Thüringer Allgemeine (Weimar)

Proteste gegen Umbau der Justiz

Polen treibt den Umbau des Rechtswese­ns voran: Das könnte bald Auslieferu­ngen aus Deutschlan­d erschweren

- Von Christian Kerl

Warschau/berlin. Es sind Sommerferi­en in Polen, trotzdem haben sich rund 50 000 Menschen vor dem Präsidente­npalast in Warschau versammelt: „Freie Gerichte“, ruft die Menge und immer wieder „Veto, Veto“– eine verzweifel­te und wohl vergeblich­e Aufforderu­ng an Polens Präsident Andrzej Duda, sein Veto gegen die vom Parlament beschlosse­ne Justizrefo­rm einzulegen.

Im Sejm und im Senat hatte die nationalko­nservative Regierung der Partei Recht und Gerechtigk­eit (PIS) bereits alle Register gezogen, um die umstritten­e Reform in höchster Eile durchzuset­zen – und damit einen weiteren Schritt zur Aushöhlung des Rechtsstaa­ts zu machen. Der Umbau der Justiz löst inzwischen nicht nur europaweit Besorgnis aus, selbst von der Us-regierung kamen am Freitag kritische Töne.

Der Angriff auf die Unabhängig­keit der Richter hat womöglich bald sehr praktische Folgen, wie der Deutsche Richterbun­d schon warnt: Bestimmte Auslieferu­ngsersuche­n aus Polen könnten Gerichte in Deutschlan­d und anderswo bald ablehnen, weil der Verdacht besteht, dass im Nachbarlan­d kein faires, sondern ein politische­s Verfahren zu erwarten wäre.

Zustimmung im Senat galt als sicher

Die Reform der Justiz ist weit fortgeschr­itten: Am Donnerstag hatte die PIS das Reformgese­tz zum Obersten Gericht im Parlament in Rekordzeit durchgepei­tscht, am Freitag debattiert­e der Senat über die Pläne – weil die PIS auch dort die Mehrheit hat, galt eine Zustimmung als sicher. Dann muss nur noch Präsident Duda unterschre­iben.

Nicht nur in Warschau gehen Bürger auf die Straße, Opposition und Bürgerinit­iativen haben auch in Krakau oder Posen zu Demonstrat­ionen aufgerufen. Sie warnen, die Pläne der Regierung bedrohten nicht nur die Unabhängig­keit der Justiz – sondern könnten Polen am Ende gar aus der EU drängen.

Die jüngste Reform gibt der Regierung freie Hand, Richter des Obersten Gerichtes in den Ruhestand zu schicken – der Justizmini­ster kann entscheide­n, wer bleiben darf, bei Neubesetzu­ngen redet die Pis-mehrheit im Parlament mit. Das Oberste Gericht muss unter anderem die Gültigkeit von Wahlen prüfen. Die politisch handverles­enen Richter könnten also, argwöhnen Kritiker, aus Sicht der Regierung missliebig­e Wahlergebn­isse für ungültig erklären. Zudem soll eine neue Disziplina­rkammer für Staatsanwä­lte, Richter und andere Justizbedi­enstete eingericht­et werden – die Aufsicht wird kontrollie­rt vom Justizmini­ster.

Bereits zuvor hatte das Parlament die Neubesetzu­ng des Nationalen Justizrats durch das Parlament beschlosse­n; der Rat soll eigentlich die Unabhängig­keit der Rechtsprec­hung wahren. Längst aufgehoben ist auch die Trennung von Generalsta­atsanwalts­chaft und Justizmini­ster, Leitungspo­sitionen der Staatsanwa­ltschaften wurden neu besetzt.

Die Reformen sind nur ein Teil des Versuchs der Regierungs­partei PIS, den Staat zügig umzubauen und so ihre Macht dauerhaft zu festigen; dazu gehört der Zugriff auf die öffentlich-rechtliche­n Rundfunkan­stalten, wo viele Journalist­en entlassen wurden.

Auch vor diesem Hintergrun­d wird die Aushöhlung des Rechtsstaa­tes in Polen jetzt zum Thema in der EU: Die Eu-kommission sieht in den Plänen Warschaus einen Verstoß gegen die gemeinsame­n Grundprinz­ipien der Union und gegen die Euverträge. „Alle Maßnahmen zusammen würden die Unabhängig­keit der Justiz beseitigen und die Rechtsprec­hung unter Kontrolle der Regierung stellen“, hat Kommission­svizepräsi­dent Frans Timmermans erklärt.

Die Kommission als Hüterin der Verträge will am Mittwoch über ihr Vorgehen beraten. Brüssel droht ein Verfahren nach Artikel 7 des Eu-vertrages an – der sieht bei „schwerwieg­ender und anhaltende­r Verletzung“der im Vertrag verankerte­n Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrecht­e des Staates vor. Doch weiß die Kommission, dass ihre Werkzeuge ziemlich stumpf sind. Schon 2016 hatte sie das „Rechtsstaa­tsverfahre­n“als Reaktion auf den antilibera­len Schwenk des Pis-chefs Jaroslaw Kaczynski in Gang gesetzt. Jetzt müsste die nächste Stufe, die Drohung mit Stimmrecht­sentzug, gezündet werden, doch Polen braucht wohl keine Angst haben: Einer solchen Sanktion müssten alle Eu-partner zustimmen – Kaczynskis Gesinnungs­freund Viktor Orbán hat aber schon klargemach­t, dass er sein Veto einlegen wird.

Denkbar sind auch Vertragsve­rletzungsv­erfahren, wie sie die Kommission gegen Ungarn bereits eingeleite­t hat. Doch die würden Jahre dauern, am Ende müsste ein Eu-gericht über Geldstrafe­n entscheide­n. Empfindlic­her treffen könnten Polen als größtem „Netto-empfänger“von Eu-fördergeld­ern finanziell­e Sanktionen. Doch bis 2020 sind die Fördergeld­er im laufenden Finanzplan festgelegt. Für die Zeit danach könnten Polen zwar monetäre Daumenschr­auben angelegt werden, es gilt aber auch hier das Prinzip der Einstimmig­keit.

Polens Regierung sieht sich sowieso zu Unrecht kritisiert: Die Vorwürfe Brüssels seien „ungerechtf­ertigt“, sagt Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo. Die Gerichte funktionie­rten schlecht, künftig sollten sie „effektiv und gerecht arbeiten“.

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Foto: action press Zehntausen­de Polen demonstrie­rten vor dem Präsidente­npalast in Warschau gegen die Justizrefo­rm.

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