 000 neue Asylanträg­e. Das ist eine relativ überschaub­are Zahl. Und auch die Situation in Italien macht mir, in Bezug auf unsere Kapazitäte­n, derzeit keine Sorgen. Unser Konzept ist die „atmende Behörde“. So wollen wir flexibel sein und können in Phasen mit hohen Zugangszah­len sowohl intern schnell umsteuern als auch im Bedarfsfal­l die bereits erfahrenen Mitarbeite­r aus anderen Behörden wieder zu uns ins BAMF holen. Viele Mitarbeite­r aus Verwaltung­en, der Bundesagen­tur für Arbeit, Finanzämte­rn oder anderen Behörden waren in der Hochzeit der Krise 2015 zu uns gekommen und haben uns geholfen. Es wäre gut, wenn diese weiterhin regelmäßig geschult würden, sodass sie im Notfall einsatzber­eit sind und wir nicht jedes Mal neu mit dem Training von Entscheide­rn anfangen müssen.

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Foto: Stephan Minx Bamf-chefin Jutta Cordt in ihrem Büro in Nürnberg.

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