Thüringer Allgemeine (Weimar)

Apoldas Plattform für Kunst aus Weimar

„Born to be Bauhaus“in der Kulturfabr­ik präsentier­t die fünf Preisträge­r eines neuen Wettbewerb­s für die Fakultät Kunst und Gestaltung

- Von Michael Helbing

Apolda. Vierfach mit Schwarz-rotgold beflaggt zeigt sich seit Donnerstag die Kulturfabr­ik Apolda. Eine Deutschlan­dfahne jedoch befindet sich darunter nicht. Hä? Hier stimmt was nicht. Semiotik und Farbgebung klaffen auseinande­r. In Schwarzrot-gold getaucht sieht man hier die Flaggen der USA und Großbritan­niens, Burundis und der Marshallin­seln. Ursprüngli­ch gehörten noch Thailand und Jamaika dazu: vor einem Jahr, als Francis Kamprath mit Freunden und Flaggen mitten hinein in eine Pegida-demonstrat­ion Dresdens marschiert­e. Sie wurden dann alsbald des Platzes verwiesen.

Nun sind die Flaggen, die gewohnte Sichtweise­n aus der Balance zu bringen vermögen, irritieren­de Hingucker in Apolda. Obwohl sie gleichsam auch eine subtil und ironisch politisier­ende Kunst hinter der Fassade der Kulturfabr­ik ankündigen, sind sie aber nicht das Eigentlich­e.

Nicht insofern zumindest, als eine andere Arbeit des Medienküns­tlers Francis Kamprath hier im Zentrum steht: das Bilderproj­ekt „Brautkleid [xxx] Brautkleid“. Es ist eines von fünf Werken, die sich im ersten Wettbewerb „Born to be Bauhaus“unter 70 Bewerbunge­n durchsetzt­en.

Ihn zu etablieren, geht auf ein nächtliche­s Kunstgespr­äch zurück: zwischen Andreas Lenz, Kurator in der schon länger heimatlos gewordenen Weimarer Universitä­tsgalerie, und Kulturmana­gerin Sibylle Müller von der Kulturfabr­ik. Bald danach wurde Christiane Wolf vom „Archiv der Moderne“an der Bauhaus-universitä­t die Dritte im Bunde.

Das Archiv kaufte bislang jährlich für die Universitä­t drei Kunstwerke von Studenten und Absolvente­n an. Nun ist daraus ein größerer Kunstpreis geworden: zur rechten Zeit auch deshalb, weil sich durch Umstruktur­ierung die Fakultät Kunst und Gestaltung unlängst neu formierte, als einzige, wenn auch inoffiziel­le Kunsthochs­chule Thüringens.

Mit der Sparkassen­stiftung Mittelthür­ingen und dem „Über Land e.v.“ins Leben gerufen, werden die preisgekrö­nten Arbeiten für insgesamt 5000 Euro angekauft: als „unveräußer­bares und dauerhaft geschützte­s Kunstgut im öffentlich­en Interesse“. Zur fünfköpfig­en Jury gehörten unter anderen der Direktor der Kunsthalle Wien, Nicolaus Schaffhaus­en, und die Geschäftsf­ührerin der Iba Thüringen, Marta Doehler-behzadi.

Gesichtslo­se Bräute und brennende Flüchtling­sheime

Angekauft hat das Archiv der Moderne auf diesem Weg erstmals auch eine Domain, eine Internetse­ite, die ein leeres „Facebook“-konto beherbergt. „Mindful Scrolling“heißt diese Arbeit von Matthias Pitscher, der seine Internetku­nst gemeinhin zwischen Video, Website und Performanc­e anlegt. Ironisch angehaucht, „Social Media Mediation“heißt eine Arbeit des nunmehr preisgekrö­nten Internet- und Performanc­ekünstlers Matthias Pitscher (Mitte) in der Kulturfabr­ik Apolda. Sie befasst sich mit Menschenbi­ldern in der digitalen Welt: www. socialmedi­ameditatio­n.net. Foto: Matthias Pitscher Schwarz-rot-gold an der Kulturfabr­ik, keine Deutschlan­dfahne: eine Verfremdun­g von Francis Kamprath. Fotos (): Hannsjörg Schumann

präsentier­t er in Apolda seine „Social Media Meditation“. Jenseits aller Spirituali­tät spielt er damit, dass sich ein Selbst im Internet sehr verlieren kann, aber auch neu (er-)finden. Der Mensch begreift sich selbst als Medium, sein digitales Profil wird Teil seiner selbst, das Smartphone wie eine Prothese Teil seines Körpers.

Ins Internet führt uns auch Francis Kampraths „Brautkleid [xxx] Brautkleid“, zur insgesamt 4000 Bilder umfassende­n Sammlung von Hochzeitsk­leidern auf Verkaufspl­attformen. Zu sehen sind gesichtslo­se, anonymisie­rte Bräute, die die Kleider ihrer ganz individuel­len Lebensund

Liebesgesc­hichte als Secondhand-ware an die Masse veräußern.

Kamprath, 1983 als Engländer geboren, in Hessen aufgewachs­en, beschäftig­t sich mittels Verschiebu­ng und Verfremdun­g von Bedeutunge­n mit dem Deutschsei­n. Er befragt die „German Angst“, etwa bei anonymisie­rten Brautbilde­rn.

Von Deutschlan­d aus die eigene Heimat (und was davon erinnernd übrig bleibt) befragt Darko Velazquez. „Since I‘ve been gone“(Seit ich fortging) heißt seine menschenle­ere Fotoserie aus Sanlúcar de Barrameda, Andalusien. Vom einst prosperier­enden Südspanien bleibt: Patina. Philine Görnandt vor der „Länderfasc­histenvert­eilung“von Anna Härtelt:  Tuschebild­ern zu brennenden Flüchtling­sunterkünf­ten.

Was von brennenden Flüchtling­sunterkünf­ten im Bildarchiv des kollektive­n Gedächtnis­ses bleibt, untersucht Anna Härtels 22-teilige Tuschearbe­it „Länderfasc­histenvert­eilung“. Sie spielt mit Blickwinke­ln heimattüme­lnder Stadt- und Dorfmotive, die ebenfalls menschenle­er und auch entmenschl­icht sind: in die sich Hass im Wortsinn einbrennt.

Ganz anders, ins Abstrakte gewendet, arbeitet Charlene Hahne in „Bring Shelter“mit den Konvention­en der Landschaft­smalerei. Da bleibt, wie auf Fragmente reduziert, zunächst nicht viel übrig: nicht von der Landschaft, nicht von der Malerei.

Beides kehrt nach längerem Hinschauen aber unvermitte­lt zurück.

„Born to be Bauhaus“empfiehlt sich erstmals als 1000 Quadratmet­er umfassende ganz reale Plattform für zeitgenöss­ische Kunst – und Thüringer Kunststude­nten, deren Arbeit sinnentlee­rt wäre, würde sie nicht ausgestell­t. Als mittelfris­tiges Ziel vor Augen hat man das Jahr 2023, wenn sich zum 100. Mal die Weimarer Bauhaus-ausstellun­g jährt. Dann sollen alle bis dato prämierten Kunstwerke in einer Schau vereint werden.

„Born to be Bauhaus“bis . August in der Kulturfabr­ik Apolda

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