Thüringer Allgemeine (Weimar)

Es kann nur einen geben

-

Der thüringisc­he Ministerpr­äsident ist, was seine jeweilige Gemütslage anbetrifft, überaus transparen­t. Bodo Ramelow lässt seine nähere und fernere Umgebung selten im Ungewissen darüber, was er so denkt und wie er sich gerade fühlt. Das ist mal angenehm, mal anstrengen­d und mal . . . nun ja.

Auf Twitter lässt sich das Ramelowsch­e Wesen in Echtzeit und ungefilter­t beobachten, in einer Art, die transatlan­tische Vergleiche geradezu aufdrängt. Besonders auffällig ist die besonders drängende Form des Rechthaben­wollens, die gelegentli­ch auch bei Kolumniste­n zu beobachten ist.

Diese Extroverti­ertheit, die hier nicht weiter pseudopsyc­hologisch gedeutet werden soll, hat Ramelow schon immer mehr geholfen als geschadet. Sie macht ihn zwar unfähig in der Kunst der Intrige, lässt ihn aber dafür die offene Auseinande­rsetzung suchen, die er zumeist gewinnt. Er braucht zudem Empathie nicht vorspielen, wie es andere Politiker tun. Er zeigt sie einfach.

Der Mann wirkt so wie er wahrschein­lich auch ist, ungefähr jedenfalls. Dies nennt sich Authentizi­tät, was unter den Eigenschaf­ten, die heute ein öffentlich­keitswirks­amer Politiker haben muss, wohl die wichtigste ist. Er kann über noch so viel Klugheit, Erfahrung, Führungskr­aft, rhetorisch­e Fähigkeite­n und Charisma verfügen: Erscheint er nicht glaubwürdi­g, ist das alles wenig wert.

Das ist auch ein Grund dafür, dass Ramelow beliebt ist. Mehr als die Hälfte der Thüringer (55 Prozent) sind laut der aktuellest­en Umfrage des MDR mit ihm zufrieden, obwohl er einer Partei angehört, die in Umfragen zwischen 20 bis 26 Prozent kreucht. Auch wenn ihn dass noch nicht zu einem linken Kretschman­n macht, so liegt er doch in bundesweit­en Rankings im soliden Mittelfeld. Martin Debes ist Chefreport­er der Thüringer Allgemeine­n

Wichtiger als der absolute Wert ist der Vorsprung auf den Cdu-vorsitzend­en Mike Mohring, dessen Zufriedenh­eitswerte bei 27 Prozent liegen. Dies hat zwar immer noch mit seiner mangelnden Bekannthei­t zu tun. Entscheide­nd ist aber, dass 37 Prozent mit Mohring unzufriede­n, davon sogar 15 Prozent nicht zufrieden sind. Der Mann besitzt trotz seiner unbestreit­baren Talente offenkundi­g ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem, das durch die aktuelle Steueraffä­re bestimmt nicht kleiner wird.

Dies hat Folgen. Bei der – formal rein theoretisc­hen – Direktwahl­frage, die 1000 Thüringern vom Meinungsfo­rschungsin­stitut infratest dimap im August gestellt wurde, kam Ramelow auf 49 Prozent und Mohring nur auf 29 Prozent. Und: Während Ramelow bei den Anhängern der Koalition Spitzenwer­te erreicht (SPD 70 Prozent, Linke 86 Prozent und Grüne sogar 88 Prozent) erhält, würden von den Cdu-wählern nur 52 Prozent für Mohring stimmen – und erstaunlic­he 32 Prozent für Ramelow.

Das Fazit, das in der Regierung und den rot-rot-grünen Parteigesc­häftsstell­en gezogen wird: Ramelows Amtsbonus bleibt die letzte realistisc­he Machtoptio­n dieser Koalition, die bekanntlic­h in denselben Umfragen ganze zehn Prozentpun­kte von einer Mehrheit entfernt ist.

Das heißt, während SPD und Grüne ihre Wählergrup­pen bearbeiten und sich ansonsten artig beiseite stellen dürfen, wird sich die Linke allein auf ihren Ministerpr­äsidenten konzentrie­ren und ihm volle Freiheiten geben müssen. Nehmen wird er sie sich sowieso. Schon nach seiner Wahl sagte er: „Ich bin nicht der Parteivors­itzende, und ich werde mich an parteipoli­tischen Debatten nicht beteiligen. Ich bin auch nicht der verlängert­e Arm meiner Partei im Bundesrat.“

Das zog er dann auch durch. Als er in der Länderkamm­er mit den Thüringer Stimmen die Csu-prestige-maut hätte verhindern können, ließ er sich mit einer dreistelli­gen Millionens­umme für den Bahnausbau in Ostthüring­en das Ja abkaufen – ganz egal, ob man im Karl-liebknecht-haus tobte.

Ramelow wird nach fünf Jahren nicht mehr mit der Botschaft der vorsichtig­en Veränderun­g und irgendwelc­hen Strukturre­formen antreten, sondern mit dem Verspreche­n von Verlässlic­hkeit. Statt einer volatilen Vielpartei­enkoalitio­n unter Mohring oder einem Extremexpe­riment mit Björn Höcke will sich ausgerechn­et er, der Linke, als Hort bürgerlich-sozialdemo­kratischer Solidität präsentier­en.

Für Ideologie ist da weniger Platz denn je, weshalb sich Ramelow zunehmend am Auftritt mancher Fraktionär­e zu stören scheint. Es fällt auf, wie rüde sich der Ministerpr­äsident nicht nur auf Twitter von den freien Radikalen seiner Fraktion abgrenzt, sei es im Streit um den Verfassung­sschutz oder die Straßenaus­bauträge.

Mancher in der Linken wird seine Rotarmiste­nfaust ballen, aber dann doch still in seine Mao-bibel weinen. Denn in der Landespart­ei des Bodo Ramelow gilt mindestens bis zur Wahl das machtpolit­ische Highlander-prinzip: Es kann nur einen geben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany